Nebenbei Rassist

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Nach #blacklivesmatter kann eigentlich keiner mehr sagen, dass die Diskussion über Rassismus nicht wichtig ist. Wieso aber veranstaltet man in unserer Community bestenfalls einen Eiertanz um das Thema?

Rassismus in der Community

Der Queer Matters e.V. organisiert Gesprächsrunden, in denen aktuelle Themen unter anderem aus den Bereichen Gesundheit, Kultur und Community angesprochen werden. Im Zuge von #blacklivesmatter traute sich das Team, mit Sitz im Community-Center Village Berlin, eine Umfrage zu starten. Sie wollten herausfinden, ob und welche rassistischen Erfahrungen innerhalb der Community gemacht werden, wobei sich der Fragebogen speziell auf die Community im Village und nicht auf die queere Community im Allgemeinen bezog.

Eine vollständige Auswertung lag uns zwar noch nicht vor, wir konnten aber mit dem Projektleiter Thomas Schallhart quatschen. Nach den ersten Sichtungen der Umfrageergebnisse bestätigt er, dass Rassismus und rassistische Erfahrungen Teil der realen Lebenswelt von LGBTIQ* ist. Wie kann es sein, dass es in einer Community, die selbst immer wieder Diskriminierung erfährt, so ungesunde menschenverachtende Tendenzen gibt?

Wie wird man zum Rassisten?

Ein Rassist ist jemand, der sich Personen gegenüber anders verhält, weil diese eine andere Hautfarbe, Herkunft oder Kultur haben. Einige Leute glauben sogar, dass sie aufgrund solcher Unterschiede etwas Besseres sind. Thomas Schallhart beschreibt ein grundlegendes Problem bei Rassismus so, dass wir in einer weißen Gesellschaft rassistisch sozialisiert wurden:

„Uns wird direkt und indirekt ständig vermittelt, dass schwarze Menschen und Menschen of Color weniger wert sind als weiße Menschen.“

Viel Rassismus komme aber auch aus der Geschichte. „Jahrhundertelang haben weiße Europäer einen Großteil der Welt ausgebeutet, versklavt und unterdrückt. Ein wichtiger Mechanismus war dabei, die europäische Kultur als ‚normal‘ und alles andere als anders und weniger wert einzuordnen.“

Unbewusster und bewusster Rassismus

Sozialforscher auf dem Gebiet sprechen von bewusstem und unbewusstem Rassismus. Der Unterschied liegt darin, ob die Person die Konsequenzen ihrer Aussage einschätzen kann. Gewisse AfD-Politiker etwa sagen bewusst rassistische Dinge, um so Wählerstimmen von Menschen zu erhalten, die selbst entweder bewusst oder unbewusst rassistisch sind.

Unbewusster Rassismus ist nicht immer so einfach zu bestimmen, beginnt aber grundsätzlich damit, Menschen in ein Kollektiv aufzuteilen und ihnen gewisse Eigenschaften zuzuordnen. Die Aussage „Alle Araber sind schwulenfeindlich“ ist ein gutes Beispiel. Hört man solche Statements öfter, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man diese Ansicht internalisiert. Das nächste Mal, wenn man einer Frau mit Kopftuch begegnet, verhält man sich unbewusst ablehnend, weil man annimmt, sie sei schwulenfeindlich. Dieses ablehnende Verhalten ist bereits rassistisch, egal ob es bewusst oder unbewusst erfolgt.

Wer schweigt, wird mitschuldig

Neben der rassistischen Sozialisierung wurde uns ein weiteres Problem anerzogen: Schweigen. Viele kennen die Situation, wenn Opa Karl oder der komische Kollege aus dem Vertrieb über Ausländer schimpfen oder das N-Wort benutzen. Niemand wehrt sich und wenn doch, ist die Person ganz schnell die empfindliche Office-Zicke. Das Tolerieren von rassistischen Aussagen macht einen zwar nicht zum Rassisten. Wohl aber trägt es dazu bei, dass sich Rassismus frei entfalten kann.

Die Studie des Queer Matters e.V. zeigt wohl auch, dass es ein Problem damit gibt, wie mit Rassismuskritik umgegangen wird. Thomas Schallhart ist der Meinung, dass gerade dort viel Potenzial vorhanden sei, um Rassismus effektiv zu bekämpfen:

„Es bringt nicht viel, die Debatte um Rassismus einfach zu beobachten. Wenn man bei sich anfängt, sich an die eigene Nase packt, hat das den Vorteil, dass man sich selbst und anderen offen begegnen kann. Dann können wir gemeinsam daran arbeiten, weniger rassistisch zu sein.“

Rassismus macht krank

Solche inneren Diskurse sind schmerzlich, weil man sich angreifbar macht und die Dinge neu bedenken muss. Aber Rassismus am eigenen Leib zu erfahren, ist auf Dauer sogar gefährlich. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Rassismus, Krankheit und sogar Sterblichkeit besteht.

Es ist sicherlich einfacher, das Ganze zu ignorieren. Wenn man aber Menschen mit Rassismus verletzt, sie krank macht oder damit sogar zum Tod von Einzelpersonen beiträgt, ist diese Auseinandersetzung unausweichlich.

Unsere eigene Geschichte weist uns den Weg

Als Community schulden wir uns diese ehrliche Auseinandersetzung. Nicht zuletzt, um einem unserer größten Helden gerecht zu werden. Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld war der Erste, der in seinem Buch „Rassismus“ 1934 den Begriff überhaupt benutzte. Hirschfelds Ziel war es, die seinerzeit durch Hitler propagierten Rassentheorien zu untersuchen und schließlich zu widerlegen.

Foto: Wellcome Library, London

Als Jude und Homosexueller wurde er von den Nazis verfolgt und bereits 1920 von völkischen Aktivisten zusammengeschlagen. Sein Institut für Sexualwissenschaft wurde 1933 vernichtet und er ging ins Exil nach Frankreich, wo er 1935 starb.

Es wird geschätzt, dass während der Nazizeit etwa 50.000 Männer wegen Homosexualität verurteilt wurden. Andere Quellen gehen davon aus, dass bis zu 15.000 von ihnen in Konzentrationslager deportiert und bis zu 60 Prozent davon dort ermordet wurden. 

Daher reicht es nicht aus, nur für unsere Gleichstellung zu kämpfen. Ein Kampf für LGBTQI*-Gleichheit muss auch einen Kampf gegen Rassismus beinhalten.

QUEER MATTERS e.V. | Kurfürstenstraße 31/32 | 10785 Berlin

www.queermatters.org


Medienpolitische Fragen

Der Entertainerin Nina Queer wurde wegen Rassismus-Vorwürfen ein lukrativer Vertrag mit dem Sender RTL gekündigt. Die Debatte über ihren Rauswurf schlägt hohe Wellen. Wie gehen wir alle mit Hetze um? Welchen Stellenwert hat Social Media? Was geht, was nicht? Darüber sprachen wir mit Nollendorfblogger Johannes Kram.

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