#queerimparlament • Rivlin, Steinmeier und Giffey

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In der zweiten Parlamentswoche des Jahres war das bestimmende Thema der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Bei der bewegenden Gedenkstunde sprach der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin im Bundestag. Er machte deutlich, wie wichtig der Staat Israel für die Juden in der Welt ist, nachdem von Deutschland die Vernichtung der Juden Europas ausging. Und er dankte der Bundesrepublik für die Wahrnehmung der sich daraus ergebenden Verantwortung, gegen Populismus, Nationalismus und Antisemitismus voranzugehen. 

„Deutschland, der Ort, an dem die ‚Endlösung‘ geplant wurde, hat die Verantwortung auf sich genommen, national-liberale Werte zu verteidigen, wenn sie durch Wellen des Populismus erodieren. Wenn Deutschland daran scheitert, ein Desaster zu verhindern, werden wahrscheinlich auch andere woanders scheitern. Wenn Juden an dem Ort, an dem der Holocaust geboren wurde, nicht frei leben können, können sie auch an anderen Orten in Europa nicht frei von Angst leben.“ 

Die historische Rede von Rivlin ist HIER in voller Länge archiviert. 

Schäuble gibt sich kleinen Ruck 

Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sprachen zuvor. Beide erwähnten auch die Verfolgung der Homosexuellen im Nationalsozialismus. Ob es im nächsten Jahr zum 27. Januar auch zu einer Gedenkveranstaltung mit dem Schwerpunkt der Opfergruppe der sexuellen Minderheiten kommt, wie von einer breiten Mehrheit im Präsidium, Historiker*innen, Verbänden und Holocaustüberlebenden gefordert (wir berichteten), wird sich zeigen. 

Der Bundespräsident verwies in seiner Rede auch auf die aktuelle Zunahme von Hass, Ausgrenzung und Gewalt gegen Minderheiten, indirekt zog sich so Kritik an der AfD wie ein roter Faden durch die gesamte Gedenkstunde, ohne den Rechtsextremisten eine Bühne zu bieten.

Das wurde wohl auch in den Reihen am rechten Rand wahrgenommen, Fraktionschef Alexander Gauland gab schon während der Rede des israelischen Präsidenten den ermüdeten Jäger. Als Reuven Rivlin Deutschland als „Leuchtturm für den Schutz liberaler Werte“ bezeichnet, stützt Gauland seinen Kopf ab und schloss im weiteren Verlauf der Rede auch demonstrativ seine Augen.

Antisemitischer Fauxpas im sächsischen Landtag?

Noch demonstrativer stellte die AfD-Abgeordnete Gudrun Petzold ihre mutmaßliche Verachtung bei der Gedenkstunde im sächsischen Landtag zur Schau. Sie legte sich einen toten Fuchs um den Hals.

Adoptions-, Familien- und Personenstandsrecht

Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsrechts (wir berichteten) kam in die 1. Lesung . Er enthält in weiten Teilen durchaus sinnvolle Änderungen, die jedoch immer noch das Kindeswohl von Kindern in lesbischen Regenbogenkonstellationen unterschlagen: Bekommen zwei Männer Nachwuchs, sind sie als Verheiratete automatisch beide Väter. Bekommt ein Frauenpaar Kinder, muss eine Ehepartnerin das Kind adoptieren, um als Mutter anerkannt zu sein. Darauf gingen die Redner*innen der FDP (Daniel Föst), der Grünen (Katja Dörner) und der Linken (Doris Achelwilm) ein. Insbesondere Achelwilm legte ihren Schwerpunkt hierauf, sie bemängelte, „dass mit dem sogenannten Adoptionshilfe-Gesetz für lesbische Elternpaare nun noch eine verpflichtende Beratung obendrauf kommt stellt eine zusätzliche Auflage für Zwei-Mütter-Familien dar.“ Sönke Rix (SPD) betonte, dass er beim Punkt der Ungleichbehandlung lesbischer Paare Änderungsmöglichkeiten bei der Beratung im Ausschuss sieht. Ein ermutigendes Signal aus dem Regierungslager (wir berichteten).

Im Familienausschuss wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie ein Antrag der FDP für ein modernes und queere Rechte unterstützendes Familienrecht in einer öffentlichen Anhörung mit Expert*innen diskutiert. Die Mehrheit der Expert*innen forderte weitergehende gesetzliche Bestimmungen, die heutige Familienkonstellationen wie z.B. Regenbogenfamilien berücksichtigen. Dafür machte sich insbesondere die Expertin Constanze Körner von Lesben-Leben-Familie stark. Ihre und alle weiteren Stellungnahmen sind HIER zu finden. 

Der queerpolitische Sprecher der FDP, Jens Brandenburg kündigte zusätzlich einen Gesetzesentwurf an, der das menschenrechtsfeindliche Transsexuellengesetz endlich abschaffen würde. Änderung des Vornamens und auch die formelle Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags sollen über eine einfache Erklärung auf dem Standesamt möglich sein, die entwürdigende Gutachtenpflicht würde abgeschafft, dafür mehr Geld in Beratungsstellen gesteckt werden. 


Nächster Karrieresprung für Franziska Giffey? 

Foto: facebook.com/jugendnetzwerklambda / Janine Schmitz/photothek.net

Für nicht ganz so informierte Kreise, wie Menschen im Politikbetrieb in Medien gerne genannt werden, gab es noch einen Paukenschlag: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller trat von seinem Amt des Berliner SPD-Vorsitzenden zurück. Wie schon seit Monaten auf den Parlamentsfluren gemunkelt, sollen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Raled Saleh den Landesvorsitz übernehmen sollen. Giffey scheint damit als Spitzenkandidatin der SPD zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin 2021 gesetzt und wird sich dementsprechend bald als Familienministerin verabschieden. Sie war in queeren Belangen im für uns so wichtigen Ministerium verglichen mir Amtsvorgängerin Manuela Schwesig keine so laute Stimme, ist aber auch durchaus am Ball gewesen. 

Die Rückkehr nach nur zwei Jahren im Bundesministerium in die Landespolitik scheint auf den ersten Blick ein Rückschritt, Giffey ist aber als Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln äußerst beliebt und erfolgreich gewesen, was die Kandidatur zur Landesmutter nach dem kurzen Intermezzo in der Bundespolitik schlüssig und geschickt erscheinen lässt. 

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