Debatte um Artikel 3: SPD in der GroKo-Falle

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FDP, DIE LINKE und Bündnis90/Grüne haben zum 70. Grundgesetz-Geburtstag im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Diskriminierungsschutzes eingebracht. Endlich! Denn die Debatte wird seit 30 Jahren geführt. Die SPD steckt in der Zwickmühle.

Foto: S. Ahlefeld

Zwar ist es offizielle Parteilinie der SPD, Artikel 3 um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu erweitern, im Koalitionsvertrag mit der Union für diese Legislaturperiode sind aber Grundgesetzänderungen explizit negiert. Wie also mit dem Vorstoß umgehen? Beobachter des politischen Betriebes fühlen sich an die Diskussion um die #Ehefüralle erinnert: Es wird wohl kaum auf einen Bruch der Koalition hinauslaufen und die SPD wird als geprügelter Hund vom Platz gehen müssen. Das ist aber auch in Ordnung, denn niemand zwingt die SPD mit der Union zu koalieren. Und niemand missversteht, dass Letztere der wahre Verweigerer ist. Noch. Mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak ist zumindest eine erste Stimme aus dem konservativen Lager für die Änderung. Insofern ist der vorgelegte Gesetzesentwurf auch kein Wahlkampfgetöse, sondern wertvoller Beitrag zur politischen Diskussion und Meinungsbildung.

Warum Artikel 3 ergänzen?

Foto: C. Knuth

Artikel 3 war als Antwort auf die gruppenbezogene Verfolgung der Nationalsozialisten formuliert worden. Da aber der Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, auch in der Bundesrepublik in Kraft blieb, fand die sexuelle Identität keinen Einzug in die Auflistung in Absatz 3:

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Artikel 3, Absatz 3, GG

Foto: Sandro Halank / Wikimedia / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0

Ohne diese explizite Nennung wurde die Strafverfolgung Homosexueller in Deutschland unter dem Paragrafen 175 in Karlsruhe bereits für verfassungskonform erachtet. Auf dieses Urteil aus dem Jahr 1957 angesprochen schämte sich der oberste Verfassungsrichter der Bundesrepublik, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle in einer ARD-Sendung am 22. Mai öffentlich:

„Das ist ein dunkles Urteil des Bundesverfassungsgerichts. ... Das Urteil gehört zu den Urteilen, für die man sich heute als Verfassungsrichter etwas schämen muss. Da haben Sie Recht."

Ein bemerkenswerter Vorgang der deutlich macht, dass selbst das oberste Gericht unseres Landes fehlbar sein kann, wenn Gesetzestexte vage bleiben. Würde eine Regierung die Rechte von LGBTIQ* wieder einzuschränken versuchen, könnte nur eine klare Nennung in Artikel 3 des Grundgesetzes dieses wirklich verhindern.

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