#GrundgesetzFürAlle: Schützt uns endlich!

by ,

Über 70 Jahre Grundgesetz, aber Sicherheit und Gleichberechtigung vieler queerer Menschen können immer noch nicht gewährleistet werden. Eine neue Kampagne mit über 100 prominenten Unterstützer*innen, Vereinen und Initiativen will das ändern.

Foto: C. Knuth

Seit 2009 (wir berichteten) gibt es immer wieder aktivistische Vorstöße den Artikel 3 Absatz 3 im Grundgesetz, um sexuelle und geschlechtliche Identität zu erweitern. Dieser wurde nach den Verbrechen Nazi-Deutschlands in der Verfassung der BRD so verfasst, um möglichst alle Verfolgten der Nazis in der Zukunft zu schützen. Der bisherige Antidiskriminierungsparagraf lautet folgendermaßen:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

Erste Erfolge einer Grundrechtsreform konnten auf der Landesebene verzeichnet werden, da einige Bundesländer ihre Landesverfassung angepasst haben, um queere Menschen explizit zu nennen und somit unter rechtlichen Schutz stellen zu können.

2019 entwarfen die Oppositionsparteien Bündnis 90/ Die Grünen, Die Linke und FDP einen Gesetzesentwurf, um Artikel 3 Absatz 3 mit den Zusätzen sexuelle und geschlechtliche Identität zu ergänzen (wir berichteten). Das Grundgesetz kann jedoch nur durch eine 2/3-Mehrheit geändert werden, was bedeutet, dass ohne die Zustimmung der CDU/CSU kein Erfolg möglich ist. Der Gesetzentwurf wurde durch die CDU/CSU und die SPD, die nicht gegen ihren Koalitionspartner stimmen wollte, in die Ausschüsse verwiesen und verstaubt dort seit dem. 

Foto: S. Ahlefeld

Bemerkenswert: Erstmals wurde im Zuge der Ausschussanhörung von der CDU/CSU-Fraktion ein Berater vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eingeladen. Einzelne Stimmen der konservativen Partei, die bis dahin geschlossen gegen eine Ergänzung auftrat, sprachen sich – wie auch alle geladenen Sachverständigen – für die Grundgesetzänderung aus. 

Breites Bündnis will aktuelle Debatte um den Begriff Rasse nutzen

Foto: #grundgesetzfüralle

Im Zuge der Diskussion um eine Ersetzung des Begriffes Rasse im Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, appelliert die Kampagne Grundgesetz für Alle seit gestern den Artikel für queere Menschen noch in der laufenden Legislaturperiode anzupassen. Die sexuelle und geschlechtliche Identität, die für queere Menschen Grund für institutionelle und zwischenmenschliche Diskriminierung sei, müsse in dem Absatz explizit genannt werden. Die Justiz könne nur Rechte schützen, die im Gesetzestext stehen. Die Rechte, die im Grundgesetz beschrieben werden, sind das Fundament für alle anderen Gesetze. Verstoßen Gesetze gegen das Grundgesetz, werden sie vom Bundesverfassungsgericht ungültig erklärt. Dazu gleich mehr. 

Änderungen des Grundgesetzes sind nur mit einer 2/3-Mehrheit im Bundestag möglich. Die LGBTIQ*-politischen Abgeordneten Doris Achelwilm (Die Linke), Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) und Jens Brandenburg (FDP), die auch den Gesetzesentwurf zur Grundrechtsreform 2019 verfasst haben, äußerten sich folgendermaßen zu der Kampagne:

Wir freuen uns über den starken Rückenwind aus der Community! Das Grundgesetz muss queere Menschen dauerhaft vor Diskriminierung schützen. Eine Ergänzung des Artikel 3 um „sexuelle Identität“ und die Klarstellung bezüglich inter- und transgeschlechtlicher Menschen sind überfällig. Unser von allen Sachverständigen unterstützter Gesetzentwurf liegt längst vor.  {... } Wir laden die Koalitionsfraktionen ein, noch in dieser Legislaturperiode eine gemeinsame Lösung zu finden."

Über 100 prominente Unterzeichner*ìnnen und Organisationen

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Die Kampagne Grundgesetz für Alle vereint hinter sich über 60 queere Organisationen wie den LSVDBiNe - Bisexuelles Netzwerk und die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, sowie einige berühmte Einzelpersonen. Darunter fallen Anne Will (Moderatorin), Udo Lindenberg (Sänger), Carolin Emcke (Autorin und Publizistin), Linus Giese (Autor und Buchhändler), Raul Krauthausen (Aktivist) und Maïmouna Obot  (Juristin und Menschenrechtlerin). Neben der Unterstützung von Organisationen und Berühmtheiten setzt die Kampagne auf den lauten Support der Gesellschaft. Aus diesem Grund gibt es zu der Kampagne auch eine eigene Petition und Hashtag-Aktion.

Hintergrund: Warum wird die Ergänzung des Artikel 3 gefordert?

Ein im Grundgesetz verankerter Schutz von queeren Menschen wäre in Deutschland von zentraler Bedeutung, da Queerfeindlichkeit eine bis heute historische Kontinuität darstellt. Vier Beispiele dazu:

Foto: Friedrich-Naumann-Stiftung

Eine seit dem Nationalsozialismus bestehende Gefahr für queere Menschen erlebt mit dem deutlichen Rechtsruck in der Gesellschaft wieder Auftrieb. Er zeigt sich beispielsweise in Form der AfD, die seit 2014 in deutschen Parlamenten sitzt (wir berichteten). Er untermauert die Notwendigkeit, aktiv  gegen Queerfeindlichkeit vorzugehen und für Respekt einzutreten. Eine Verankerung von Rechten für LGBTIQ* im Grundgesetz würde deshalb für heute und morgen den Schutz von queeren Menschen sichern. Das erhoffen sich zumindest die Initiator*innen und Zeichner*innen der Kampagne #GrundgesetzFürAlle. 


Fazit (Meinung)

Es gibt kein automatische Emanzipation auf die wie vertrauen könnten. Deutschland ist historisch und aktuell oft kein sicheres Land für queere Menschen und muss ihnen sowohl mehr Schutz bieten als auch weitere Schritte unternehmen, um sie zu gleichwertigen Bürger*innen zu machen. Eine Verankerung von sexueller und geschlechtlicher Identität im Grundgesetz wäre ein sehr wichtiger Schritt, um queerefeindliche Diskriminierungen auf allen Ebenen illegal und strafbar zu machen. Die seit gestern entstandenen Solidarität und Unterstützung in der Mehrheitsgesellschaft sollte den Koalitionären auf der Unionsseite einen letzten Ruck gegeben, diese 150-jährige Verfolgungsgeschichte ein für alle mal zu beenden.   


*Victoria Forkel und Christian Knuth

Back to topbutton