Ein Queeres Zentrum für Wiesbaden

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Auch die Hessische Landeshauptstadt soll ein Queeres Zentrum bekommen. Noch stehen die Planungen am Anfang: Seit 2019 wird das Projekt von einem Arbeitskreis aus verschiedenen Vertreter*innen Wiesbadener Community-Vereine und -Institutionen des Runden Tischs LSBT*IQ Wiesbaden konzeptioniert.

Mitte November wurden die Planungen und Ideen erstmals auf der Bürgerbeteiligungsplattform dein.wiesbaden.de vorgestellt – mit der Aufforderung, Kommentare und Ideen einzubringen. Ein Gespräch mit Peter Hofacker von pro familia, einer der treibenden Kräfte des Projekts.


Peter, bevor wir über das Queere Zentrum sprechen: Man würde bei pro familia erst mal nicht vermuten, dass sie sich explizit für queere Themen engagiert?

Ja, das stimmt. Pro familia wird nicht ganz so häufig als Unterstützerin für die LSBTIQ*-Community empfunden. Wir sind in der Szene auch nicht so präsent wie zum Beispiel die AIDS-Hilfe mit ihrem Streetwork. Aber das Thema ist bei uns schon länger präsent. Wir sind zum Beispiel von Anfang an Teilnehmende des Runden Tischs LSBT*IQ Wiesbaden, haben im Landesverband seit sechs oder sieben Jahren einen eigenen Runden Tisch zum Thema Vielfalt, wo auch geschaut wird, wie pro familia die Szene und die Community unterstützen kann. Wir organisieren auch Veranstaltungen zum Thema.

pro familia richtet sich in diesem Zusammenhang also nicht nur an Regenbogenfamilien?

Wir haben in unserer Beratung häufig Anfragen wenn es um das Thema Coming Out oder aktuell auch trans* geht. Außerdem haben wir ein extra landesweites Projekt zur Fortbildung in LSBTIQ*-Themen. Wir sind da schon gut aufgestellt. Und dass sich pro familia für das Queere Zentrum engagiert hat, hat auch einen weiteren Grund: Organisationen mit hauptamtlichen Ressourcen und Mitarbeiter*innen haben ein ganz anderes Kontingent, das sie in so ein Projekt wie das Queere Zentrum reinstecken können. Viel mehr als das ehrenamtliche Organisationen können.

Wer ist außer pro familia Teil der Arbeitsgruppe für das Queere Zentrum Wiesbaden?

Stefan Kräh von der Koordinierungsstelle, ein Vertreter vom LSBTIQ*-Netzwerk Rhein-Main, Vertreter*innen von Warmes Wiesbaden, von der dgti, der AIDS-Hilfe Wiesbaden, des Stadtjugendrings und der Insel-Gruppe. Das ist der harte Kern.

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Einer der zentralen Vorteile eines Queeren Zentrums, der immer wieder genannt wird, ist, dass Angebote und Beratungen gebündelt an einem Ort sind. Wie sieht die Situation in Wiesbaden denn momentan aus?

Es gibt wenige Vereine die hauptamtlich aufgestellt sind und eigene Räume haben, wie zum Beispiel die AIDS-Hilfe oder pro familia. Sie können ihre Angebote dort stattfinden lassen. Das fällt bei anderen Gruppen einfach weg. Alle, die rein ehrenamtlich engagiert sind, müssen sich mit Privaträumen begnügen oder mit Räumen die sie von anderen Organisationen zur Verfügung gestellt bekommen. Und das ist teilweise echt schwer. Ich war hier in Wiesbaden zum Beispiel dabei, als die trans*-Selbsthilfegruppe gegründet wurde, und es ist nicht so leicht, überhaupt Räume oder jemanden zu finden, der den Gruppen Obdach bietet. Man braucht ja außerdem auch ein Lager, zum Beispiel für die Materialien der Veranstaltungen. Das ist momentan alles im privaten Sektor beheimatet. Was wir uns von einem Queeren Zentrum erhoffen, ist aber nicht nur ein Raum zum Treffen, sondern auch einer, wo man das Administrativ-organisatorische erledigen kann – außerhalb des privaten Wohnbereichs.

