Video: „Empathie um mehr wissen zu wollen ... “

by ,

Der Druck auf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wächst weiter: Nachdem am 31. Januar in der Gedenkstunde des Bundestages wieder nicht gesondert auf das Leiden Homosexueller aufmerksam gemacht wurde, hat unser Filmteam Politikerstimmen eingefangen.

Gleichzeitig erneuerte die Initiative um Historiker Lutz van Dijk ihre Petition (blu berichtete) an den Bundestagspräsidenten, spätestens 2021 der Opfergruppe der Homosexuellen zu gedenken. In einem offenen Brief bezogen sich die Initiatoren auf die Rede Schäubles zur Gedenkstunde – wir dokumentieren den Brief:

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Dr. Schäuble,                                                         

in der diesjährigen Gedenkstunde  im Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus haben Sie aus einem Werk über den Golem aus Prag zitiert:

Allmählich, wenn das Wissen kommt, kommt auch die Erinnerung. Wissen und Erinnerung sind dasselbe …”  Und etwas später sprechen Sie die Worte: „Weil es Empathie braucht, um mehr wissen zu wollen, um zu verstehen.

Gleichwohl bewegen Sie sich keinen Millimeter in Bezug auf sexuelle Minderheiten, die in der NS-Zeit litten, verfolgt und ermordet wurden – wie seit 1996 Standard werden „Homosexuelle” einmal in Ihrer Aufzählung der Opfergruppen erwähnt. In dem ansonsten bewegenden und fundierten Vortrag von Prof. Dr. Saul Friedländer werden auch Opfergruppen benannt, die nicht vergessen werden dürfen – hier jedoch sind „Homosexuelle” bereits wieder vergessen.  Ein Versehen ? Eine Entscheidung ?

Fraglos hat es auch mit dem mangelnden Wissen über die Opfergruppe der sexuellen Minderheiten zu tun.

Wissen und Erinnerung sind dasselbe.”

Die Forschung in Bezug auf die Opfergruppe sexueller Minderheiten setzte erst Jahrzehnte nach 1945 ein.  Weil deren Verfolgung eben nicht 1945 endete. Für viele Überlebende kam sie zu spät. Es ist kein Zufall, dass Herr Prof. Dr. Friedländer bereits für die Gruppe verfolgter Kinder sprach – wer damals erwachsen war und überlebt hat, ist inzwischen zumeist verstorben.

Wie lange sollen wir weiter warten ? Warum gibt es Ihre zutreffend eingeforderte Empathie nicht für die Opfergruppe der sexuellen Minderheiten ?

Können Sie sich vielleicht doch einfühlen, warum es gerade für ältere  Mitglieder sexueller Minderheiten schmerzlich ist, von Ihnen zu hören, dass Sie, Herr Bundestagspräsident, „nach wie vor keine Veranlassung (sehen), sich bereits jetzt mit der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust im Januar 2021 zu befassen“ (Ihr Schreiben vom 18.1. 2019)? Intern haben Sie nun eine Mitarbeiterin beauftragt, auf alle in der Sache eingehenden Nachfragen und Bitten zu antworten. Ob Sie diese Anschreiben nun überhaupt noch persönlich erreichen ? Oder nur noch wenn sie auch Presse-Schlagzeilen mit sich bringen ?

Foto: Nika Kramer/URBAN NATION

Seit Ihrer neuerlichen Absage und Vertröstung hat unser Anliegen zahlreiche neue Unterstützung im breiten gesellschaftspolitischen Spektrum erhalten. So unterzeichneten unsere Petition zum Beispiel der DGB Vorsitzende Reiner Hoffmann und die stellvertretende DGB Vorsitzende Elke Hannack. Aus Ihrer Fraktion im Bundestag hat der CDU-Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak einen eigenen Appell an Sie gerichtet. 

Es gab eine Anfrage vom BBC aus London, um auszusagen in einem Dokumentarfilm zu den vergessenen LGBTIQ Opfern der NS-Zeit und unserer Petition an Sie. Und es gab die Anfrage einer persönlich betroffenen Frau aus den USA, die berichten möchte vom Leid jener Kinder, die im Konzentrationslager Auschwitz von Dr. Mengele für medizinische Experimente missbraucht und ermordet wurden, weil sie mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren worden waren.

Wissen und Erinnerung sind dasselbe.”

Wir werden nicht schweigen und nicht erneut geduldig sein. Mit uns gibt es viele Menschen in Deutschland und anderen Ländern, die die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch im Bundestag spätestens am 27. Januar 2021 die Leiden sexueller Minderheiten im Nationalsozialismus Anerkennung finden und damit auch heutiges Unrecht einen historischen Bezug erhält.

Mit freundlichen Grüßen an Sie und Ihr Präsidium,

im Auftrag von inzwischen ausgewählten 150 Unterzeichner*innen unserer Petition

Lutz van Dijk"

Back to topbutton