Und sie haben Gottes Liebe doch: Theologie widerlegt katholische Sexuallehre

by

Gefährlich branden Wellen einer neuen Reformationsbewegung gegen die Mauern in den Köpfen des Vatikan. Die Dogmen der Glaubenskongregation zu Homosexualität werden wie bei Galileo Galilei jene aus der Astronomie durch Wissenschaft zermalmt. Diesmal aber von der Theologie selbst.

Fast wirkt es wie ein göttlicher Fingerzeig. Oder wie eine konzertierte Aktion gegen den Vatikan. Bevor am 10. Mai in Deutschland inzwischen über 77 Segnungsgottesdienste für homosexuelle Paare von katholischen Pfarrern in katholischen Gotteshäusern abgehalten werden (wir berichteten über #liebegewinnt), erschüttert eine theologische Studie aus London die Betonköpfe in Rom. Das Wijngaards Institute for Catholic Research veröffentlichte einen Studienreport mit teilweise bahnbrechenden neuen Forschungsergebnissen, die eine Neubewertung der biblischen Aussagen zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen unumgänglich machen. Die Kernaussage fasst Dr. Michael Brinkschröder, Sprecher des Katholischen LSBT+Komitees so zusammen:

„Der Report greift neueste Forschungsergebnisse zu den einschlägigen biblischen Texten im Buch Leviticus und im Römerbrief auf. Er legt auf sehr konzise Weise dar, dass man der Bibel keine Argumente gegen auf Dauer und Treue angelegte gleichgeschlechtliche Beziehungen entnehmen kann.

Die Verdammung von homosexuellen Handlungen durch das Lehramt hat jetzt keine theologische Grundlage mehr.“

Breite theologische Unterstützerfront fordert Ende der Diskriminierung

Zusammen mit dem Report haben das Institut und 66 namhafte theologische Forscher*innen eine „Akademischen Erklärung“ veröffentlicht, das Katholische LSBT+Komitee hat eine deutsche Übersetzung des Wijngaards-Reports angefertigt und auch die Erklärung übersetzt. Die Wissenschaftler*innen schreiben: 

„Wir fordern eine dringende Änderung der römisch-katholischen Lehre auf der Grundlage dieser akademischen Erkenntnisse, die als letzter Nagel im Sarg der biblischen und anderen Argumente zur Rechtfertigung von Antihomosexualität dienen sollten.“

Damit die Erkenntnisse über die nun endgültig nachgewiesen falsche Interpretation der biblischen Aussagen zur Homosexualität Wirkung zeigen, muss der Papst sie anerkennen. Nur er ist in der Lage, die homophoben Pharisäer in der römisch-katholischen Glaubenskongreation in ihre Schranken, nämlich die Gottes, zu weisen. In ihrer deshalb an Franziskus gewendeten Mitteilung heißt es von den Autor*innen daher:

„Die absolute Verurteilung gleichgeschlechtlicher Beziehungen als „von Natur aus ungeordnet“ wird von den meisten römischen Katholik:innen weltweit nicht geteilt. Aber sie ist immer noch päpstliche Lehre: Alle Dokumente der Glaubenskongregation haben nur deshalb Autorität, weil sie vom Papst gebilligt sind. Daher hat Papst Franziskus aufgrund seiner Position und angesichts seiner Aufzeichnung von begrüßenden Worten und seiner pastoralen Haltung gegenüber homosexuellen Menschen die Pflicht und Verantwortung, eine solche unabhängige Studie anzustoßen, um die Lehre, die er von seinen Vorgängern geerbt hat, zu überdenken.“

Unterstützt wird der Aufruf zur Veränderung von Dr. Krzysztof Charamsa, der nach seinem Coming-out die Glaubenskongreation verlassen musste. Er betrachte diese Studie als „eine Botschaft der Hoffnung in einer Stunde der schwankenden Gewissheiten: Diese akademische Erklärung ist ein Geschenk und eine Verpflichtung gegenüber der Kirche. Theolog:innen, die sich ihrer wissenschaftlichen und christlichen Verantwortung bewusst sind, machen sich daran, dem Urteil der Kirche zur Reife zu verhelfen... Indem sie den Fortschritt der Geistes- und Bibelwissenschaften darstellen, vollziehen die Unterzeichner:innen einen Akt intellektueller Redlichkeit und des Vertrauens in die Kirche.“ 

Das sagt die Studie: Die Bibel verurteilt homosexuelle Liebe nicht!

Die Bibel wird benutzt, besser gesagt missbraucht, um die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu rechtfertigen. Jetzt ist bewiesen, dass die Bibelverse, die so lange als Verurteilung dieser Beziehungen angesehen wurden, nichts dergleichen tun:

Der Vatikan sowie die meisten anderen christlichen Kirchen tragen die Verantwortung für die anhaltende Diskriminierung von Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen, indem sie biblische Gründe geltend machen, um ihre Verurteilung zu rechtfertigen. Die Autor*innen des neuen Berichtes wollen daher verständlicherweise dazu beitragen, diese „grausame und falsche Lehre“ zu beenden.

Foto: Interscope Records


INFO

Das Katholische LSBT+Komitee ist ein kirchenpolitisches Arbeitsbündnis von Katholik*innen aus verschiedenen christlichen LSBT+Gruppen und setzt sich für die Gleichberechtigung von LSBT+Personen in der römisch-katholischen Kirche ein. Zu den Mitgliedsgruppen zählen Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V., Netzwerk Katholischer Lesben e.V. (NkaL), AG Schwule Theologie e.V., Katholische Schwule Priestergruppen Deutschlands (KSPD), KjGay der KjG (Katholische junge Gemeinde), Lesbischwule Gottesdienstgemeinschaften (LSGG), Initiative Homo Cusanus und Einzelpersonen.

Das Wijngaards-Institut für katholische Forschung ist eine Bildungseinrichtung mit Sitz in London, die sich der akademischen Forschung von Theolog:innen und Akademiker:innen aller Disziplinen widmet, um die Lehre der Kirche in Frage zu stellen, wo sie auf Vorurteilen und der Fehlinterpretation von Texten beruht. Unser letzter Bericht über die Ethik der Empfängnisverhütung wurde bei einer von der UNO durchgeführten Veranstaltung vorgestellt und führte zu einem Treffen mit dem Leiter der Päpstlichen Akademie für das Leben im Vatikan, um unsere Ergebnisse und Empfehlungen zu diskutieren.

Back to topbutton