Nachgefragt: Entschädigungskreis der Opfer des § 175 wird erweitert

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Überraschung im Bundestag: Ab sofort können auch homosexuelle Opfer der staatlichen Verfolgung in der Bundesrepublik Entschädigung beantragen, die nicht verurteilt worden sind. Diese Lücke im Entschädigungsgesetz war vorher heftig kritisiert worden.

Foto: Sandra Ludewig

Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Wer als Homosxueller unter den Paragrafen 175, 175a StGB/§151 StGB-DDR in die Fänge der Justiz geriet, konnte auch ohne Verurteilung erhebliche Nachteile erfahren. Schon die Untersuchungshaft oder die bloße Bekanntwerdung eines solchen Verfahrens konnte Jobverlust und damit Einkommens- und Renteneinbußen nach sich ziehen. Das betraf nach Schätzungen der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) rund 50.000 schwule Männer, Historiker Dr. Christian Alexander Wäldner weist in seinem aktuellen Buch „Frauen und § 175 StGB" insgesamt sogar ca. 180.000 Verfahren nach. Diese waren beim 2017 verabschiedeten Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung nicht berücksichtigt worden (blu berichtete).

Johannes Kahrs und Karl-Heinz Brunner, beide SPD, dazu heute in einer überraschenden Pressemitteilung:

„Nicht alles war Recht war, ist auch heute richtig. Wir haben den Entschädigungskreis der Opfer des §§ 175, 175a StGB/§151 StGB-DDR erweitert. Nun erfahren auch Menschen Gerechtigkeit, die allein durch die Anklage wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Schaden erlitten haben. Denn nicht nur eine Verurteilung, auch der bloße Verdacht oder die Anklage haben Menschen an den Rand des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruins gebracht.“

Einigung in den Haushaltsberatungen

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner ist zuständiger Berichterstatter im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und erklärte uns telefonisch, wie es jetzt trotzdem zu einer Einigung kam und was Betroffene tun müssen.

Foto: Sandra Ludewig

Ab wann können sich Opfer der Homosexuellenverfolgung mit einem Entschädigungsanspruch melden?

Unverzüglich. Die verwaltungsrechtlichen Richtlinien werden kurzfristig im Bundesjustizministerium erarbeitet.

Wie war das jetzt so kurzfristig möglich? Die Kritik am Ausschluss dieser Opfergruppe hat ja von Anfang an bestanden und hat sogar zu einer diesbezüglichen Bundesratsinitiative des Landes Berlins geführt.

Die Mittel, die für die Entschädigung vorgesehen waren, sind nicht in dem Maße abgerufen worden wie erwartet, und stehen deshalb zweckgebunden zur Verfügung.

Wie soll ein Betroffener vorgehen?

Ich gehe davon aus, dass das Bundesamt für Justiz wie bei den bisherigen Fällen zuständig bleibt. Das bedeutet, Betroffene können dort einen Antrag auf Entschädigung einreichen. Wichtig ist weiterhin die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Wer zusätzlich noch Nachweise hat, wer zum Beispiel aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurde und dazu Unterlagen hat, sollte diese mit einreichen. Da die Verwaltungsvorschriften wie erwähnt noch erarbeitet werden, kann ich diesen Weg noch nicht hundertprozentig garantieren, aber es wäre analog zur Vorgehensweise bei den Verurteilten, der einfachste und logischste Weg. Bis zum Jahreswechsel sollten aber alle Einzelheiten geklärt sein. Die Zeit drängt, die Betroffenen werden nicht jünger.

*Interview: Christian Knuth

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