„Ich bin da nicht mehr kompromissbereit“

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Der Frankfurter Pfarrer der Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung Nulf Schade-James hat viel für Homosexuelle in der evangelischen Kirche getan: Durch sein Engagement können heute gleichgeschlechtliche Paare in der evangelischen Kirche getraut werden und homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren Partnerinnen und Partnern offiziell im Pfarrhaus wohnen. Im April liest Nulf Schade-James aus seiner Autobiografie „Gottes Kleid ist bunt – wie ein schwuler Pfarrer die Kirche veränderte“ im Switchboard. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

Du hast in der Kirche sehr viel bewegt. Erzähl mal ein bisschen!

Ja, man muss das alles im chronologischen Ablauf sehen. Die HuK (die bundesweite Gruppe „Homosexuelle und Kirche“, Anm.d.Red.) wurde 1977 auf dem Kirchentag in Berlin gegründet. Ich bin erst 1982 dazu gekommen. Allerdings bin ich schon 1979 auf dem Kirchentag in Nürnberg um deren Stand geschlichen. Geoutet hatte ich mich aber auch erst 1980.

Die jungen Schwulen von heute können sich das wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen, wie groß die Angst damals war! Dass man uns am HuK-Stand sieht und dass man dort vielleicht auch noch eine Zeitung mitnimmt!

Es waren andere Zeiten: Ich habe meine Kleinstadt 1978 verlassen und bin zum Studium nach Frankfurt gezogen. Ein Professor sagte zur Begrüßung der neuen Studierenden, sollte hier jemand homosexuell sein, könne er gleich wieder aufhören zu studieren. So war die Stimmung!

Aber wir waren gleich von Anfang an fast alle politisch angehaucht, da lag was in der Luft. Ich habe damals immer wieder versucht, das Thema einzubringen, ohne zu sagen, dass ich selbst betroffen bin. Ich habe mich da nicht zugehörig gefühlt, ich war ja nicht geoutet.

Und das, obwohl ich meine Homosexualität schon 1978 in Frankfurt heimlich lebte. Ich war kein Kneipengänger, aber ein Parkgänger, und es hat dennoch bis 1980 gedauert, bis ich mich outete.

Aber es war schon immer so etwas in mir, das mich drängte, nach vorne zu gehen, selbst wenn ich unsicher war. Und so bin ich gegangen, auch durch das Studium.

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In Heidelberg hatte ich dann meine Outing-Zeit, ich trug Gewänder und große Ohrringe, so bin ich zur Uni gegangen. So wurde ich für eine Zeit lang zum berühmtesten Homosexuellen von Heidelberg. Wenn ich mir das heute anschaue … aber das war damals so. Ich kam auch gar nicht auf die Idee, dass das komisch sein könnte oder dass sich jemand dran stören könnte. Sobald es warm wurde, hatte ich die Jalabiya an, mit Armreifen, Ohrringen und schwarzem Kajal unter den Augen.

Allerdings auf dem Weg von Heidelberg nach Hause in den Vogelsberg zu meinen Eltern habe ich mich immer auf dem Parkplatz umgezogen, um meine Eltern nicht zu provozieren und um sie zu schützen. Ein Schwuler in der Provinz, das war damals keine einfache Sache, ich wollte meine Eltern nicht kompromittieren. Erst 1982 konnte ich mich bei meiner Familie outen. Das war nicht so schön, weil ich mit Wut da rein gegangen bin …

Wie verlief dein Outing innerhalb der Kirche?

Das war nach den Heidelberger Jahren, so um 1985 herum.

Durch die HuK gab es schon einige homosexuelle Pfarrer, die auch mit der Kirchenleitung in Darmstadt in Verbindung standen. Man musste unterschreiben, dass der Freund nicht ins Pfarrhaus einzieht. Es war so ein Gefühl, dass Schwulsein irgendwie geduldet wurde, aber man durfte nicht auffällig sein.

Ich habe mich vor einem Oberkirchenrat geoutet, damit ich als Vikar zu einem gescheiten Lehrpfarrer komme, nicht zu einem homophoben Menschen. Da hätte ich in den zwei Jahren Vikariat keine Chance gehabt! Man bedankte sich für meine Offenheit, aber ich musste ihnen versprechen, nicht ohne vorherige Absprache bezüglich meiner Homosexualität an die Öffentlichkeit zu gehen.

