ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Natürlich steht noch nichts fest. Aber auch dieses Jahr wird es sich keineswegs um einen „Muckser“ handeln. Zwar stammt von dem ebendies bedeutenden vulgärlateinischen Wort muttum unser heute gebräuchliches Wörtchen Motto ab, aber die Bedeutung ist doch wohl eine andere.

In der Gegenwart verstehen wir vielmehr einen Wahl- oder Leitspruch darunter. Einen Slogan, vielleicht sogar einen Schlachtruf. Also eine schlagwortartige, programmatische Aussage, die eine Veranstaltung charakterisieren und prägen soll.

Foto: Flickr Nutzer Blogging Dagger/CC BY-SA 2.0

Derart über Wurzel und Bedeutung des Wortes belehrt, können wir die Aufgabe des Monats angehen: Ein Motto für den diesjährigen Frankfurter CSD zu ersinnen. Förderlich für diesen kreativen Prozess ist es zu wissen, dass die Pride-Veranstaltung der Mainmetropole in diesem Jahr ihr 25. Jubiläum begeht.

Bevor wir nun aber im Drogeriemarkt die Grußkartenständer auf der Suche nach einem spaßigen Geburtstagsspruch schwindlig drehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die 25-Jahr-Feier auch in einem Jahr stattfindet, in dem das Brexit-Trauerspiel unweigerlich seinen Lauf nimmt und auf der anderen Seite des Atlantiks ein neo-absolutistischer Herrscher allen Befürchtungen gerecht wird.

Und auch bei uns steht ja mit dem Urnengang zur Bundestagswahl eine bedeutsame Entscheidung an.

Wer dieses Spannungsfeld nun glaubt in einem griffigen Motto gebannt zu haben, möge es bis zum 12. März auf der Website des Frankfurter CSD-Vereins einreichen.

Der Lenz ist da

Foto: Flickr Nutzer Ingo Bernhardt/ CC BY 2.0

Lenzmond nannte man in alter Zeit den dritten Monat des Jahres, für den wir heute nur noch den einsilbigen und weniger poetischen März kennen. Aber immerhin: schon der dritte Monat!

Wir sind doch also schon um einiges in das neue Jahr vorgedrungen und fühlen uns bereits in ihm heimisch. Nur noch selten verschreiben wir uns mit der alten Jahreszahl beim Ausfüllen von Formularen.

Das wird auch höchste Zeit, denn nun beginnt schon der Frühling.

Die ersten sonnigen Tage haben bereits die entsprechenden Gefühlsregungen bei Mensch und Tier veranlasst. Gemütsbewegungen, die dereinst schon den Sängerkreis der Comedian Harmonists animierten, einer nicht näher bezeichneten Veronika in Gesangsform vieldeutig mitzuteilen, dass nun der Spargel wachse.

Eine augenzwinkernde Art von der Empfindungsaufwallung zu singen, die auch die heimischen Vögel motiviert, zögerlich ihre harmlosen Melodien zu intonieren.

Beobachtungen anlässlich eines unlängst unternommenen Frühlingsspazierganges haben aber gezeigt, dass urbane Grünanlagen-Kaninchen hier naturgemäß deutlich weiter sind und mit einer ungenierten Triebhaftigkeit aufeinander eindringen, die im Menschenreich nur von einschlägigen Autobahnparkplätzen und Kontakt-Dampfbädern bekannt ist.  

Geschminkte Unwahrheiten

Nun, da das Käferfresser-Spektakel im australischen Dschungelcamp zu seinem erwartbar unappetitlichen Finale gelangt ist, übernimmt in den kommenden Wochen mit Germany’s Next Top Model der deutlich ästhetischere Pro7-Gegenentwurf das Zepter unter den Herabwürdigungsformaten im frei empfangbaren Fernsehen. 

Bereits in der letzten Staffel durfte eine transsexuelle Frau in der Startaufstellung dabei sein, um dann bereits in Folge 3 ausscheiden zu müssen. In diesem Jahr treten sogar gleich zwei 19 und 20 Jahre junge Trans*-Frauen zur Wahl der Laufstegkönigin an.

Naiv ist, wer glaubt, den Macherinnen und Machern der Glamour-Show ginge es mit der Zulassung der beiden Transsexuellen darum, die Wahrnehmung und Akzeptanz von Trans*-Frauen als Teil der weiblichen Gesamtbevölkerung zu befördern. Eigentlich wäre es genau dafür höchste Zeit.

Foto: Flickr Nutzer lil'_wiz/CC BY-ND 2.0

Ein kurzer Blick in die offiziellen Kandidatinnen-Porträts zeigt aber, dass hier doch wieder nur stereotype Vorstellungen und die landläufigen Transsexuellen-Schablonen dargestellt werden. Menschen, die hübsch und gleichzeitig ungewöhnlich sind und „schon immer mit Barbies gespielt und Mädels-Klamotten angezogen“ haben. Um eine wenigstens ansatzweise reflektierte Darstellung von transidenter Realität geht es hier nicht.

Wenn eine der beiden Trans*-Kandidatinnen dazu wissen lässt, mit ihrer Teilnahme gegen Vorurteile ankämpfen zu wollen, ist das im Prinzip als höchst tugendhaft anzusehen und auch mich wird man dafür immer glühend bereit finden.

Ob sie dazu mit der Teilnahme bei der Nummer 1 der Oberflächlichkeitsshows, deren Funktionsprinzip ja das Vor- und Fremdurteil ist, das richtige Instrument gewählt hat, wird sie erst hinterher wissen, wenn sie von Jurorin Heidi K. wohl leider weit vor dem Finale nach Hause geschickt worden ist.

Natürlich ist es ebenfalls naiv, von einer Fernsehsendung, die nie ernsthaft den Anspruch auf Tiefgang und aufklärerischen Transport von LGBT*-Lebensrealitäten erhoben hat, ausgerechnet in ihrer zwölften Ausgabe ebensolches zu erwarten. Wir mögen uns in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass auch Ex-Juror Bruce Darnell niemals vorgab, stellvertretend alle schwulen Männer zu repräsentieren.

Mangels relevanter Botschaften im Zusammenhang mit den beiden Trans*-Kandidatinnen, gewinnen bei näherer Betrachtung die „unfrisierten“ Details über die Kandidatinnen unfreiwillig besonderes Gewicht.

Zum Beispiel die Feinheit, dass unter allen 28 Teilnehmerinnen in diesem Jahr ausgerechnet Giuliana,  eine der beiden Trans*-Frauen, als Einzige keinen Beruf angeben konnte.

Was bei der Model-Anwärterin möglicherweise Zufall sein mag, ist doch leider oft symptomatisch für transidente Lebenswirklichkeiten. Denn dort sind etwa 21 Prozent aller Trans*-Menschen ohne Arbeit – gut dreimal mehr als in der Gesamtbevölkerung. In Europa liegt die Erwerbslosenquote bei Trans*-Menschen sogar bei 40 Prozent.      

Das ist nicht schön.

Aber wahr.

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