Das Hessische Staatsballett tanzt die „Startbahn“

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Foto: De-Da Productions

Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie haben die Pläne des Hessischen Staatsballetts durchkreuzt. Im Interview spricht Dramaturg Lucas Herrmann über Theaterarbeit im Ausnahmezustand – und kann Vorfreude auf eine Premiere noch in dieser Spielzeit wecken.


Herr Herrmann, wie ist das Ensemble und das Team mit dem erzwungenen Arbeitsstopp und vor allem der andauernden Ungewissheit seit Mitte März umgegangen?

Wir wurden praktisch auf der Zielgeraden unserer Wiesbadener Premiere des Doppelabends „Le sacre du printemps“ von der Theaterschließung überrascht. Bis zuletzt war unklar, ob wir die Produktion mit Choreografien von Bryan Arias und Edward Clug, die kurz zuvor sehr erfolgreich am Staatstheater Darmstadt auf die Bühne gebracht wurde, rausbringen können.

Letztlich fanden wir uns am Premierentag im Homeoffice wieder. Probenmöglichkeiten bestanden von da an keine mehr. Die täglichen Nachrichten ließen keine praktikablen Prognosen zum weiteren Verlauf der Lage zu. In Videokonferenzen versammelten wir uns regelmäßig im Leitungsteam und mit dem Ensemble. Relativ schnell ließen sich dann Onlinetrainings für unsere Tänzer*innen organisieren. Das Leitungsteam vom Hessischen Staatsballett traf sich überdies beinahe täglich in digitaler Runde, um über die aktuelle Lage zu beratschlagen.

Konnten alle geplanten Projekte verschoben werden und welche Alterativen konnten Sie übergangsweise für das Publikum einrichten?

Wir mussten leider das Kindertanzstück „Rotzfrech“ von Tim Plegge für diese Spielzeit absagen, das eigentlich bei den diesjährigen Maifestspielen Premiere feiern sollte. Diese Produktion konnten wir auf die übernächste Spielzeit 2021/22 verschieben. Zuvor sagten wir bereits den Doppelabend „Roots“ der aufstrebenden Jungchoreografen Eyal Dadon und Martin Harriague ab. Wir hoffen, dieses sehr vielversprechende Projekt irgendwann nachholen zu können. Auch einige unserer Gastspiele im Rahmen des Formats „Das Hessische Staatsballett lädt ein“ mussten wir auf unbestimmte Zeit verschieben. Schnell entschieden wir uns aber dafür, nicht untätig zu bleiben.

Seit Anfang April erstellen wir mit den „Virus Dances“ Tanzvideos für unsere Website und für Social Media-Kanäle. Darüber hinaus wollen wir den Kontakt mit unserem Publikum halten und neue Menschen für das Hessische Staatsballett begeistern. Mit „TTT – Talks, Trainings, Tasks“ entwickelten wir dafür ein Onlineformat mit öffentlichen Balletttrainings und Künstlergesprächen per Videokonferenz. Dabei hatten bisher vor allem einige unserer Tänzer*innen die Möglichkeit, die Arbeitsstände ihrer in Planung befindlichen Choreografien für das Projekt „Startbahn 2020“ vorzustellen.

Foto: De-Da Productions

Inzwischen können die Theater unter strengen Auflagen wieder öffnen. Kann das Hessische Staatsballett mit diesen Einschränkungen noch in dieser Spielzeit wieder auftreten? Haben wir dann wie beim Fußball „Geisterspiele“?

Es freut uns sehr mitteilen zu können, dass wir in dieser Spielzeit mit „Startbahn 2020“ noch die Möglichkeit haben, auf die Bühne zurückzukehren. In zwei Teilen an zwei Abenden werden Tänzer*innen unseres Ensembles am 5. und 6. Juni eigene Kurzchoreografien im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden zur Premiere bringen. An dem Projekt arbeiten die Choreograf*innen seit Monaten.

Weitere Vorstellungen sind nicht nur in Wiesbaden, sondern ab Anfang Juli auch in Darmstadt vorgesehen. Hinsichtlich der Aufführungsbedingungen bestehen einige Restriktionen, die den Tanz vor große Herausforderungen stellen. Durch den einzuhaltenden Mindestabstand sind körperliche Berührungen weitestgehend unmöglich. Duette, Trios oder anderweitige Gruppenformationen können damit im herkömmlichen Sinn nicht realisiert werden. Viele der Choreograf*innen mussten daher ihre ursprünglichen Konzepte entweder komplett verwerfen oder den gegebenen Umständen anpassen. Darüber hinaus gibt es staatlich angeordnete Zuschauerbeschränkungen, wodurch die Säle sich signifikant leeren werden. Eine „Geisterspielatmosphäre“ wird dabei aber hoffentlich nicht aufkommen. Wir versuchen der herausfordernden Lage aber auch etwas Gutes abzugewinnen und diese Einschränkungen zum Anlass zu nehmen, Tanz ganz neu zu denken.

Auch die Infos zur nächsten Spielzeit wurden bereits veröffentlicht; haben die Corona-Maßnahmen darauf Einfluss genommen – und auf was können Tanzfans sich besonders freuen?

Wir eröffnen die kommende Spielzeit hinsichtlich der Neuproduktionen mit dem Ballettdoppelabend „Horizonte“ mit Arbeiten der renommierten Choreografinnen Xie Xin und Sharon Eyal im Oktober in Darmstadt. Der Abend verspricht energetisch und sinnlich zu werden. Im Februar 2021 hat Tim Plegges neuer Ballettabend „memento“ zur Asrael-Symphonie von Josef Suk Premiere in Wiesbaden. Zuvor gibt es im Dezember und Januar ein Wiedersehen mit seiner Erfolgsproduktion „Der Nussknacker“. Ein weiteres Highlight im Mai ist „Kamuyot“ des legendären Ohad Naharin. Wir werden für dieses Projekt eine Außenspielstätte haben.

Die Neuproduktionen für die kommende Spielzeit wurden bereits vor Corona geplant. Aktuell tun wir alles Mögliche dafür, dieses Programm umsetzen zu können, eine Planungssicherheit gibt es aber nicht. Tanz ist sehr international und wir kooperieren weltweit. Damit potenzieren sich allerdings auch die Dinge, die es zu beachten gilt, wenn es darum geht, Menschen an einem Ort zu versammeln. Für Tanz, wie wir ihn kennen und ihn uns wünschen, ist das nun einmal essenziell …


5. und 6.6., Hessisches Staatsballett „Startbahn 2020“, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Christian-Zais-Str. 3, Wiesbaden, 19:30 Uhr, weitere Vorstellungen in Wiesbaden und am Staatstheater Darmstadt im Juni und Juli.

Tickets und Infos unter www.staatstheater-darmstadt.de, www.staatstheater-wiesbaden.de und www.hessisches-staatsballett.de

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