Historischer Gottesdienst im Livestream: Pfarrer Klein wird rehabilitiert

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2002 hob der Bundestag die nationalsozialistischen Unrechtsurteile des menschenverachtenden §175 auf, erst 2017 folgten Aufhebung und Entschädigung für die schwulen und lesbischen Opfer nach 1945. Kurz nachdem Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) überraschend Entschädigungen und Rehabilitation dienstrechtlicher Folgen eines §175-er-Verfahrens gegen Bundeswehrangehörige für September in Aussicht stellte, folgt nun am 1. September die erste Wiedergutmachung für einen entlassenen Pfarrer einer evangelischen Kirche.

In dem Gottesdienst mit Bischof Dr. Christian Stäblein soll das öffentliche Ansehen von Friedrich Heinrich Klein wiederhergestellt werden, der in der Nazizeit als Pfarrer der Immanuelgemeinde wegen Homosexualität verurteilt und entlassen wurde.“

Immanuelgemeinde, Berlin Prenzlauer Berg

Foto: ekbo.de

2018 wurde der Leidensweg von Pfarrer Klein auf Druck des Gemeindekirchenrates der Immanuel-Gemeinde aufgearbeitet (der erschütternde Bericht weiter unten im Artikel) – gleichzeitig gefordert, andere mögliche Fälle aufzuspüren und das begangene Unrecht ebenfalls anzuerkennen.

„Durch diese Unrechtbehandlung ist viel Leid über Menschen gekommen, die anders lebten und liebten und die auf schreckliche Weise diskriminiert wurden. Die heutige Kirchenleitung der EKBO hat dieses Unrecht anerkannt und die Entlassung von Pfarrer Friedrich Klein für nichtig erklärt. Mit dem Gottesdienst wollen wir deutlich machen, dass vielen Menschen – auch im Namen der Kirche – schweres Unrecht widerfahren ist. Für diese Schuld stehen wir heute ein.“

Bischof Christian Stäblein

Die Rehabilitierung von Pfarrer Klein dürfe nur der erste Schritt sein, nun sei die Aufarbeitung der ganzen dunklen Vergangenheit im Kirchenrecht während der Nazi-Zeit dringend nötig, fordert der Gemeindekirchenrat inzwischen.

Kirche setzt ein unmissverständliches und klares Zeichen gegen homophobe und rassistische Ressentiments

Die Evangelische Kirche ist dringend aufgefordert, Forschungsarbeit zu dem Thema der in der Nazi-Zeit entlassenen Pfarrerinnen und Pfarrer zu leisten und alle Betroffenen umgehend zu rehabilitieren“,

sagt Uta Motschmann, Vorsitzende des Gemeindekirchenrats der Immanuel-Kirchengemeinde in der begleitenden Presseerklärung.

Der Staat habe seine Aufgabe hinsichtlich des §175 inzwischen spät, aber in vielfacher Weise wahrgenommen, „nun steht die gebotene kirchenrechtliche Rehabilitierung an“, so Motschmann weiter. Es sei gerade angesichts der aktuell wieder aufkommenden homophoben und rassistischen Ressentiments dringend erforderlich, dass „unsere Kirche ein unmissverständliches und klares Zeichen setzt“.


Hintergrund: Verfolgung, Verhaftung und Tod von Pfarrer Friedrich Klein

1942 wurde der seit 1935 an der Immanuelkirche diensthabende Pfarrer Friedrich Klein vom Reichskriegsgericht wegen Verführung eines 19 Jahre alten (Volljährigkeit damals mit 21 Jahren) Mannes zu „widernatürlicher Unzucht“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das gleiche Schicksal ereilte 1942 insgesamt 3.963 Männer  – die wurden Opfer des von den Nationalsozialisten verschärften und angewandten §175 des Strafgesetzbuches. Ein Jahr zuvor im Juni war der am 3.August 1905 in Homburg (Saar) als Sohn eines Musiklehrers geborene Friedrich Heinrich Klein zum Dienst in der Wehrmacht eingezogen worden, nachdem er drei Jahre zuvor einen Gottesdienst für den oppositionellen und verhafteten Pfarrer Johannes Schwartzkopff von der Immanuelgemeinde abgehalten hatte.

