Church of England: Bitte um Vergebung und Hoffnung auf Ehe für Alle

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Die Church of England veröffentlichte endlich die lang erwarteten Ergebnisse aus dem Projekt „Living in Love and Faith“, das sich mit Fragen zu „Identität, Sexualität, Beziehungen und Ehe“ in der anglikanischen Kirche beschäftigte. 

„Living in Love and Faith“ ist vermutlich das umfangreichste Werk, das jemals von einer Glaubensgemeinschaft auf diesem Gebiet verfasst wurde. Die Online-Ressource umfasst ein 480-seitiges Buch, eine Reihe von Filmen und Podcasts, einen Online-Kurs und eine Online-Bibliothek mit weiteren Publikationen.

Im Vorwort entschuldigen sich Justin Welby, Erzbischof von Canterbury, und Stephen Cottrell, Erzbischof von York, für das „enorme Leid und den Schmerz“, der LGBTIQ*-Menschen von der Kirche zugefügt wurde.

„Sobald wir anfangen, über Fragen der sexuellen Identität und des sexuellen Verhaltens nachzudenken, müssen wir das enorme Leid und die Verletzungen anerkennen, die dort entstanden sind, wo das Gerede von Wahrheit, Heiligkeit und Jüngerschaft hart gehandhabt wurde und nicht als heilender Balsam gedient hat.“

Steiniger Weg bis zur Veröffentlichung ...

Großbritannien führte 2005 zivile Lebenspartnerschaften ein, 2014 folgte die Ehe für alle. Glaubensgemeinschaften aber stellte der Gesetzgeber damals frei, sich dafür oder dagegen zu entscheiden – die anglikanische Kirche machte von Letzterem Gebrauch. Denn die Church of England ist in der Frage nach den Rechten von Homosexuellen tief gespalten, seit die Generalsynode die traditionelle Lehre, homosexueller Sex sei sündhaft, 1987 bekräftigt hatte. Danach hatte sich jahrzehntelang niemand mehr an das Thema herangetraut.

Foto: Ökumenischer Rat der Kirchen

Erst als Justin Welby 2013 zum Erzbischof von Canterbury, also zum geistlichen Oberhaupt der Church of England und Ehrenoberhaupt der anglikanischen Kirchengemeinschaft ernannt wurde, zog ein neuer Führungsstil ein.

Ähnlich wie Papst Franziskus ist Welby kein typischer Erzbischof, sondern von fortschrittlichen Gedanken geprägt. Und wie der Papst hat auch Welby gegen Widersacher in den eigenen Reihen zu kämpfen. 2017 startete er den Versuch einer Reform, indem er für homosexuelle Paare zwar keine Eheschließungen, dafür aber Segnungsgottesdienste anbieten wollte. Doch konservative Evangelikale haben den Plan vereitelt – die Synode stimmte gegen Welbys Plan.

Foto: Vatican News

Nach dieser herben Niederlage widmete sich Welby der Ausarbeitung von „Living in Love and Faith“, das Anfang dieser Woche veröffentlicht wurde. Drei Jahre lang haben 40 Personen, fünf davon queer, unter der Leitung des Bischofs von Coventry an dem Projekt gearbeitet. 

Die Online-Ressource soll den Beginn eines Prozesses einleiten, an dessen Ende ein radikal neues christliches Verständnis von Inklusion in der Kirche steht.

Inklusion muss radikal sein, weil die Gnade Gottes, wie sie in Jesus Christus zum Ausdruck kommt, radikal ist und unsere Vorstellungskraft übersteigt. Sie muss christlich sein, weil der Begriff der Inklusion zu einem Instrument geworden ist, um Macht übereinander auszuüben. Und sie muss neu sein, weil wir aus unseren eigenen Fehlern der Vergangenheit lernen müssen, statt einfach Modelle aus der säkularen Gesellschaft zu übernehmen.“

Auf Grundlage von „Living in Love and Faith“ wird nun eine Arbeitsgemeinschaft unter der Leitung von Sarah Mullally, der Bischöfin von London, in den nächsten Jahren einen „Weg für die Kirche in Bezug auf menschliche Identität, Sexualität, Beziehungen und Ehe“ ausarbeiten, der allen voran den Umgang mit der Ehe für alle klären soll. 

... und noch steiniger bis zur Ehe für Alle

Bis 2022 soll die Entscheidungsfindung abgeschlossen sein. Queere Paare, die kirchlich heiraten möchten, können ihre Hochzeitsplanung aber getrost noch etwas zurückstellen: In einer weiteren Erklärung, die von allen Bischöfen der Church of England unterzeichnet wurde, hieß es:

„Meinungsverschiedenheiten sind unter uns Bischöfen zu finden. Wir sind uns in einer Reihe von Fragen in Bezug auf Identität, Sexualität, Beziehungen und Ehe nicht einig.

Einige dieser Meinungsverschiedenheiten beziehen sich auf die Ethik und den Lebensstil in heterosexuellen Beziehungen, und einige beziehen sich auf Fragen zu Geschlecht und pastoralen Bestimmungen für Transgender. Am drängendsten unter unseren Unterschieden sind Fragen im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen, und wir erkennen an, dass hier Entscheidungen in mehreren miteinander verbundenen Bereichen mit einer gewissen Dringlichkeit getroffen werden müssen.“

Will heißen: Die Beratungen und Auseinandersetzungen werden mit Sicherheit langwierig und zäh. Die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen der Church of England wird es frühestens im Jahr 2025 geben.

Am Ende wird sehr wahrscheinlich nach dem gleichen Muster vorgegangen werden, wie beim Streit um Priesterinnen und weibliche Bischöfe, der zwei Jahrzehnte andauerte, bevor er 2014 schließlich in einem Kompromiss endete. Frauen dürfen nun sowohl zu Priesterinnen als auch zu Bischöfinnen ernannt werden. In Gemeinden aber, in denen Traditionalisten das Sagen haben, besteht der Klerus auch weiterhin nur aus Männern.


Kritik von queeren Christ*innen

Foto: Jaynne Ozanne / jayneozanne / Instagram

Jayne Ozanne, prominente LGBTIQ*-Aktivistin und ehemaliges Mitglied des Erzbischöflichen Rates, begrüßte die Entschuldigung der Erzbischöfe, fügte aber hinzu:

„Zuhören und Lernen ist nicht genug. Wir müssen jetzt handeln und dafür sorgen, dass Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von LGBT+ Menschen getroffen werden.“

Die Direktorin der Ozanne Foundation schrieb einen lesenswerten Kommentar auf PinkNews. Darin kritisiert sie, dass „Living in Love and Faith“ weit hinter dem zurückbleibt, was es hätte sein können. Es habe sich die Gelegenheit geboten, so Ozanne, das Leid, das LGBTIQ*s zugefügt wurde und immer noch zugefügt wird, klar zu benennen, es auszusprechen. Doch diesbezüglich habe das Buch komplett versagt, meint Ozanne, weil so gut wie gar nicht darauf eingegangen wird. Stattdessen konzentriere sich „Living in Love and Faith“ darauf, die Menschen zu ermutigen, zuzuhören und voneinander zu lernen.

„Insbesondere ermutigt es diejenigen, die schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell sind, sich hinzusetzen und ‚ Christus zu sehen‘ in jenen Menschen, die der Meinung sind, dass ihre Identität ‚sündhaft‘ ist und dass sie sich selbst ‚verwandeln‘ sollen, um ledig und zölibatär zu werden - eine Lehre, die viele dazu gebracht hat, darüber nachzudenken, sich selbst das Leben zu nehmen!“

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