FILMPREIS AUCH FÜR DIE SCHWULEN OPFER DES § 175

Sechs Lolas konnte das Polit-Biopic „Der Staat gegen Fritz Bauer“ am Wochenende beim Deutschen Filmpreis abräumen. Unser Interview mit Hauptdarsteller Burghart Klaußner und Regisseur Lars Kraume über den homosexuellen Nazijäger und Staatsanwalt.

Foto: Almodefilm

HERR KRAUME, SCHON VOR IHREM „DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER“ KAM IM VERGANGENEN JAHR „IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS“ INS KINO, IN DEM ES AUCH UM BAUER GEHT. HAT ES SIE BEUNRUHIGT, ALS ZWEITER AN DEN START ZU GEHEN?

Kraume: Wir haben natürlich schon vor Jahren mit der Arbeit an unserem Film begonnen, da wussten wir noch nichts von der Existenz des anderen Films. Wir steckten mitten in der Entwicklung des Drehbuchs, als wir hörten, dass da jemand anderes bereits an einem ähnlichen Projekt arbeitet. Da haben wir uns natürlich erst mal umgehört, was es damit auf sich hat. Aber dann wurde schnell klar, dass die etwas anderes vorhaben als wir, mit einer erfundenen Figur im Zentrum und der Vorbereitung der Auschwitz-Prozesse als Thema. Also eben kein Porträt von Fritz Bauer, so wie wir es machen wollten.

TATSÄCHLICH HANDELT „DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER“ NICHT VON DEN AUSCHWITZ-PROZESSEN, SONDERN VON DER JAGD NACH ADOLF EICHMANN ...

Kraume: Das ist ein erstaunlich unbekanntes Kapitel aus Bauers Leben. Die Leute denken immer, Simon Wiesenthal wäre alleine die treibende Kraft hinter dieser Mossad-Operation gewesen. Doch das liegt nur an der Bescheidenheit von Fritz Bauer, der Zeit seines Lebens nicht darüber gesprochen hat, dass und wie er daran beteiligt war.

WIR ERFAHREN IN „DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER“ AUCH VON DER HOMOSEXUALITÄT BAUERS. WARUM WAR ES IHNEN SO WICHTIG, DIESEM ASPEKT SEINER PERSON, DER JA AUF DEN ERSTEN BLICK FÜR SEIN WIRKEN KAUM EINE ROLLE SPIELT, SO VIEL BEACHTUNG ZU SCHENKEN?

Kraume: Es ging mir um zwei Sachen, die wir an seiner Homosexualität festmachen. Das eine ist der lange Atem des Unrechts in die junge Bundesrepublik: Die Nazis haben den „Schwulenparagrafen § 175“ erst so richtig scharf gemacht und haben auf dieser Grundlage hunderttausende Männer in KZs geschickt und getötet. Dass die Bundesrepublik in vielen Aspekten und gerade auch in der Justiz keinen richtigen Bruch mit dem Dritten Reich hingekriegt hat, zeigt sich auch an diesem Paragrafen. Dass der Paragraf 175 bis in die 1990er-Jahre existent war, ist eine Katastrophe und ein Skandal. Selbst wenn er in den letzten Jahren nicht mehr wirklich angewandt wurde. Für mich war dieser Aspekt im Film also ein gutes Symbol dafür, wie sich diese junge Republik eben nicht richtig von den Nazis abwendet – und genau das ist ja in jeder Hinsicht Bauers Problem.

Klaußner: Die zweite Sache ist die des Verzichts. Wir lernen im Film, was es kosten kann, seinen Zielen auch unter solch verschärften Bedingungen treu zu bleiben, denn im Grunde musste Bauer ja das Zölibat wählen, um sich nicht angreifbar zu machen. Das finde ich sehr berührend. Und ich denke, dass es auch jedem nicht-schwulen Menschen einleuchten wird, dass das ein sehr hoher Preis ist, den er gezahlt hat.