Schwartzkopff war wegen seiner Aktivitäten für die „Bekennende Kirche“ in die Mühlen der NS-Gesinnungsjustiz geraten. 

Foto: OTFW, CC BY-SA 3.0

Die NS-Justiz ermittelte bereits damals gegen Klein. 1941 kam er zur Wetterfunkempfangsstelle 4, einer „besonderen Verwendung“ quasi als Dolmetscher beim Abhören des Funk- und Telefonverkehrs der Alliierten. Dazu musste Klein auch oft ins Ausland. Bei einem Heimataufenthalt in Berlin wurde Klein im Dezember 1941 wegen des Verdachts der „widernatürlichen Unzucht" mit dem damals 19-jährigen Unteroffizier Karl-Heinz Scheuermann erstmals festgenommen.

Personalakte nicht mehr auffindbar

Das Feldkriegsgericht des Höheren Kommandeurs der Luftnachrichtenschule sprach Klein im März 1942 zunächst wegen Mangels an Beweisen frei, den jüngere Mann auch. Im Herbst 1942 wurden aber beide Urteile kassiert und ihr Fall an das Reichskriegsgericht überwiesen. Adolf Hitler hatte gegen die angebliche „Pest der Homosexualität“ gegeifert und „rücksichtslose Strenge“ gefordert. Ende November 1942 verurteilte das Reichskriegsgericht ihn wegen „Verführung eines Mannes unter 21 Jahren zur Unzucht“ zu drei Jahren Gefängnis, kurz darauf wurde er vom kirchlichen Konsistorium der Mark Brandenburg aus dem Kirchendienst entfernt. Die Kirchenleitung teilte ihm mit, dass er ab sofort „aus dem Dienst ausgeschieden“ sei. Weiter hieß es in der Mitteilung:

„Sie haben damit den Anspruch auf sämtliche Dienstbezüge und auf Versorgung, sowie die Befugnis, die Amtsbezeichnung zu führen, und die Rechte des geistlichen Standes verloren.“

Kirchliches Konsistorium der Mark Brandenburg

Heute ist Kleins Personalakte als einzige der an der Immanuelkirche tätigen Pfarrer im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv nicht mehr auffindbar. Auch die 1943 mit Kreuz im kirchlichen Stempel besiegelte Entscheidung ist nicht bis heute aufgehoben worden.

Ungeklärter Tod (Erklärung zur Streichungen siehe Update unter dem Artikel)

Klein kam ins Gefängnis Torgau. Im Juli 1944 bekam er die Möglichkeit der „Bewährung im Fronteinsatz“, die er annahm und in einem Bewährungsbataillon verbringen sollte. Offenbar kam er an die vorderste Ostfront. Danach war sein Schicksal lange ungeklärt.

Allerdings hat der auf Homosexualität und Nationalsozialismus spezialisierte Berliner Historiker und Publizist Günter Grau inzwischen in Archiven herausgefunden, dass Klein schon wenige Tage nach seiner Verlegung an die Front unweit vom damaligen Leningrad (St. Petersburg) unter nicht näher bekannten Umständen umgekommen ist.

Foto: Yahont / Gemeinfrei

Als „vermisst seit 1. August 1944“ ist der entlassene Pfarrer aus Berlin im Gedenkbuch der weltweit größten deutschen Kriegsgräberstätte Sologubowka, etwa 70 Kilometer südöstlich von St. Petersburg entfernt, verzeichnet. Klein wurde erst 1975 per 31. Dezember 1945 für tot erklärt. *Mathias Brüggman / Immanuelgemeinde /ck


Update 1. September

Wir haben die am 11. August erstveröffentlichten Version dieses Artikels nach dankenswerten Hinweisen von Holger Schnell mit Streichungen versehen, da die Darstellung der Ereignisse durch Historiker Günter Grau sich nicht ausreichend belegen lässt. Schnell recherchierte zum Fall Klein im Auftrag des rbb, wir verweisen gerne auf seinen Beitrag „Kirche rehabilitiert Pfarrer nach 77 Jahren“, nachdem das letzte Lebenszeichen von Pfarrer Klein eine Feldpost aus dem Jahr 1944 gewesen ist. 

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