Hedwig von Beverfoerde: Shitstorm gegen Kinderkanal

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Der „Kummerkasten“ bei KiKA ist eine Ratgebersendung für „Zuschauer auf ihrem Sprung zwischen Kind sein und Erwachsenenwerden“. Die Sendung behandelt Themen rund um Liebe, Freundschaft und Probleme. Auf verschiedenen Sendeplätzen existiert der „Kummerkasten“ bereits seit 2003. In der letzten Ausgabe (Video) wollte eine junge Zuschauerin wissen, was beim ersten Mal im Körper geschieht. Diese Frage wurde mit entsprechenden Illustrationen beantwortet.

Foto: KiKa

Die streng religiöse Hedwig von Beverfoerde von der sog. „Demo für Alle“, die ihre Anerkennung bei Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle regelrecht zu beflügeln scheint, schäumt und ruft via Newsletter und Facebook zum Massenprotest gegen die Sendung auf.

In ihrem Newsletter betont Hedwig von Beverfoerde mit Verweis auf Wikipedia, dass der Sender KiKA „ein zielgruppenorientiertes Programm für drei- bis 13-jährige Zuschauer“ sei und somit nun „auch das öffentlich-rechtliche Kinder-Fernsehen bei der Sexualisierung der Kleinsten kräftig“ mitmische. Hier sei deshalb eine Protestwelle nötig. Wieder einmal wird durch Weglassen von an sich notwendigen Informationen ein falscher Eindruck erweckt, der offensichtlich der Panikmache dienen soll: In den vom Sender zu dieser Sendung eigens angebotenen Begleitinformationen für Eltern ist als Zielgruppe „10 - 13 Jahre (und älter)“ angegeben, also nicht etwa „die Kleinsten“, sondern Jugendliche, die sich in der Pubertät befinden. Erneut wird offensichtlich, dass religiöse Fundamentalisten mit ihrer verschrobenen Sexualmoral zu diesen Fragen nicht die richtigen Berater sein können.

Oberstes Gebot: Enthaltsamkeit

Hier geht es augenscheinlich auch nicht um Kinder, sondern um gezielte Attacken von religiösen Aktivisten gegen alles, was die (sexuelle) Selbstbestimmung eines Menschen bestärken könnte, mit dem Ziel, ein christlich-fundamentalistisches Weltbild zu etablieren. Oberstes Gebot lautet hier dann schließlich: Enthaltsamkeit. Da erscheint es nur konsequent, beispielsweise auch mal die HIV-Aufklärungskampagne der BZgA zu attackieren, um zu poltern, bei dieser handle es sich um Werbung für „schrankenlose Promiskuität bei Jung und Alt“. Wer enthaltsam ist, braucht schließlich keine Kondome. Wer es nicht ist, bekommt möglicherweise HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Das könnte man als gerechte Strafe für diejenigen sehen, die sich den Regeln Gottes – oder was man für diese hält – nicht fügen wollen, Stigmatisierung und Ausgrenzung inklusive.

Grafik: Ralf Ricker

Sexualaufklärung nach der Hochzeit würde dann sicherlich auch genügen, alles andere wäre dann wohl „Frühsexualisierung“. Wer vorher ungewollt schwanger wird: Pech, denn die gleichen Personen sehen sich ja auch als „Lebensschützer“. Abtreiben ist also nicht, denn wer abtreibt, wird zum Mörder. Alles andere als Heterosexualität ist selbstverständlich ohnehin Todsünde. Wer damit nicht klarkommt: Schwund ist schließlich immer, nicht wahr?

Empathie und Nächstenliebe haben in so einer Welt keinen Platz mehr, während zugleich behauptet wird, einer Religion anzugehören, deren zentrales Gebot das der Nächstenliebe ist. Hier dreht sich letztlich dann alles um Macht, Unterdrückung und Ausgrenzung.

