75 Jahre Befreiung Auschwitz – Homosexuelle immer noch Opfer 2. Klasse

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Seit 1996 wird am 27. Januar an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Der Verfolgerparagraf 175 war da gerade einmal drei Jahre gestrichen, ein offizielles Gedenken an diese NS-Opfergruppe fand bis heute nicht statt. 

Heute jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 zum 75. Mal. Die staatliche Verfolgung Homosexueller unter dem von den Nationalsozialisten verschärften § 175, ging in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert weiter. Erst 2017 wurden die bundesdeutschen Opfer des § 175 rehabilitiert, erst 2018 bat Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sie um Vergebung (wir berichteten).

Kein Gedenken im Bundestag

Bei der offiziellen Gedenkstunde im Deutschen Bundestag sind in 22 Jahren Angehörige und Opfer des Nationalsozialismus zu Wort gekommen, dreimal wurde thematisch an einzelne Opfergruppen erinnert – 2011 an Roma und Sinti, 2016 an Zwangsarbeiter sowie 2017 an Behinderte und Euthanasieopfer. Den homosexuellen Opfern des § 175 ist bisher nicht gesondert gedacht worden, kein Redner erzählte von seiner schwulen Verfolgungsgeschichte.

Historiker Lutz van Dijk hatte 2018 eine diesbezügliche Initiative ins Rollen gebracht, die unter anderem von Holocaustüberlebenden, dem „Internationalen Auschwitz-Komitee“, dem „Lesben- und Schwulenverband Deutschland“ (LSVD Resolution) sowie Historikern aus dem In- und Ausland und von vier der fünf Bundestagsvizepräsidenten (die Vertreter von SPD, Grünen, FDP und DIE LINKE) unterstützt wird (wir berichteten).

Er weist in einem aktuellen Gastbeitrag im Tagesspiegel darauf hin, dass es in einem neuen Buch erstmals auch Auschwitz-Überlebende gibt, die sich zur Opfergruppe sexueller Minderheiten äußern, ohne selbst „betroffen“ zu sein.

Foto: Sven Teschke / CC BY-SA 3.0 / wikimedia.org

„Es waren die Nazis, die Menschen in ,unterschiedlich wertvolle’ Kinder, Frauen und Männer klassifizierten. Das ist nirgendwo auf der Welt akzeptabel! Nach der Befreiung 1945 riefen wir Überlebenden alle ,Nie wieder!’ Für unsere Mitgefangenen mit dem rosa Winkel galt das aber nicht: Sie wurden in den meisten Ländern, auch in Deutschland, weiterverfolgt. In Deutschland ist das zwar endlich vorbei. Aber ein aufrichtiges und umfassendes Erinnern an die homosexuellen Frauen und Männer, die damals litten, fehlt noch immer und ist dringend nötig – sowohl im Bundestag am 27. Januar als auch in der Gedenkstätte Auschwitz.“

Esther Bejarano, Ehrenpräsidentin des Auschwitz-Komitees der Bundesrepublik Deutschland

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble weigert sich bisher dennoch vehement, der Forderung nachzukommen. 

SPDqueer und LSU unterstützen Forderung

Anlässlich des 75. Jahrestages melden sich die Sprecher*innen der queeren Parteiverbände deutlich zu Wort.

Foto: LSU Bundesverband / Facebook

„Als direkte Lehre aus der Geschichte schrieb sich die junge Bundesrepublik ins Stammbuch, das kein Mensch wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. 1994 wurden auch Behinderungen in diesen Katalog aufgenommen.Die LSU setzt sich mit Nachdruck dafür ein, das Merkmal der sexuellen Identität endlich in den Artikel 3 des Grundgesetzes mit aufzunehmen, damit ein klares Zeichen gesetzt wird, dass auch Angehörige sexueller Minderheiten nie wieder Opfer sein dürfen. Zudem sollte dieser Gruppe auch im Rahmen der Feierstunde des Deutschen Bundestages spätestens 2021 endlich gesondert gedacht werden.“

Alexander Vogt, LSU

Sie fordern, endlich ein Ende der Unsichtbarmachung und Ignoranz gegenüber der Opfergruppe Homosexueller, sowie sie Aufnahme der sexuellen Identität in den direkt auf die NS-Vernichtungspolitik gründenden Artikel 3 des Grundgesetzes.

„Seit mehr als zwei Jahrzehnten gedenkt er der Opfer des Nationalsozialismus, noch nie wurde dabei explizit an die verfolgten Homosexuellen erinnert. Als Sozialdemokrat*innen wollen wir dazu beitragen, dass es kein erneutes Schweigen gibt. Wir schauen nicht weg und wir schweigen nicht, wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans*, inter* und andere queere Menschen angegriffen, wenn sie Hass, Hetze, Ausgrenzung oder Diskriminierung ausgesetzt werden. Daher sprechen wir uns dafür aus, dass im kommenden Jahr bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag erstmals ausdrücklich an die queeren Opfer der Nationalsozialismus erinnert wird.“

Carola Ebhardt und Elia Scaramuzza, SPDqueer

Gedenkveranstaltung in Berlin

Foto: Angel Ivanov / LSVD

Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg und der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg laden mit Unterstützung der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu einer Gedenkstunde an den Denkmälern für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma ein.

Foto: Manfred Brueckels / CC BY-SA 3.0 / wikimedia.org

Die gemeinsame Gedenkveranstaltung findet am 27. Januar 2020 um 12 Uhr statt und beginnt mit Redebeiträgen am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (Ebertstraße auf Höhe Hannah-Arendt-Straße). Anschließend wird das Gedenken um 12.30 Uhr am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas fortgesetzt.

Abgeordnete aus dem Deutschen Bundestag, dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem Brandenburger Landtag sowie Mitglieder der Bundesregierung und des Berliner Senats haben ihre Teilnahme angekündigt.

Um 14 Uhr findet eine weitere Gedenkveranstaltung an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus an der Gedenktafel am U-Bahnhof Nollendorfplatz statt – organisiert von Schule ohne Rassismus in Kooperation mit GEW, MANEO und LSVD Berlin-Brandenburg.

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