#schlauzuhiv • Besser spät als nie!

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Nach Schätzungen des Robert Koch-Institut (RKI) wussten im Jahr 2020 etwa 10 Prozent der 91.400 Menschen, die in Deutschland mit HIV leben, nichts von ihrer Infektion. Wer sind diese Menschen und warum werden sie nicht erreicht? Darüber haben wir mit Dr. med. Nino Ochana, Facharzt für Innere Medizin u. a. mit den Schwerpunkten HIV/Aids und Hepatitis aus der Praxis am Ring in Köln gesprochen.

Woran liegt es, dass in Deutschland immer noch rund 9.000 Menschen leben, ohne von ihrer HIV-Infektion zu wissen?

Sich testen zu lassen oder einenTest anzubieten, darf nicht länger schambehaftet sein!

Auch wenn es Überwindung kostet für Patient*innen und Behandler*innen. Großen Einfluss auf den Zeitpunkt der Diagnose hat offenbar die Kommunikation:

Viele Ärzt*innen haben HIV gar nicht (mehr) auf dem Schirm. Vor allem, wenn die Patient*innen keiner sogenannten Risikogruppe angehören.

Menschen, die sich über heterosexuelle Kontakte infiziert haben, Ältere, Personen aus ländlicheren Umgebungen, Minderheiten ...

Ein Beispiel aus meinem Praxisalltag: Seit Oktober ist das Hepatitis-Screening eine Kassenleistung im Rahmen des sogenannten „Check-ups“ für Versicherte ab 35 Jahren. Ich weise in diesem Rahmen grundsätzlich jeden Patient*innen darauf hin, dass es durchaus sinnvoll ist, sich auch auf HIV testen zu lassen, so nach dem Motto „wenn wa´ schon ma´ dabei sind“. Bisher habe ich selten erlebt, dass das abgelehnt wurde.

HIV ist heute mit modernen Therapien gut behandelbar und die Lebenserwartung von Menschen mit HIV ist nahezu vergleichbar mit derer Nicht-Infizierter. Bekommt man eine Infektion von Spätdiagnostizierten wieder in den Griff und sind alle Regime gleich gut geeignet?

HI-Viren schwächen das Immunsystem, indem sie wichtige Immunzellen, die sogenannten T-Helferzellen, zerstören. Modernen HIV-Medikamente, besonders die neuen Integrasehemmer, sind so potent, dass sie die Viruslast binnen weniger Monate unter die Nachweisgrenze drücken.

Je länger aber der Immunschaden anhielt vor der Therapie, desto langsamer erholt sich das Immunsystem.

Gerade bei den Spätdiagnostizierten ist der Immunschaden häufig so groß, dass man begleitend zu der antiviralen Therapie für eine gewissen Zeit auch Antibiotika einnehmen muss, um die Entstehung bestimmter Infektionen z. B. der Lunge zu minimieren. 


INFO

Wie wird eine HIV-Spätdiagnose („Late Presenter“) definiert?

„Eine allgemeingültige bzw. einheitliche Definition einer HIV-Spätdiagnose existiert nicht. Im Allgemeinen spricht man von einer Spätdiagnose, wenn die CD4-Zellzahl (T-Helferzellen, weiße Blutkörperchen) im Blut unter 350 pro Mikroliter abgesunken ist. Häufig ist das Immunsystem dann so geschwächt, dass Aids-definierende Erkrankungen entstehen.“

Dr. Nino Ochana

Der bisher geläufige Begriff „Late Presenter“ wird auf Drängen der HIV-Selbstvertretung zunehmend durch „Spätdiagnose“ ersetzt. Er rechnete die Ursache einer späten HIV-Diagnose alleinig dem HIV-Positiven, dem Presenter, zu. Dies ist, wie auch der praktizierende Interviewpartner in der ersten Antwort bestätigt, schlicht falsch. Mit der unterbewusst einseitig adressierten „Schuldfrage“ leistete der Begriff der Stigmatisierung HIV-Postiver Vorschub. 

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