Queere Emanzipationsgeschichte Rheinland-Pfalz

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Foto: Dyana Wing So, unsplash.com, gemeinfrei

Mit einem breit angelegten Forschungsprojekt soll die queere Geschichte von Rheinland-Pfalz erforscht und vor allem die strafrechtliche Verfolgung queerer Menschen im Land aufgearbeitet werden; 2012 entschloss dies der rheinland-pfälzische Landtag.

Seitdem hat sich das Forschungsteam um die Historikerin Dr. Kirsten Plötz und den Sexualwissenschaftler und Medizinhistoriker Dr. Günter Grau auf die Suche gemacht: Nach den Biografien queerer Menschen, aber auch nach Biografien derer, die queerfeindliche Gesetze geschaffen haben. „Die Geschichte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*identen und intergeschlechtlichen Menschen kennt Verfolgung und Emanzipation“, erklären Diana Gläßer und Joachim Schulte von QueerNet RLP. Ihr Netzwerk hat sich für die Forschungen engagiert und sie unterstützt.

2020 war thematisch das Jahr des Gedenkens an die Opfer der Verfolgung, 2021 wird hingegen der Emanzipationsbewegung gedacht. 19 Veranstaltungen, quer durchs Bundesland verteilt, erinnern mit Vorträgen, Filmvorführungen und Diskussionsrunden an lokale Persönlichkeiten, lassen Zeitzeug*innen mit der heutigen queeren Generation ins Gespräch kommen und zeigen, wie stark die persönliche Entwicklung von gesellschaftlicher Akzeptanz bestimmt wird.

Wir haben mit Joachim Schulte vom Queernet RLP über das Projekt gesprochen.


Queere Geschichte ist generell kaum wissenschaftlich erforscht. Musste man in Rheinland-Pfalz quasi „bei null“ anfangen, oder gab es schon Forschung, auf der man aufbauen konnte?

Foto: QueerNet RLP

Für den Untersuchungszeitraum 1947 (Gründung des Landes Rheinland-Pfalz) bis 1969, beziehungsweise 1973, gab es keine Forschung. Wir haben damit bei null angefangen. Hinzu kommt, dass die Aktenlage vernichtend gering ist. In der Anfangsphase standen uns 12 Akten aus dem Landeshauptarchiv in Koblenz zur Verfügung, die wenig aussagekräftig sind. Die meisten Akten aus der Nachkriegszeit wurden vernichtet, weil sie vom Archiv für nicht aufbewahrenswert befunden worden waren, was auch mit der generellen Einstellung der handelnden Personen zum Themenfeld Homosexualität zu tun hat. Da der Forschungsbericht von Dr. Grau und Dr. Plötz auch die Zeit der Diktatur beleuchtet, um vor allem die Kontinuität der Verfolgung zu zeigen, konnte hier auf die Untersuchung von B. Jellonek über Homosexualität in der NS Zeit auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz, vor allem der Pfalz, zurückgegriffen werden.

Was hat dich an den Ergebnissen des Forschungsteams am meisten überrascht?

Überrascht hat vor allem der ungeheure Einfluss, den die katholischen Kirche in enger Verknüpfung mit der CDU mit ihrer „Nachkriegserzählung“ hatte. Nicht nur in Rheinland-Pfalz selbst, sondern für die ganze Bundesrepublik: Die Verbrechen der Diktatur aus einer Abwendung des Menschen von „Gottes Führung“ und dessen Sittengesetz zu „erklären“, findet bis heute ihren Niederschlag in der rheinland-pfälzischen Verfassung Artikel 1. Dieser bindet die freie Entfaltung der Persönlichkeit an das Sittengesetz.

Als 1957 das Bundesverfassungsgericht den §175 StGB als „nicht nationalsozialistisches Unrecht“ erklärte und über das Sittengesetz sagte, dass es durch die beiden christlichen Kirchen definiert werde, schloss sich der Kreis der Verfolgung diesmal mit „christlicher“ Begründung. Führende Vertreter dieser Richtung kamen aus Rheinland-Pfalz und haben auch Bundesgeschichte geschrieben mit der „Reform“ des Familienrechts inklusive des Scheidungsrechts, das Frauen in die alten Rollenmuster zurückzwang: Arbeitsverträge konnten nur mit Zustimmung des Mannes abgeschlossen werden, das gleiche galt für die Eröffnung von Bankkonten. 1949 hatte Rheinland-Pfalz zum Schutz der Jugend als erstes Land ein (Zensur)-Gesetz gegen „Schmutz und Schund“ eingeführt, das 1954 vom Bund übernommen wurde – die heutige FSK.

Dass es auch eine andere „Nachkriegserzählung“ über die Verbrechen der Diktatur gab, zeigt im Übrigen das Land Hessen, wo eine SPD/KPD-Regierung in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine andere Landesverfassung auf den Weg brachte.

Überrascht hat auch, dass es uns tatsächlich durch die mehrjährige Beschäftigung gelungen ist, auch Biografien von schwulen Männern, lesbischen Frauen und Trans* Personen ausfindig zu machen, die trotz der widrigen Umstände in den jeweiligen Stadtgesellschaften oder auf dem Land ihre Identitäten „offen“ lebten. Hier hat vor allem der Historiker Dr. Christian Könne großartige Arbeit geleistet!

An der jetzt startenden Veranstaltungsreihe nehmen viele Zeitzeug*innen teil und berichten von ihren Erfahrungen. Wie hat man diese Zeitzeug*innen ausfindig gemacht? Gab es Aufrufe dazu?

Bei den Zeitzeug*innenveranstaltungen geht es uns darum, verschiedene Generationen ins Gespräch zu bringen, weil uns der Wandel und die Kontinuität in den Biographien schwuler Männer, lesbischer Frauen und Trans*Personen interessiert. Interessierte haben wir über persönliche Kontakte gefunden.

Wie lange läuft das Forschungsprojekt noch und welche Möglichkeiten gibt es, die Ergebnisse anzuschauen?

Die Arbeit wurde vor fast 10 Jahren begonnen, aber sie steht immer noch am Anfang. Vor allem, weil unser Anliegen ist, die Lebenswege schwuler Männer, lesbischer Frauen und Trans* Personen gleichberechtigt zu erforschen. Das ist so schwierig, weil a) der Blick der Gesellschaft auf die jeweiligen Gruppen immer anders war und damit b) auch das Verhalten, die Überlebensstrategien und die Spuren die sie hinterließen.

Eine tiefere Recherche der Archive steht noch bevor, unter anderem auch der Wiedergutmachungsakten. In denen hoffen wir unter anderem die Widerspruchsbegründungen zu finden, zu den Entscheiden der Gerichte, die Ansprüche der homosexuellen und transidenten Opfer auf Entschädigung abzulehnen.

Parallel dazu werden wir unsere Veranstaltungsreihe zum Anlass nehmen, ein Archiv der queeren Erinnerung aufzubauen, mit Zeitzeug*innen-Interviews, damit unsere Geschichte nicht wieder verschwindet!


Foto: QueerNet RLP

Die Veranstaltungsreihe „Aufbrechen – Queere Emanzipation von Weimar bis heute“ bietet zwischen August und Oktober 19 Veranstaltungen in verschiedenen Orten in Rheinland-Pfalz. Infos zu den einzelnen Terminen gibt’s über www.queernet-rlp.de

Klick hier für die Broschüre mit allen Veranstaltungen der Reihe im PDF-Format

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