Ein weiterer Vorteil ist sicherlich auch, dass die einzelnen Gruppen sich untereinander näher kennenlernen und zusammenarbeiten können?

Ja. Und durch Corona ist das noch viel nötiger geworden, weil auch die Partys oder der CSD, also Bereiche, in denen man sich sonst üblicherweise getroffen hat, alle weggefallen sind. Und insofern ist es jetzt eigentlich noch viel dringlicher. Die Treffen des Runden Tischs finden vier Mal pro Jahr statt, aber das reicht natürlich nicht aus, um sich untereinander kurzzuschließen oder sich auszutauschen und zu schauen, wie man zu bestimmten Themen steht. Und da ist ein Queeres Zentrum einfach auch ein weiterer Ort, an dem man sich begegnen kann, sich stadtweit oder auch überregional koordinieren oder auch Veranstaltungen oder Arbeitsgruppen stattfinden lassen kann. Deswegen möchten wir einen möglichst multifunktionalen Raum haben, für Beratungsmöglichkeiten oder kleinere Veranstaltungen, der attraktiv für Kinder und Jugendliche ist oder auch für Senioren. Einen Schutzraum für besondere Gruppen.

Jetzt hast du gerade von Raum gesprochen – das Zentrum soll aber mehr als ein Raum werden? Eine Etage oder ein Haus!

Wenn wir es uns wünschen dürften, dann wäre das schon mehr als eine Etage, weil wir davon ausgehen, dass wir mehrere Beratungsräume brauchen, mehrere Räume, um administrativ tätig sein zu können. Wir brauchen mindestens einen größeren Raum für Veranstaltungen und Treffen. Und analog zu einem Jugendzentrum möchten wir auch gerne einen Platz haben, wo man sich gerne aufhält, wo vielleicht auch eine Bewirtung möglich sein könnte. Wir halten natürlich schon Ausschau nach geeigneten Räumen oder Gebäuden in Wiesbaden, um den Entscheidenden bei der Stadt auch schon mal eine Idee zu geben, was wir uns vorstellen. Wir gehen jetzt schon davon aus, dass es mehr als ein Raum sein wird und wahrscheinlich auch mehr als eine Etage.

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Plant ihr einen öffentlichen Raum wie ein Café mit ein?

Das ist noch in der Diskussion. Als wir mit den Planungen für das Queere Zentrum begonnen haben, haben wir geschaut, in welche Richtung es gehen kann: Eher in Richtung Jugendzentrum, kulturelles Zentrum oder auch in die wirtschaftliche Richtung, wie zum Beispiel die Bar jeder Sicht in Mainz. Wir hatten für uns die Tendenz, dass wir eher in die Richtung Jugendzentrum gehen. Was auch der an der Finanzierung für die unterschiedlichen Modelle liegt. Wir sehen hier in Wiesbaden eigentlich den höchsten Bedarf im Kinder- und Jugendbereich. Aber wir lassen das Thema Café noch offen, weil der Beteiligungsprozess und seine Auswertung noch laufen.

Ihr seid ja noch ganz am Anfang der Planung, aber gibt es einen groben Zeitplan? Wann könnte das Zentrum eröffnen, wenn alles gut läuft?

Das ist echt eine spannende Frage. Aktuell kann man das noch gar nicht sagen. Nehmen wir mal Corona aus der Gleichung raus, war ursprünglich die Idee, dass wir nach Abschluss des Beteiligungsprozesses bei „dein.wiesbaden.de“ die Ergebnisse in unser Konzept einarbeiten, dem Ganzen den Endschliff geben und daraus dann das rausziehen, was für die politischen Entscheidungsträger interessant ist. Und damit gehen wir dann auf Werbetour bei den einzelnen Fraktionen, um auf das Projekt aufmerksam zu machen und den Bedarf deutlich zu machen. Und dann war unser Wunsch eigentlich, dass das Projekt schon mit in die nächsten Haushaltsverhandlungen 2021 geht. Und dann kann es losgehen. Die Darmstädter hatten zum Beispiel Glück, da gab es schon eine geeignete Immobilie. Wir haben auch schon ein, zwei Sachen im Blick, aber ob die verfügbar sind, können wir jetzt noch nicht abschätzen. Aber der früheste Termin, dass es konkret losgeht, wäre 2022.