TATSÄCHLICH GIBT ES ALLERDINGS AUCH HEUTE NOCH HISTORIKER, DIE BESTREITEN, DASS BAUER SCHWUL WAR ...

Klaußner: Die denken allen Ernstes, es würde an seinem Denkmal kratzen, dass er homosexuell war. Das lässt natürlich tief blicken, wenn Sie mich fragen. Wo kommen wir denn hin, wenn das heutzutage wirklich noch ehrenrührig sein soll?!

Kraume: Für Burghart und mich war immer klar, dass Bauer auf ein Grundrecht des Menschen – nämlich seine Sexualität ausleben zu können – bewusst verzichtet hat, um seinem Dienst nachzugehen. Das ist doch ein wahnsinniger, ja heldenhafter Einsatz, den er gebracht hat. Wer würde das heutzutage schon machen für seinen Beruf und seine Ziele?

Klaußner: Ich hoffe aber auch, dass es uns in einigen Momenten gelungen ist zu zeigen, wie widersprüchlich das mitunter auch ist. In seiner Funktion als Staatsanwalt hat er natürlich trotzdem selbst den Paragrafen 175 angewandt und war so sehr in das Justizsystem eingebunden, dass er es für unumgänglich ansah, Männer wegen solcher „Unzucht“ für sechs Monate ins Gefängnis zu stecken.

Foto: Almodefilm

DIE ZWEITE WICHTIGE FIGUR IM FILM IST EIN JUNGER, VON RONALD ZEHRFELD GESPIELTER UNTERGEBENER BAUERS, ZU DEM ER EINE GANZ BESONDERE BEZIEHUNG AUFBAUT. DIESEN KARL ANGERMANN HAT ES SO ABER NICHT GEGEBEN, ODER?

Kraume: Das ist richtig. Die Figur ist eine Mischung aus verschiedenen realen Vorbildern. Wir hätten natürlich auch gerne eine echte Person genommen – und zum Beispiel hätte sich vielleicht angeboten, das Verhältnis, das Bauer zu dem jungen Thomas Harlan (also dem Sohn des berühmten Nazi-Regisseurs Veit Harlan) hatte, zu zeigen. Aber diese Freundschaft entstand zeitlich später, das hätte also nicht zum Thema der Eichmann-Jagd gepasst. Die aber war im Gegenzug wahnsinnig wichtig für uns, um uns auf einen Ausschnitt aus Bauers Leben konzentrieren zu können und einen einigermaßen strengen Erzählrahmen zu haben. Statt historisch ungenau zu werden, haben wir uns also entschlossen, eine fiktive Figur einzuführen, an der wir Bauers Verhältnis zu dieser jungen Generation zeigen, in die er so große Hoffnungen hatte.

ZUM ABSCHLUSS NOCH DIE FRAGE NACH DEM BEGRIFF „HELD“, DER IN UNSEREM GESPRÄCH SCHON EIN PAARMAL GEFALLEN IST: TUN SICH DIE DEUTSCHEN UND DAS DEUTSCHE KINO DAMIT INZWISCHEN LEICHTER ALS FRÜHER?

Klaußner: Ach, an sogenannten Helden hat es dem deutschen Kino, auch in seiner Geschichtsbetrachtung, ja nie gefehlt. Es waren nur leider nicht die richtigen. Es gibt nicht so viele Helden, die es lohnt vom Schutt der Geschichte zu befreien und die auch den Test der Zeit bestehen. Doch es tut unheimlich gut, zumindest ein paar Helden zu haben. Es ist verständlich, dass man sich in Deutschland lange damit schwergetan hat. Aber ohne Frage ist es wichtig und berechtigt, Helden wie Fritz Bauer oder auch Georg Elser, den es kürzlich auf der Leinwand zu sehen gab, zu benennen.

•Interview: Patrick Heidmann

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