Seehofers Wunder: Hassgewalt gegen Queers in Deutschland kein Thema!

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Vergangene Woche stellte Innenminister Horst Seehofer die polizeiliche Kriminalstatistik für 2019 vor. Im 14-seitigen Bericht werden homo- und transfeindliche Hassverbrechen nicht erwähnt. Das hat System. Der Kommentar mit freundlicher Unterstützung des LSVD.

Vergesst die Berichte über zusammengeschlagene Schwule, Lesben und Trans* oder solche, die von Tätern dafür gehalten werden. Vergesst die seit zehn Jahren akribisch statistisch erfassten und veröffentlichen Vorfälle in der Bundeshauptstadt Berlin. Vergesst die Koalitionsverträge der letzten beiden Bundesregierungen aus CDU/CSU und SPD, in denen einmal ein Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie versprochen wurde und in dem aktuell – vorausahnend, dass mit der Union hier eh kein Versprechen zu halten ist – schwammiger steht:

„Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen.“

Koalitionsvertrag 2018, Seite 21

Vergesst sogar die Antwort der Bundesregierung, zu der auch das Innenministerium und sein Minister gehören, auf die fast schon ritualisierte jährliche Nachfrage von Bündnis90/Grüne im Bundestag. Sie offenbart regelmäßig steigende Zahlen von Hassgewalt gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und transgeschlechtlichen Menschen.

Im Januar schockierte sie gerade erst das überschaubar kleine Publikum solcher parlamentarischen Anfragen, mit einen Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zu 2018. Und das obwohl sie – bis auf die validen Statistiken aus Berlin – mangels Datengrundlage auf die Lust und Launen der polizeilichen Stellen und der dahinterstehenden Behörden und Innenministerien der Länder vertrauen muss. So wurden zum Beispiel 2018 aus Bayern exakt null Straftaten gegen die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität gemeldet.

Foto: Kreml / gemeinfrei

Bayern, das queere Paradies. So sieht es Minister Seehofer wohl am liebsten. Eine kleine heile Welt voller, den heimatlichen Fortbestand sichernder Keimzellenkernfamilien, die tolerant und friedliebend mit den pinken Schafen der Dorfgemeinschaft, grüne Almwiesen unter blauweißem Himmel bestellen.

Ignoranz ist Opferverhöhnung 

Damit offenbart er – und nicht nur er, sondern die regierende Union seit Jahrzehnten – eine im Resultat ähnlich menschenverachtende Politik wie Tschetscheniens Präsident Kadyrow oder der Tourismusminister von Malaysia: Sie sind auf dem queeren Auge blind. Beziehungsweise drücken es frei nach dem Motto „Was ich nicht sehe, gibt es nicht!“ ganz fest zu. Das ist die Missachtung des Leides von 2019 mindestens 564 Opfern politisch motivierten Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung. Das ist ein nochmaliger Tritt gegen die schon am Boden liegenden 147 darunter befindlichen Gewaltopfer.

Handeln statt im wahrsten Sinne totschweigen!

Es müssen – wie in Berlin mit der Initiative sexuelle Vielfalt 2010 – Untersuchungen in Auftrag gegeben werden, um empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sowie belastbare Erkenntnisse über den Umgang von Polizei und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität zu erlangen. Erforderlich ist ein Bund-Länder-Programm gegen queerfeindliche Gewalt, das neben kriminologischer Forschung und Rechtstatsachenforschung auch die Entwicklung zielgenauer Konzepte zu Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen zum Gegenstand hat. Länder und Kommunen müssen die Arbeit von Anti-Gewalt-Projekten mit Schwerpunkt Homo-, Bi- und Transphobie angemessen fördern.

Aber das würde wohl den Frieden unter dem Regenbogen in Seehofers kleinem Paradies stören. Dann doch lieber ein paar blutig geprügelte warme Brüder und Damenimitatoren mit gebrochenem Jochbein. Bekommt ja keiner mit, wenn wir es diskret behandeln.

*Christian Knuth

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