Im kommenden Jahr geht es also erst mal um die Finanzierung. Ist das ein kritischer Punkt oder gab es dazu bereits positive Signale?

Unterstützungssignale gibt es auf jeden Fall. Zum einen sind einzelne Parteien natürlich auch bei uns am Runden Tisch vertreten und haben ihre Unterstützung zugesagt – auch weil sie an der Entwicklung der Idee beteiligt waren. Auch der Oberbürgermeister hat sich bei seinem letzten Besuch über das Projekt informieren lassen und ich habe bisher noch nichts Negatives von ihm dazu gehört.

Wenn du auf die Finanzierung schaust, ist es so: Die Finanzierung für bestehende sozialen Einrichtungen ist trotz Corona für das kommende Jahr sichergestellt. Darüber hinaus kann aber noch niemand etwas sagen. Und die Pandemie hat die Wahrscheinlichkeit, dass neues Geld für ein neues Projekt locker gemacht wird, nicht erhöht.

Von daher würde ich sagen: Die Unterstützung ist auf jeden Fall da, aber es ist die Frage, ob die finanziellen Ressourcen momentan da sind, um das Projekt entsprechend umsetzen zu können.

Wenn man das mit anderen Zentren vergleicht, ist das schon mit hohen Kosten verbunden. Und wir gehen ja auch davon aus, dass Hauptamtliche vertreten sein werden, und das sind eben auch Personalkosten. Wir könnten überlegen, die Finanzierung einiger Posten über das Land laufen zu lassen, über den Hessischen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt, aber das wird uns nicht von Gebäude- und Personalkosten befreien; das muss einfach städtisch getragen werden. Ich glaube, die Finanzierung wird ein sehr kritischer Punkt in der Planung.

Auf der anderen Seite sind wir in Wiesbaden aber auch ziemlich auf der Überholspur. Wenn man zu Beispiel schaut, wie schnell die Koordinierungsstelle verwirklicht wurde. Es hat zum Beispiel drei- oder vielmal so lange gedauert bis die Stadt eine Frauenbeauftragte hatte – für die Koordinierungsstelle hat es gerade mal zwei oder drei Jahre gedauert. Wir sind da schon echt fix! Und wir hatten bei der Einrichtung der Koordinierungsstelle aus allen Fraktionen Unterstützung und ich glaube, dass das beim Queeren Zentrum nicht anders sein wird.

Wie kann man sich über das Projekt und die fortlaufende Planung informieren? Wird es eine Website geben?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Website aufgrund der zeitlichen und personellen Ressourcen realisiert werden kann. Die Sitzungen des Runden Tisches sind offen, da können auch Menschen dazukommen. Und wir streuen die Infos über Social Media so viel wie möglich, auch um Transparenz zu zeigen. Wenn das Projekt irgendwann mal spruchreif ist, spätestens dann wird es auch eine Website geben. Momentan sind wir da noch zu sehr in der Planung. Man kann sich bis dahin auf der Wiesbaden-Seite informieren, da sind alle beteiligten Organisationen aufgeführt und man kann auf diesem Weg in Kontakt treten. Da findet sich außerdem auch der Kontakt zu Stefan Kräh von der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle. Dort wird auch alles immer regelmäßig upgedatet.


Foto: pro familia

Zur Person:

Peter Hofacker arbeitet seit 2 Jahren für die pro familia und ist für den sexualpädagogischen Bereich zuständig, macht Schulbesuche, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen. Zudem arbeitet er in der Paar- und Sexualberatung und auch im Bereich Fortbildung. Vorher war er 10 Jahre bei der AIDS-Hilfe in Wiesbaden tätig.

Einen Überblick zum queeren Leben in Wiesbaden sowie Kontakte zu den Gruppen und Institutionen gibt’s über die Website www.wiesbaden.de mit einer eigenen LSBTIQ-Unterseite.

Noch bis zum 31.12.2020 kann man sich über die Bürgerbeteiligungsplattform www.dein.wiesbaden.de über das Queere Zentrum informieren und Ideen und Meinungen einbringen

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