ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Wie wunderbar es doch ist, wenn sich ein queeres Event mit einem Straßennamen benennen lässt. Dem „Cristopher-Street-Day“ ist das vergönnt.

Dem „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans- & Asexuellenfeindlichkeit“ (IDAHOBITA) nicht. Angefangen hatte auch dieser Gedenktag mal als „International Day Against Homophobia“ (IDAHO), der an den 17. Mai 1990 erinnerte, als die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel für Krankheiten strich.

Der IDAHO, der einstmals leicht erinnerbares Akronym zum gleichnamigen Wildwest-Bundestaat war, ist mittlerweile über die Grenze eines Buchstaben“kurz“wortes hinausgeschossen.

Foto. flickr Nutzer Bureau of Land Management Oregon and Washington/CC BY 2.0

Dabei ist es wichtig sich bewusst machen, dass die Buchstabenreihung nicht deshalb immer länger wird, weil plötzlich alle mit dabei sein wollen. Vielmehr ist sie ein Symptom dafür, dass viele queere Belange bisher in den Hintergrund gestellt wurden und unsichtbar blieben.

So ist zwar seit 1990 Homosexualität aus dem internationalen Krankheitsregister verschwunden. Transidentität steht aber bis heute immer noch als psychische Erkrankung darin. Kaum jemand weiß das.

Trotzdem ist es nachvollziehbar, dass sich nun einige Menschen sorgen, dass das Kunstgebilde aus Anfangsbuchstaben die Akzeptanz des eigentlichen gemeinsamen Anliegens in den Hintergrund drängt.

Aber was ist dieses gemeinsame Anliegen? Ist die Antwort darauf gefunden, liegt ein neuer Name für den gemeinsamen Aktionstag auf der Hand.

Queeres Scrabble

Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis es bei einer möglichen Neubenennung des 17. Mai kommt, ist es das Schicksal von Internationalen Gedenktagen, dass sie schon zwangsläufig meist zu Wortungetümen und deshalb meist abgekürzt werden.

Damit sich die queeren Buchstabenfolgen noch halbwegs aussprechen lassen, erforderte es schon beim IDAHOBITA etwas Knobelei um eine aussprechbare Reihung von Vokalen und Konsonanten hinzubekommen. Idealerweise müsste nun eine sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität oder amouröse Lebensweise gefunden werden, die mit einem Konsonanten beginnt.

Darüber hinaus scheint das Anfügen von Sonderzeichen wie * oder + zwar nett gemeint, erfüllt aber nicht wirklich den Zweck, Menschen, die bisher nicht berücksichtigt wurden, sichtbar zu machen.

Der Definition nach sollen sowohl * als + zwar anzeigen, dass alle anderen auch mit gemeint sind. In der Praxis bedeuten sie aber oft nicht mehr als „und so weiter und so fort“ oder „etc“.

Die Grenzen des Alphabetismus

Ist nicht überhaupt der LSBTIQ-Alphabetismus ziemlich anmaßend?

Längst bestätigen uns doch auch die Sexualwissenschaften das, was wir schon immer wussten. Nämlich dass es bei uns Menschen unendlich viele Varianten von Lieben, Lust und Leben gibt.

Ist es ernsthaft zukunftsweisend zu versuchen, diese grenzenlose Vielfalt in das enge Korsett von 26 Buchstaben und ein paar kryptischen Sonderzeichen zu zwängen?

„Ich sag‘ einfach queer, dann spar ich mir das ganze LSBT-was-weiß-ich“, verkündete mir neulich ein Bekannter an einem Abend in Norberts „Autographs Bar“.

Neunmalklug wie es meine Art ist belehrte ich ihn, dass es durchaus sehr angepasste, bisweilen sogar spießige Homosexuelle gäbe, auf die das Wort „queer“ im Sinne von „verschroben, komisch, sonderbar“ wohl kaum Anwendung finden könne.

„Dann halt ‚gay‘“, schlug mein Bekannter vor. „Das bedeutet im Englischen ‚fröhlich‘“.

Besserwisserisch erwiderte ich, dass das eine grobe Vereinfachung sei. Man kenne doch persönlich gleich mehrere Menschen, die zwar schwul, deshalb aber nicht immer fröhlich seien.

Andersrum gäbe es viele glückliche transidente Menschen, die aber nicht gleichgeschlechtlich begehrten.

Die Evolution von LSBTIQ*

Wenn sich aber, wie in dieser Kneipen-Anekdote, alle uns bekannten Vokabeln in der einen oder anderen Weise als untauglich erweisen, wirft das die Frage auf, wie sich jene, die gemeinsam unter der Regenbogenfahne segeln, nun bezeichnet sehen wollen.

In Fragen von gleichgeschlechtlicher Liebe und geschlechtlicher Vielfalt hilft in aller Regel selten ein Blick in die Bibel. Hier aber schon.

Denn im Buch Genesis werden in der Schöpfungsgeschichte zunächst nur Fische, Vögel, Kriechtiere, Vieh und Wildtiere genannt. Also FVKVW*.

Foto: Flickr Nutzer Eleleleven/ CC BY-SA 2.0

Mit den Fortschritten in der Zoologie und schließlich der Evolutionslehre wurde bald deutlich, dass die sehr rudimentäre Einteilung der Bibel nicht zu halten sein würde, wenn nicht auch Gefleckter Beilbauchfisch, Büschelohr-Oryx, Blauastrilde (aus der Familie der Prachtfinken), Sopramonte-Höhlensalamander und Haarnasenotter zu ihrem Recht kommen sollten.

Heute wissen wir, dass es der Wissenschaft vom Leben nicht einmal gelingt, sich auf eine gemeinsame Systematik zur Einordnung von Lebewesen zu verständigen.

Im Allgemeinen spricht man deshalb angesichts der unendlichen Diversität der Einfachheit halber von „Tieren“.

Im Umkehrschluss empfiehlt es sich deshalb zur umfassenden Bezeichnung der unzählbaren Vielfalt unserer Artgenossen den analogen Begriff zu benutzen:

„Menschen“.

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