Es gab in dieser Zeit innerhalb der Kirche bereits Tagungen zum Thema Homosexualität, und ich wurde eingeladen ein Referat zu halten. „Sexualität, die gute Gabe Gottes“! Mein Fazit damals „Der Mensch ist sexuell, kommt halt immer drauf an, wen ich gerade berühre, homosexuell - heterosexuell. Das alles waren kleine Versuche, den Menschen, die damit so viele Probleme hatten, einen Weg zu zeigen, wie sie Homosexuelle Menschen in die Kirche integrieren konnten.

Man muss den Menschen die Angst nehmen. Ich tue das bis heute, wenn ich zum Beispiel im interreligiösen Dialog mit Moslems zusammensitze. Für den Islam ist das Thema ja noch viel weiter weg. Ich konfrontiere im Dialog meine Gesprächspartner mit dem schwulen Pfarrer und versuche immer wieder Hilfestellung zu geben, damit die Angst nicht überhand gewinnt. Denn letztendlich ist es ja Angst, die zur Ablehnung führt, weil es ihnen fremd ist.

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Wie ging es dann weiter?

Nach einem längeren Arbeitsaufenthalt in Ägypten hatte beschlossen, mir eine Stelle in Frankfurt mit einer Freundin zu teilen. Das war aber schwierig, weil wir ja dann als unverheiratetes Paar im Pfarrhaus leben würden, hieß es.

Damals platze mir der Kragen und ich sagte jenem Oberkirchenrat: „Erst wird mir, weil ich schwul bin, verboten mit einem Mann zusammen zu leben, jetzt wird mir verboten, mit einer Frau zusammen zu leben, wenn ich morgen erzähle, dass ich ein Sodomist bin, verbietet man mir auch noch mit meinem Hund zusammen zu leben?“ Und wenn es nötig sei, würde ich diese Frau heiraten und wir lassen uns nach drei Jahren Pfarrvikariat eben wieder scheiden.

Danach passierte erst mal gar nichts.

Schließlich rief uns die damalige Frankfurter Pröpstin an und bat uns zum Gespräch. Sie war ganz aufgeregt, wieso wir beide aus dem Ausland kommend noch keine Stelle hätten. Ich erklärte, das läge wahrscheinlich daran, dass ich schwul sei. „Aber das ist doch kein Problem!“, sagte sie, „Wissen Sie was? Können Sie sich vorstellen, zusammen zu wohnen?“ Ja, das konnten wir! Und so sind wir als Vertretung in die damalige Friedensgemeinde ins Gallus geschickt worden, zunächst für drei Monate. Wir haben fünf Jahre zusammen gearbeitet - ich arbeite 30 Jahre dort.

Irgendwann wurde die heutige Pfarrstelle in der Gemeinde frei und der Kirchenvorstand bat mich, meine Bewerbung abzugeben.

Ich hatte ihnen mitgeteilt, dass ich die Pfarrstelle nur übernehmen würde, wenn man mir die Erlaubnis erteilt, dass mein Mann David, den ich 1992 kennen gelernt hatte, mit ins Pfarrhaus einziehen darf. Das war damals noch illegal – aber der Kirchenvorstand gab sein Okay.

Dazu muss man wissen, dass die damalige Friedensgemeinde schon Erfahrungen mit Homosexuellen gesammelt hatte, denn sie hat in den 80er Jahren als einzige Gemeinde im ganzen Rhein-Main-Gebiet die HuK aufgenommen und ihnen Räume für die Treffen zur Verfügung gestellt.

Und 1995 gab es in unserer Gemeinde bereits ein Votum, dass Lesben und Schwule in der Friedenskirche heiraten dürfen. David und ich haben auch geheiratet, das war 1996. Natürlich war das nicht erlaubt, es gab viel Angst, dass eventuell die Presse vor Ort sein könnte, das wollten wir natürlich nicht. Die Presse kam aber nicht. Und einer musste ja schließlich den Anfang machen.

Und somit wurden wir zum ersten gleichgeschlechtlichen Paar, dass in der hessischen Landeskirche geheiratet hat. Und kein Blitz fuhr vom Himmel herab.

Für mich übrigens wieder so ein Gefühl, dass der liebe Gott seine schützende Hand über uns gehalten hat. Mit diesem Gefühl, Gottes Kind zu sein, geliebt und gesegnet bin ich dann meinen Weg weiter gegangen und tat, was ich tun musste, um die Anerkennung von Lesben und Schwulen innerhalb der Kirche zu stärken. So wie ich letzten Endes dann auch mein Buch geschrieben habe.

