Jung, weiß, wohlhabend, männlich und weniger tolerant?

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Eine Studie belegt den Zusammenhang zwischen fehlender öffentlicher Repräsentation der LGBTIQ*-Community und Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Das Beispiel Ungarn zeigt aktuell wieder, dass die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oft damit einhergeht, sie in ihrer Repräsentation einzuschränken. Denn Sichtbarkeit schafft Akzeptanz. So erleben Queers in Ländern mit weniger LGBTIQ*-Repräsentation größere Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung von Getty Images. Die Visual-GPS-Umfrage ergab, dass weltweit nur 21 Prozent der Befragten regelmäßig oder häufig visuelle Darstellungen von queeren Menschen in der Werbung oder den Medien wahrnehmen. In Deutschland sind die Zahlen noch niedriger: Hier gaben lediglich 13 Prozent der Befragten an, LGBTIQ*-Menschen regelmäßig visuell dargestellt zu sehen.

Grafik: Getty Images / GLAAD

„Wir wissen zwar, dass sich eine stärkere Repräsentation positiv auf die Akzeptanz auswirkt, aber unsere Untersuchungen haben auch gezeigt, dass LGBTQ+-Personen in den Medien nach wie vor stark unterrepräsentiert sind“, sagt Jacqueline Bourke, Head of Creative Insights für EMEA bei Getty Images und iStock.

„Und selbst, wenn diese Community vertreten ist, verlassen sich Unternehmen und Medien zu sehr auf stereotype, nicht authentische Bilder.“

In der Tat sind visuelle Darstellungen der Community sehr oft starr und stereotyp. So stellen 30 Prozent solcher Bilder schwule Männer als „weiblich“ dar, im Umkehrschluss werden lesbische Frauen in 29 Prozent solcher Bilder als „männlich“ dargestellt. 29 Prozent der Bilder bringen Queers in irgendeiner Form mit der Regenbogenfahne in Verbindung. 

„The Visibility Project“

Gemeinsam mit Procter & Gamble startete die Non-Profit-Organisation GLAAD (Gay and Lesbian Alliance Against Defamation) die Initiative The Visibility Project. Das Projekt zielt darauf ab, mit abschätzigen, klischeehaften Stereotypen zu brechen und die Sichtbarkeit der Community in der Werbung stattdessen mit vielfältigeren LGBTIQ*-Bildern zu erhöhen.

Eine im Februar 2021 durchgeführte Studie „LGBTQ Inclusion in Advertising and Media, Advertiser and Agency Perspectives“ kommt zu dem Ergebnis, dass fast 80 Prozent der Marketer und Werbeschaffenden denken, es sei schwierig, „die LGBTQ-Gemeinschaft angemessen zu repräsentieren, weil die Gemeinschaft kompliziert ist und viele Nuancen hat“. Von den 200 befragten Marketing- und Werbemanager*innen sind zudem 81 Prozent der Meinung, dass eine „unauthentische Darstellung von LGBTIQ*-Personen zu einem größeren Backlash führen würde, als sie überhaupt nicht zu berücksichtigen“. Außerdem geben 61 Prozent der Werbetreibenden und 28 Prozent der Agenturen an, die Sorge über eine möglicherweise unauthentische Darstellung bzw. die Reaktion von LGBTIQ*-Konsument*innen halte sie stärker davor zurück, die LGBTIQ*-Community einzubeziehen, als die Angst vor öffentlichen Gegenreaktionen. So bleiben visuelle Darstellung von LGBTIQ*s, wenn überhaupt, oft einseitig und stereotyp.

LGBTQ+ Guidebook for Inclusive Visual Storytelling“

Um das zu ändern, hat sich GLAAD mit Getty Images, einer der weltweit führenden Agenturen für visuelle Kommunikation, zusammengetan und einen Leitfaden für inklusives visuelles Storytelling entwickelt. Das LGBTQ+ Guidebook for Inclusive Visual Storytelling gibt Marken und Unternehmen Handlungsempfehlungen, wie sie visuelle Entscheidungen inklusiver treffen können, wenn sie die breite LGBTIQ*-Community darstellen.

„Der Leitfaden, den wir gemeinsam mit Getty Images erstellt haben, soll Marken und Unternehmen jeder Größe das nötige Vertrauen geben, die LGBTQ+-Community auf integrative, authentische und durchdachte Weise darzustellen, ohne Angst vor einem Backlash oder der Befürchtung, etwas ‚falsch‘ zu machen“, sagt Nick Adams, Director of Transgender Representation bei GLAAD.

„Anstatt vor Darstellungen zurückzuschrecken oder auf Stereotypen zurückzugreifen, haben wir einen Leitfaden erstellt, der zeigt, wie die LGBTQ+-Community authentisch auf eine Art und Weise dargestellt werden kann, die dauerhafte Bindung schafft.“

Dabei geht es den Macher*innen nicht nur um schwul-lesbische (und vielleicht noch bisexuelle) Darstellungen. Das Stichwort lautet intersektionales Storytelling. Denn das

in Werbung und Medien vorherrschende Bild von Menschen der queeren Community ist jung, weiß, wohlhabend und männlich

Das schließt die Erfahrungen anderer Personen der Gruppe aus und kann sogar innerhalb der Community Vorurteile schaffen bzw. diese verstärken. Fehlende Sichtbarkeit erhöht die Gefahr der Marginalisierung. Gerade deshalb ist Intersektionalität im Storytelling, die auch Fragen zu Geschlechtsidentität von nicht-binären und trans* Personen oder die Darstellung von Intersexualität beinhaltet, für die LGBTIQ*-Community so wichtig, 

Hintergrund Intersektionalität

Intersektionalität beschreibt die Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungserfahrungen einer Person. Die Professorin und Juristin Kimberlé Crenshaw prägte den Begriff vor über 30 Jahren, um damit jene mehrdimensionalen Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse zu beschreiben, die sich für sie nicht allein mit der Kategorie „Geschlecht“ erklären ließen. Crenshaw, die selbst schwarz ist, erkannte, dass die Solidarität unter People of Color genauso wenig selbstverständlich ist, wie die Solidarität weißer Feministinnen mit schwarzen Frauen.

Das zeigt, wie vielschichtig und komplex Diskriminierung ist und dass auch innerhalb der LGBTIQ*-Community Solidarität keine Selbstverständlichkeit ist. So kann ein queerer Rentner mit einer Behinderung aufgrund seines Alters, seiner sexuellen Orientierung oder seiner Behinderung ausgegrenzt oder diskriminiert werden – oder alles auf einmal. Oder einem trans* Mann werden (solange nicht bekannt ist, dass er trans* ist) Privilegien des Mannseins zugestanden, gleichzeitig kann er aber aufgrund anderer Merkmale ausgegrenzt oder diskriminiert werden. Ähnlich verhält es sich mit jungen, weißen und wohlhabenden Schwulen, die als Männer mit gesichertem sozialen Status nicht von einer bestimmen Art der Diskriminierung betroffen sind und deshalb vielleicht weniger dazu geneigt sind, schwächere Teile der Community zu verteidigen, wenn diese angegriffen werden. 

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