Keine frohe Weihnacht für Wahlfamilien in 11 Bundesländern

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Originalbeitrag vom 19. Dezember 2020

#kolumne * Kontaktbeschränkungen grundgesetzwidrig?

Verwirrung und Ärger rief der Bund-Länder-Beschluss mit seinen Kontaktbeschränkungslockerungen für Weihnachten hervor. Sind in „Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ die besten Freunde der Wahlfamilie mitgemeint? Wenn nein, was dann? Was bedeutet das für Regenbogen-Patchwork-Wahlfamilien? Rechtsanwalt Sven-Uwe Blum in seiner Kolumne „männer* im Recht“.

Wen darf ich zu Weihnachten bei mir haben?

Die aktuelle Bund-Länder-Verordnung ist eindeutig nach konservativem Denkmuster gestrickt. Sie lautet:

„In Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Infektionsgeschehen werden die Länder vom 24. Dezember bis zum 26. Dezember 2020 -als Ausnahme von den sonst geltenden Kontaktbeschränkungen- während dieser Zeit Treffen mit 4 über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis, also Ehegatten, Lebenspartnern und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sowie Verwandten in gerader Linie, Geschwistern, Geschwisterkindern und deren jeweiligen Haushaltsangehörigen zulassen, auch wenn dies mehr als zwei Hausstände oder 5 Personen über 14 Jahren bedeutet. Angesichts des anhaltend hohen Infektionsgeschehens wird noch einmal eindrücklich an die Bürgerinnen und Bürger appelliert, Kontakte in den fünf bis sieben Tagen vor Familientreffen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren (Schutzwoche).“

Zur Familie gehört demnach, wer blutsverwandt ist, in einer Patchwork-Familie zumindest Kinder in die Welt gesetzt hat, oder sich zumindest deutlich monogam verpartnert hat, selbst wenn man* den Begriff der nichtehelichen Lebensgemeinschaft so weit fasst, wie es das Bundesverfassungsgericht tut:

„Danach ist eine nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine Beziehung zu sehen, die auf unbestimmte Dauer angelegt ist, sich durch innere Beziehungen der Partner zueinander auszeichnet und neben sich keine weiteren Lebensgemeinschaften weiterer Art zulässt. Es muss zu erwarten sein, dass die Bindungen der Partner zueinander so eng sind, dass sie auch in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Aus diesem Grund wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft auch als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bezeichnet.“

(vergleiche BVerfG FamRZ 1993 S. 164)

Wer „nur Freunde“ trifft, kann ins Visier von Polizei und Ordnungskräften geraten.

Verschiedene politische Kräfte haben dies bereits erkannt, so etwa DIE LINKE queer am 14. Dezember:

„Drei befreundete Singles dürfen sich demzufolge an Weihnachten nicht treffen, fünf miteinander verwandte Personen hingegen schon. Mit epidemiologischen Erkenntnissen hat das nichts zu tun, mit einem völlig antiquierten Familien- und Gesellschaftsbild der Regierungschef*innen hingegen alles."


Rechtliche Einschätzung

Der Beschluss ist nur aufgrund des bestimmten Zweckes erlassen worden. Dieser Zweck ist daran gebunden, zwischenmenschliche Kontakte auf ein gebotenes Mindestmaß zu reduzieren. Die verordneten Maßnahmen sollten dabei klar, einfach nachvollziehbar und verständlich erfolgen. Zudem sollten sie für alle Bürger einen ähnlichen, vergleichbaren Grundrechtseingriff darstellen in vergleichbaren Situationen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Der Beschluss vom 13. Dezember und die bisher bekannten Landesverordnungen (Ausnahme Stand 16. Dezember 2020: Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt) lassen aber alle Lebenskonzepte unter den Tisch fallen, die nicht ins heteronormative Familienbild passen.

Wenn tatsächlich über Weihnachten Ordnungswidrigkeiten zur Anzeige gebracht werden, weil die von den Verordnungen vorgesehenen Personenzahlen überschritten werden und/oder ihr Verwandtschaftsgrad abweicht, gehe ich davon aus, dass sie vor Gericht eine Relativierung erfahren werden.

Menschen ohne Familie im Sinne der Verordnungen, können daher ihre Ersatzfamilie treffen, wenn sie darlegen können, dass diese in einem ähnlichen sozialen Bezugsmuster steht und sich grundsätzlich an die Kontaktreduzierungen gehalten wurde, wie dies bei einer vergleichbaren Familie im Sinne von Beschluss und Verordnungen geschehen wäre. Dies hängt dann im Einzelnen von dem Richter ab, vor dem die Ordnungswidrigkeit verhandelt wird.

Zusammengefasst:

Ein Grundrechtseingriff wie die Verordnungen zur Kontaktreduzierung sollte in seinen Auswirkungen für alle Bürger vergleichbar sein. Spätestens vor Gericht wird das hoffentlich klargestellt und damit die oben beschriebene Ungleichheit relativiert werden.

Eine Lösung ohne Belastung für das Justizsystem hat als erstes Berlin verordnet: Die Kontaktbeschränkung qualifiziert Personen dort nicht, bzw. wertet sie nicht ab, sondern beschränkt sich auf eine einfache Quantifizierung: Give me 5!


Update 25. Dezember 2020

Keine frohe Weihnacht für Wahlfamilien in 11 Bundesländern

Der LSVD aktualisierte die Liste der Länder, die auch Lesben, Schwulen Bisexuellen oder auch einfach nur modernen Heteros eine gleichberechtigte Besuchsregelung einräumten:

In einer früheren Fassung fehlten Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Nach einem Hinweis haben wir den Text dementsprechend aktualisiert. Thüringen hat nach unserem Schreiben die FAQs zu der Corona-Verordnung angepasst.

LSVD auf seiner eigens eingerichteten Infoseite

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