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Wie verlief die Geschichte des eigentlich illegal zusammenlebenden Paars weiter?

1995 auf dem Kirchentag in Hamburg gab es einen Vorfall:

Die Kirchentage waren für mich immer Felder, auf denen ich mich ausleben konnte. Ich hatte eine Kunstfigur geschaffen, „Greta Gallus, Freifrau von Sodom ohne Gomorrha, Tunte und Künstlerin“. Als Greta bin ich mit Luzian Lange von den Mainsirenen auf Kleinkunstbühnen getingelt, allerdings nicht in Frankfurt, sondern immer in anderen Regionen.

Mit Greta bin ich auch beim Kirchentag 1995 aufgetreten und habe einen Workshop angeboten, der hieß „Tunten und Technik – die Kunst des Schminkens“.

Das hat das Magazin Der Spiegel aufgegriffen und folgende Schlagzeile daraus gemacht: „Tunten und Technik: Kirchentag der Superlative, aus allen Himmelsrichtungen kommen die Menschen, darunter so berühmte wie Richard Weizäcker und so skurrile wie Greta Gallus, Freifrau von Sodom ohne Gomorrha“.

Damit stürzte sich natürlich auch die restliche Presse auf mich. Radio FFN wollte gleich auf dem Kirchentag ein Interview mit mir führen. Ich habe sie gefragt, ob das in Frankfurt gesendet wird, was sie verneinten, und ich, naiv wie ich war, habe ihnen geglaubt. Ich habe das Interview also gegeben, ohne wie vereinbart vorher mit der Kirche zu sprechen.

Natürlich wurde das Interview auch hier im Radio gesendet – und damit war dann das Thema, dass David und ich im Pfarrhaus leben, öffentlich! Es wurde plötzlich nicht mehr nur intern innerhalb der Kirche gehandhabt, sondern jetzt kamen auch öffentliche Reaktionen, und die Kirchenleitung in Darmstadt musste darauf reagieren. Gegen die Kritiker haben sie sich letztendlich darauf berufen, dass der Kirchenvorstand als höchstes Gremium das alles genehmigt hatte.

Ich wurde natürlich nach Darmstadt zum Gespräch gebeten; Ich hatte dabei keine Angst, meinen Job zu verlieren, hingegen bedeutete das natürlich immensen Druck für die Kirchenleitung, weil sie sich endlich dazu äußern musste.

Das alles hat der ganzen Diskussion um Homosexuelle in der Kirche noch einmal einen kräftigen Schub verpasst!

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Du warst in diesem Zug auch maßgeblich daran beteiligt, dass sich homosexuelle Paare in der Kirche segnen lassen können ...

2001 kam das Thema in der Synode an.

Ich war in dieser Zeit Synodaler; ich hatte mich offiziell dafür beworben, zum einen wegen meiner Lebenssituation, weil ich mit einem Mann zusammenlebe, zum anderen weil ich in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert war, denn das ist die Zukunft unserer Kirche. Ich wurde gewählt – nicht ahnend, dass das Thema Homosexualität dann 2001 auf die Agenda kommt!

Es wurde entschieden, dass zunächst nur ein Theologe, ein Jurist, ein Betroffener und ein Gegner zum dem Thema Segnung von homosexuellen Paaren reden durfte.

In der Nacht vor der Diskussion haben wir zu viert an meiner Rede geschrieben. Am anderen Tag bekam ich nach meinem Beitrag tosenden Applaus. Ich dachte noch, wenn es jetzt abgestimmt werden würde, kommt es durch.

Das zog sich dann alles nochmal ein Jahr lang hin. 2002 gab es eine weitere große Diskussion. Hier meldeten sich auch die Gegner zu Wort. Die damalige Kultusministerin Karin Wolff, ebenfalls Synodale, tat die CDU-Meinung kund. Sie sprach sich gegen Segnung aus. Wenig später übrigens, outete sie sich als Lesbe. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nichts mehr zum Thema zu sagen, aber nachdem Karin Wolff gesprochen hatte, musste ich noch einmal ans Rednerpult.

Die anschließende Abstimmung wurde mit großer Mehrheit für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare angenommen, allerdings mit dem Zusatz, dass der jeweilige Pfarrer/Pfarrerin entscheiden kann, ob eine Segnung stattfinden darf oder nicht. Also jede Gemeinde sollte für sich entscheiden.

