INTERVIEW: Johannes Kahrs

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Er sitzt bereits seit 1998 für den Wahlkreis Hamburg-Mitte im Bundestag und ist dort die lauteste Stimme der SPD, wenn es um die Gleichstellung Homosexueller geht. Seit 2008 kümmert sich der Sprecher des Seeheimer Kreises als Beauftragter der SPD-Fraktion auch ganz offiziell um die Belange von Lesben und Schwulen. Wir trafen uns zum Gespräch und sprachen auch darüber, wie Kahrs ganz konkret die Politikverdrossenheit bekämpft.

SIE SIND SOZUSAGEN SCHON DURCH DIE MUTTERMILCH POLITISCH GEPRÄGT SIE STAMMEN AUS EINER BREMER POLITIKERFAMILIE. WAR ES DA IMMER KLAR, DASS SIE AUCH DIESEN BERUFSWEG WÄHLEN?

Nein, eigentlich nicht. Ich war früher immer der kleine Kahrs, der Sohn meiner Eltern. Daher habe ich mit der politischen Arbeit erst in Hamburg angefangen, wo ich mir neue Freunde und Feinde dann selbstständig hart erarbeitet habe.

KINDER ENTWICKELN SICH GERNE GEGENSÄTZLICH ZU DEN ÜBERZEUGUNGEN DER ELTERN. SIE SIND TROTZDEM WIE IHRE ELTERN IN DER SPD BEHEIMATET. WARUM EIGENTLICH?

Nun, ich bin 1982 wegen Helmut Schmidt in die SPD eingetreten, als aus Helmut Schmidt Helmut Kohl wurde, was nicht nur suboptimal war, sondern einfach mal gar nicht ging. So wurde ich dann Sozialdemokrat und bin dies bis heute geblieben. Klar, ich bin ich nicht der linkeste Sozialdemokrat, bin ein sehr pragmatischer Politiker, was sicher aus meinen Erfahrungen in der Kommunalpolitik abzuleiten ist. Menschen wollen pragmatische Lösungen.

DIE AUSSTELLUNG LIBERALES HAMBURG? HOMOSEXUELLENVERFOLGUNG DURCH POLIZEI UND JUSTIZ NACH 1945 GREIFT EIN FINSTERES KAPITEL DEUTSCHER NACHKRIEGSPOLITIK AUF. AUCH SIE HABEN IM BUNDESTAG EINE AUFHEBUNG DER URTEILE NACH § 175 GEFORDERT ...

Was da unter den Augen aller in deutschen Gerichten gelaufen ist, war menschenverachtend und unanständig. Es ist die dunkle Vorgeschichte dessen, was wir gerade erst wieder beim HAMBURG PRIDE in aller Farbenpracht und Weltoffenheit feiern konnten, und ich finde, es gehört sich, zum einen bei den wenigen noch lebenden Betroffenen Wiedergutmachung zu leisten und andererseits aber auch der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, indem man klar sagt: Das war Unrecht! Es waren ja nicht nur Richter, die hinter diesen Urteilen standen, sondern ein großer Teil der Bevölkerung, der damit einverstanden war. Es gibt heute Menschen, die immer noch die gleiche Scheiße vertreten und denen zu sagen, dass das nicht geht, dass das Unrecht war und ist, ist ein wichtiger Aspekt dieser Forderung. Ich erwarte von einer Bundesregierung, die es ernst mit der Versöhnung meint, dass sie einen Weg findet, diese Unrechtsurteile zurückzunehmen.

HÄTTEN SIE INTERESSE DARAN, DIE TRADITION DER HINNERK-FAHRTEN NACH BERLIN WIEDER AUFLEBEN ZU LASSEN, ALSO EINE DIESER FAHRTEN UNTER DEM ZEICHEN DES REGENBOGENS STATTFINDEN ZU LASSEN?

Ja natürlich, sehr gerne. Das war ja lange eine Tradition und ist dann eingeschlafen. Ich habe es gerne gemacht und würde es gerne wieder machen. Man erreicht bei diesen Fahrten viele Menschen, die sonst nicht in der Szene anzutreffen sind, die nicht auf den Partys oder beim CSD dabei sind. Ganz ehrlich: Ich glaube, viele meiner Mitfahrer fahren gar nicht unbedingt wegen mir mit, sondern weil sie für 25 Euro einen Tag Berlin inklusive Stadtrundfahrt, Reichstagsführung und Reichstagskuppel ohne großes Anstehen bekommen.

ABER TROTZDEM KOMMT ES DOCH ZU POLITISCHEN GESPRÄCHEN?

Natürlich. Eine der häufigsten Fragen ist die, warum im Reichstag so oft kaum Abgeordnete zu sehen sind. Das kann man dann super erklären und auch aktuelle politische Themen einfließen lassen. Danach hat man dann noch vier Stunden Freizeit in Berlin, und so gibt das eine runde Sache.

MACHT DAS DENN NOCH SPASS?

Also ganz im Ernst: Achtzig Mal im Jahr mit dem Bus nach Berlin und zusätzlich noch rund hundert Reichstagstouren mit Gruppen, die aus Hamburg gerade in Berlin sind brauchen tu ich das nicht. Aber, und da liegt des Pudels Kern: Man kann nicht auf der einen Seite über Politikverdrossenheit reden und dann erwarten, dass sich das mit einer Sonntagsrede des Bundespräsidenten ändert. Die Menschen wollen Nähe, die wollen Politik zum Anfassen. Wenn man als Mitfahrer dann zu Hause in der Familie den Bundestag in der Tagesschau sieht und den Kahrs reden hört, dann schafft das eine Verbindung, ein Da war ich auch! Das genau leisten diese Fahrten, und darum mache ich sie gerne.

UND SIE MACHEN HAUSBESUCHE, ALSO DAS, WAS PEER STEINBRÜCK GERADE FÜR SICH ENTDECKT ...

Ja, das mache ich auch schon sehr lange. Es heißt Kuchen bringt er mit. Jeder kann auf meiner Webseite Kommentare hinterlassen und mir seine Kontaktdaten senden. Ich komme dann mit Butterkuchen und Bienenstich vorbei, hätte gerne einen Tee und schnacke über die Themen, die dem Wähler unter den Nägeln brennen.

WAS BRENNT NACH DIESER LEGISLATUR UNTER DEN NÄGELN?

Mich nervt eine Sache ganz besonders: Herrn Geis und Frau Steinbach nehme ich es ab, dass sie die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen ablehnen. Die sind so. Frau Merkel, Herr Schäuble und Herr Kauder glauben aber selber nicht, was sie da von sich geben, sondern machen das, um ihre rechten, konservativen Stammwähler zu halten. Das geht mir auf den Senkel, das ist unanständig, weil es Auswirkungen hat. Auswirkungen auf den 16-jährigen Homosexuellen, der das im Fernsehen hört und in seinem Coming-out-Prozess zurückgeworfen wird, weil vielleicht sein Vater oder sein Arbeitgeber Merkel oder Kauder hören und zustimmend nicken, wenn es da heißt, Gleichstellung nicht mit uns. Diese Bigotterie zu beenden, brennt mir unter den Nägeln.

*Interview: Christian Knuth

WWW.KAHRS.DE

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