„Kill Your Idols“ – Dorian Electra

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Foto: L. Williams

Es ist ein wunderschöner Tag in Berlin und Dorian Electra genießt die Sonne auf einem Friedhof. Einfach, weil es ein faszinierender und schöner Ort ist, und außerdem, weil er genug Ruhe für ein Gespräch bietet. Und zu bereden gibt es wahrhaftig viel, denn das neue, dritte Album „Fanfare“ der sich als genderfluid/transgender identifizierenden US-Künstler*in stellt sich musikalisch wie inhaltlich als wildes, intensives und aufregendes Werk heraus, dessen Produktion – bei der richtigen Anlage – Häuser zum Einstürzen bringen könnte.

Mal muss man dabei unwillkürlich an SOPHIE denken, oder auch, wie bei „Manmade Horrors“, an Sleigh Bells, doch fast immer an Charlie XCX, mit der Dorian Electra (unter anderem) zusammengearbeitet hat. Am besten könnte man hier von Hyperpop reden, allerdings Hyperpop, der es ernst meint.

Was beim Hören sofort auffällt – es gibt dieses Mal keine Features. „Ich hatte so viele auf dem letzten Album. Das war extrem schön, aber auch so viel Arbeit, denn man wartete lange, man koordiniert so viel …“ Auch wenn es sich sicher gelohnt hat, denn wer hatte schon sonst jemals die Village People und Pussy Riot auf einem Track vereint? Dieses mal jedoch „wollte ich ein Statement-Album.“ Und auf diesem dreht sich alles um den die Exzesse des Celebrity-Kultes. Mehr denn je will ein jeder ein Stück Ruhm und möchte verehrt und bewundert werden, selbst wenn es nur durch ein paar Likes geschieht. Sind wir denn wirklich alle mit zu wenig Liebe aufgewachsen und versuchen sie uns nun von Wildfremden zu holen? „Es fällt letztendlich alles auf unsere Kultur zurück, auf den extremen Individualismus und die Hustle Culture. Du musst heute besonders sein, um zu gelten, du musst etwas schaffen und erreichen, um Anerkennung zu finden. Und damit sind wir auch beim Kapitalismus, der erwartet, dass sich jeder allein um sich selbst kümmert.“ Jeder muss sich selbst vermarkten, jeder muss eine Marke sein. „Die Celebritys sind der strahlende Erfolg in beiden Kategorien. Das ist der Mythos dahinter.“

So ist unsere globale Popkultur … und Dorian Electra ist sich sehr wohl über die eigene Positionierung darin klar. „Ich fühle mich sehr privilegiert. Ich kann das alles und den Kapitalismus kritisieren, bin aber immer auch ein Teil davon. Niemand kann dem entkommen. Um diese Gegensätze geht es. Denn ich will auch nicht sagen, dass das alles nur schlecht ist.“ Man kann die Realität offenlegen, ohne daran zu verzweifeln, die Widersprüche erkennen und gleichzeitig akzeptieren. Und sich dann vielleicht auch seinem eigenen obsessiven Verhalten stellen und hinterfragen, warum man gewisse Stars überhaupt anhimmelt. „Irgendwann wird einem klar, dass jeder nur ein Mensch ist und kein Gott. Für die meisten ist es der Moment, wenn du erlebst, dass deine Eltern nicht perfekt sind … Was ich bei meinen sehr früh lernte. Man sagt nicht umsonst: ,Kill your idols!‘“ Ein weiterer Ausweg ist es, sich einfach aus dem Kreislauf des „sehen und gesehen werden“ zurückzuziehen, und sich zum Beispiel Zeit für klares Digital Detox zu nehmen. „Defintiv! Aber ich checke Instagram immer noch gerne, da bin ich Millennial! Doch ich lese viel mehr Bücher in diesem Jahr, das war ein fester Vorsatz. Das habe ich seitdem Collage nicht mehr so gemacht.“ Das kleine private Wunder der Entschleunigung und erhöhter Achtsamkeit. Dazu passt der Sound von „Fanfare“ zwar überhaupt nicht – aber wer schafft es auch schon, den ganzen Tag das Handy bei Seite zu legen?

*Interview: Christian K. L. Fischer

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