Es kamen in den darauffolgenden Jahren viele Lesben und Schwule in unsere Gemeinde, um sich als Paar segnen zu lassen. Wunderbare Gottesdienste haben wir zusammen gefeiert. Die meisten Paare hatten sich das sehr gut überlegt und gingen mit sehr viel Ernsthaftigkeit und eigenen Vorstellungen an die kirchliche Eheschließung heran.

Nach weiteren zehn Jahren wurde der Synodenbeschluss revidiert und das Kirchengesetzt geändert. Heute gilt: gleiche Rechte, gleiche Pflichten egal ob es sich um ein homosexuelles oder heterosexuelles Paar handelt.

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Was sagst du heute Leuten, die mit Bibelstellen gegen Homosexualität argumentieren?

Einmal kam eine Frau zu mir und bat um ein Gespräch. Ihr Problem war die Homosexualität und dass das ja Sünde sei. Ich sagte zu ihr: „Stopp, bevor Sie jetzt weiterreden sage ich ihnen ganz ehrlich, dass Sie bei uns nicht an der richtigen Stelle sind. Diese Gemeinde wird niemals davon abweichen, diese Gemeinde heißt Lesben und Schwule willkommen, und ich tue es auch. Ich glaube, Sie müssen sich eine andere Gemeinde suchen“.

Das ist hart!

Ja, ganz schön hart! Aber das müssen sich diese Leute anhören, ich bin da nicht mehr kompromissbereit. Irgendwann habe ich aufgehört, mit ihnen zu diskutieren. Das war eine ganz bewusste Entscheidung, weil die evangelikalen Diskussionen nirgendwo hinführen. Ich ignoriere sie. Ich weiß, dass ich von Gott geliebt bin, mit allem, was mich ausmacht Ich fühle mich aufgehoben und in Gottes Hand, denn wann immer Entscheidungen getroffen wurde, spürte ich nachher, dass ich geführt wurde.

Mit dieser Gewissheit kann ich liebevoll, nicht arrogant oder böse, anderen sagen, dass homophobe Menschen bei uns an der falschen Adresse sind. Es gibt genügend andere Gemeinden hier in Frankfurt, vielleicht finden sie eine, wo sie sich wohl fühlen.

Du musst also nicht die ganze Welt missionieren?

Nein, ich muss nicht die ganze Welt missionieren. Nicht mehr, das wollte ich bestimmt früher mal.

Ich habe im Gallus auch nie offene Anfeindungen erlebt. Abgesehen einmal vom Schulhof wurde mir „schwule Sau“ hinterhergerufen, aber O.K., das sind Jugendliche. Aber ich hatte nie das Gefühl, gedisst zu werden.

Es kann durchaus sein, dass unsere ehemalige Sekretärin vieles abgefangen hat, dass weiß ich aber nicht, das sind höchstens Vermutungen. Ich hatte nie Anfeindungen oder Drohbriefe im Briefkasten.

Natürlich gab es Verletzungen, davon bin auch ich nicht verschont geblieben. Auf Kirchentagen gab es immer wieder Verletzungen, und es gab Verletzungen, wenn ich mich bestimmten Gruppen ausgesetzt habe.

Wir Betschwestern, wie wir manchmal von der Community despektierlich genannt wurden, die schwulen Christen also, haben immer auf mehreren Ebenen gekämpft. Auf der einen Seite mussten wir uns mit der ganzen homophoben Theologie auseinandersetzen. Auf der anderen Seite mussten wir uns auch gegenüber der schwulen Community verteidigen und uns die Frage erlauben lassen: „Wieso arbeitet ihr noch für die Kirche?“

Ich bin auch in die Schulen gegangen und habe mit Schülern gesprochen, das mache ich bis heute noch. Ich referierte in verschiedenen Dekanatssynoden. Einmal war ich im Westerwald und bin dort völlig runtergemacht worden. Damals fuhr ich alleine hin, und war so erschüttert, dass ich auf dem Heimweg in einer Autobahnkirche das halbe Gästebuch vollgeschrieben habe, weil ich mir das von der Seele schreiben musste. Böse, böse Menschen!

Damals habe ich viel geweint. Manchmal war ich verzweifelt, wie geht es wohl weiter geht, besonders nach dem Interview in Hamburg, ein Jahr vor unserer kirchlichen Hochzeit. Ich hatte Angst Ja zu sagen, wollte mich am liebsten im Keller verstecken und nie mehr rauskommen. Trotzdem bin ich weitergegangen.

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Kannst du verstehen, dass Leute aus diesen Gründen aus der Kirche austreten?