In Bayern, wo die CSU derzeit viel damit beschäftigt zu sein scheint, die AfD zu imitieren, fand man diese Positionen anscheinend plausibel, sonst hätte man die Richtlinien für die Sexualerziehung, die vorsahen, LGBTI im Unterricht als gleichwertige Menschen darzustellen, nach dem Protest der sog. „Demo für Alle“ sicherlich nicht geändert und u.a. diesen Punkt wieder gestrichen.

Es ist auch mehr als bezeichnend, dass ich bei den mir bekannten angeblichen Kinder- und Familienschützern nicht einmal eine Meldung über die zahlreichen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gesehen hätte. Ginge es wirklich um den Schutz von Kindern, dürfte man darüber ganz sicher nicht so großzügig hinwegsehen. Beim streng katholischen Mathias von Gersdorff, ebenfalls an der sog. „Demo für Alle“ beteiligt, ist mir sogar eine Person bekannt, die nach der Frage, warum auf der Seite seiner Aktion „Kinder in Gefahr“ dazu nichts zu finden sei, gar von der Seite verbannt wurde. Wie es aussieht, sieht Mathias von Gersdorff Kinder besonders dann „in Gefahr“, wenn es darum geht, über die Diskriminierung von LGBTI zu sprechen.

Foto:www.bravo.de/dr-sommer

DR. SOMMER

Auf der Facebook-Seite „Besorgte Homos“, an der ich mitwirke, wurde kürzlich die Frage gestellt, was denn wohl mit der „Bravo“ wäre, wenn sich jetzt schon wegen einer Jugendsendung aufgeregt werde. Die Frage leuchtet ein, denn ganze Generationen haben schließlich von den Ratschlägen von Dr. Sommer profitiert. Jugendliche konnten dort stets ohne Ängste Fragen stellen, auf die sie von ihren Eltern oder der Schule keine (hilfreichen) Antworten bekommen haben (oder bekommen wollten).

Die Antwort darauf mag wenig verblüffen: Die „Bravo“ ist den an der sog. „Demo für Alle“ Beteiligten mitunter ebenfalls ein Dorn im Auge – womit wir wieder bei Mathias von Gersdorff wären. So schrieb die taz am 17. März 2009:

„Für den Initiator der Aktion "Kinder in Gefahr" ist die Bravo der „Feind Nr. 1". Das Heftchen sei verantwortlich für ein „Massaker an der Kindheit", voll von „sexuellen Perversionen" und „stark sexualisierter Sprache". Die Zeitschrift ist ein „erotisches Blatt", das die "Kindheit in Deutschland (…) zerstört".“

Von Gersdorff initiierte 2008 sogar eine Petition an die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen, um die „Bravo“ verbieten zu lassen. Mehr als 10.000 strenge Katholiken sollen sich dieser Petition angeschlossen haben.

Das Fazit

Eltern, Lehrer*innen und Politiker*innen sollten wachsam sein, bevor sie blind allen vertrauen, die behaupten, Kinder schützen zu wollen. Das Stimulieren von Ängsten, das hier immer wieder betrieben wird, ist eine perfide Masche, um Eltern in ihrer Sorge um ihre Kinder für ein viel größeres Vorhaben zu gewinnen, bei dem es am Ende nur Verlierer geben würde. Der Preis dafür wäre unsere Freiheit – und das Wohl unserer Kinder!

Was tun bei Verunsicherung?

Fragen Sie diejenigen direkt, die an den Themen wirklich dran sind und dafür ausgebildet sind. Haben Sie dabei auch ein wenig Vertrauen! Lehrer*innen, Sozialpädagog*innen, Schulen und Beratungseinrichtungen werden Ihre Anliegen ernst nehmen und auf Ihre Fragen gerne individuell eingehen! Prüfen Sie Behauptungen, vor allem dann, wenn Sie aus weniger nachvollziehbaren Quellen stammen, selbst nach! Ein Blick in den für Ihr Bundesland gültigen Bildungsplan oder etwa in Begleitinformationen, wie im Falle dieser Sendung, dürfte auch schon erheblich zur Beruhigung beitragen.

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