hinnerk Recherche zum NDR-Staatsvertrag: Muslime und Gedöns

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Was haben das ZDF, Radio Bremen und der MDR, was der NDR nicht hat? Eine

diversifizierte Aufstellung ihrer Kontrollgremien, dem jeweiligen Rundfunk- bzw. Fernsehrat. Inklusive Vertreter*innen, die die Communitys der LGBTIQ* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender/Transsexuelle, Intersexuelle) repräsentieren und vertreten.

Warum der NDR dies trotz aktueller Novellierung des Staatsvertrages zwischen Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und eines entsprechenden Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts nicht hat, ist Gegenstand der Titelstory der Samstag erschienenen neuen Ausgabe von Hamburgs queerem Magazin hinnerk:

Vielfaltsicherung auf Platt

Die Enttäuschung war groß, als der Lesben und Schwulenverband Deutschland (LSVD) Mitte Februar  von den Verhandlungen erfuhr: Die im Entwurf beschriebene Neuaufstellung des Gremiums entsprach nicht den Erwartungen, die ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag aus 2014 grundsätzlich und damit auch für den NDR weckt:

„Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten.“

Queere Repräsentation soll aber auch weiterhin im NDR-Rundfunkrat nicht stattfinden, obwohl LGBTIQ*-Personen mit zehn Prozent durchaus einen gewichtigen Teil der „gesellschaftlichen Vielfalt“ darstellen (sollten) – gleiches gilt für den hohen Anteil muslimischer Mitbürger*innen. Und das nur wenige Wochen nach der bundesweiten Aufmerksamkeit für die Coming-out-Kampagne #ActOut

Keine Antwort an den LSVD

Ein Brief des LSVD vom 18. Februar an alle vier Landeschef*innen blieb unbeantwortet, bis sich hinnerk Mitte März schriftlich an das Büro von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher wandte. Der delegierte zwar an die Hamburger Kulturbehörde,  jene erklärte, dass es nicht an Hamburg gelegen habe. Zudem hätten die Länder aus Sparzwängen auf weitere Änderungen verzichtet. 

„Auf Grund der nicht erfolgten Erhöhung des Rundfunkbeitrages durch die verweigerte Zustimmung von Sachsen-Anhalt, die derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, wurde die Neujustierung des Rundfunkrates jedoch zunächst verschoben. {...} Alle vier NDR-Länder eint aber der feste politische Wille, bei einer künftigen Reform weitere Interessengruppen und Verbände in den Rundfunkrat einzubeziehen, um auf diese Weise die Vielfalt der Bevölkerung in Norddeutschland möglichst gut zu repräsentieren." 

Nicht erklärt wird, warum der LSVD keine Antwort auf sein Schreiben erhielt. Nicht erklärt wird, was genau die Finanzierungsfrage mit der Vielfaltssicherung zu tun hat. Immerhin wäre es sogar ohne Umbau der Vergütungsstruktur ein Einfaches, die Zusammensetzung des Rates bei gleichbleibender Mitgliederzahl diverser auszurichten. Das sieht auch der LSVD so:

„Dass nun die nicht erfolgte Erhöhung des Rundfunkbeitrages noch bemüht wird, um LSBTI und weiteren Gruppen im NDR Sitz und Stimme zu verweigern, ist hanebüchener Unsinn.“ 

Parlamente müssen zustimmen

Auch wenn die Länderchef*innen den Vertrag schon unterzeichnet haben, müssen die Parlamente in Schwerin, Kiel, Hannover und Hamburg noch zustimmen. Zumindest in der Hamburger Bürgerschaft regt sich auf der Regierungsseite Widerstand gegen den Alleingang von 1. Bürgermeister und Kulturbehörde. 

Foto: Roman Holst / instagram.com/roman_holst

Foto: Roman Holst / instagram.com/roman_holst

„Sobald der Staatsvertrag die Hamburgische Bürgerschaft erreicht, werden sich die Regierungsfraktionen SPD und Grüne für einen Antrag einsetzen, um deutlich zu machen, dass mehr Vielfalt dem Rundfunkrat gut tut und deshalb braucht es u.a. einen Platz für die LSBT*IQ-Community.“

Farid Müller, medien- und queerpolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion

Simon Kuschinke, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und Sprecher für LSBT*I

Ob anstehende Wahlkämpfe, die SPD-interne Diskussion über Identitätspolitik und Genderfragen und der Druck vom rechten Rand, besonders in Mecklenburg-Vorpommern, ausschlaggebend für dieses Nichtglanzstück politischer Willensbildung sind, bleibt Rathausflurgetuschel. 

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