Ja, das kann ich sehr gut verstehen. Ich sage dir ganz ehrlich, wenn ich Katholik wäre, wäre ich aus der Kirche ausgetreten. Ich wäre nicht mal Pfarrer geworden.

Allerdings finde ich es traurig, dass wir heute kaum die Chance bekommen zu zeigen, wie sehr sich, besonders die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, verändert hat.

Unsere Kirche hat sich gegenüber Schwulen und Lesben geöffnet, eine Trauung ist eine Trauung. Ganz egal wer da vorne am Altar steht, es ist ein Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung. Basta!

Und Schwule und Lesben können Pfarrer werden, heiraten und Kinder bekommen. Da wünsche ich mir, dass Lesben und Schwule hinschauen und die Veränderungen erkennen!

Meine Kirche hat in den vergangenen 20 Jahren wirklich große Schritte zur Gleichberechtigung und Anerkennung von Lesben und Schwulen getan.

Eine Sache fehlt noch: Ich wünsche, nein: Ich fordere ein öffentliches Schuldbekenntnis. Ich fordere meine Kirche auf, öffentlich zu sagen, es tut uns leid! Über Jahrzehnte wurden Schwule und Lesben ausgegrenzt. Ganze Generationen haben sich deshalb abgewandt, viele sich das Leben genommen. Hier hat Kirche Schuld auf sich geladen und hier braucht es das öffentliche Schuldbekenntnis.

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Man muss also kein Einzelkämpfer sein?

Nein, es läuft anders besser. Du brauchst zwischendrin eine Schulter, an der du weinen kannst. Oder eine Hand, die dir über den Kopf fährt und sagt, es ist alles gut. Wenn du das alles mit dir allein ausmachen musst, kann ich mir vorstellen, dass du daran zerbrichst.

Und da kommt für mich auch die Kirchengemeinde wieder ins Spiel. Eine Kirchengemeinde muss immer ein offenes Ohr für diese Einzelkämpfer haben, und das ist auch nicht der Pfarrer oder die Pfarrerin. Gemeinde Jesu Christi sein bedeutet für mich, dass jeder und jede dazu gehört. Und wenn eine Trans*gender-Frau zum Gottesdienst kommt, darf nicht hinter vorgehaltener Hand getuschelt werden.

So ist Gottes Schöpfung nun mal, so ist die Menschheit, kunterbunt! Die Ebenbildlichkeit Gottes spiegelt sich in der Vielfältigkeit. Das müsste eigentlich jeder Gemeinde klar sein!

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Im Mai planst du eine Travestie-Show in deiner Gemeinde im Gallus. Was hat es damit auf sich?

Die „Gala der Travestie“ veranstalten wir anlässlich des 50. Jahrestags der Unruhen in der New Yorker Bar Stonewall-Inn, die zum Feiern des heutigen Christopher Street Day geführt haben.

Wir haben im vergangenen Jahr schon einmal eine Travestie-Gala veranstaltet, damals als Benefiz für die Beerdigungskosten des Travestiekünstlers Ricky Renée.

Ich hatte die Idee, ihn doch bei uns im Gemeindegrab zu beerdigen. Da kamen aber plötzlich wahnsinnig viele Kosten auf uns zu. Gemeinsam mit Manuela Mock, die übrigens hier bei uns in der Gemeinde geheiratet hat, kam die Idee auf, eine Benefizgala zu veranstalten. Das hat auch funktioniert, es kamen 5.000 Euro zusammen, das war alles wunderbar, und es blieben sogar noch 1.000 Euro übrig, die dann an unsere Kindergärten gingen.

Die Gala kam in der Gemeinde sehr gut an, viele wünschten sich mehr. Und so entstand die Idee eine weitere Gala durchzuführen. Mit dabei sind Cristina aus Amsterdam, ihr Pianist Michael Ashton, sowie das Travestie-Cabaret HairCut. Cristina wird auch unseren Gottesdienst am 12.5. musikalisch begleiten.

Kontakt zu Pfarrer Nulf Schade-James über die Evangelische Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung im Gallus, www.friedenundversoehnung.de

4.4., Lesung mit Nulf Schade-James „Gottes Kleid ist bunt – wie ein schwuler Pfarrer die Kirche veränderte“, Switchboard, Alte Gasse 36, Frankfurt, 20 Uhr, www.switchboard-ffm.de

10. und 11.11., Gala der Travestie, Friedenskirche, Frankenallee 150, Frankfurt, 20 Uhr, Tickets im Gemeindebüro, www.friedenundversoehnung.de

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