ZWISCHEN DEN ZEILEN

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"Zu mir oder zu dir", war früher die Standard-Frage zur Einleitung eines One-Night-Stands. Und sie ist es auch heute noch.

Aber heute wird sie am gewählten Verrichtungsort angekommen von der Zusatzfrage ergänzt: "Wie ist das WLAN-Passwort?"

Wozu Netzzugang für den sich anbahnenden Sex wichtig ist, darauf gibt es mehrere Antworten.

Vielleicht um auf Grindr schnell noch zu checken, ob nicht doch was Besseres in der Nähe ist.

Oder um ein bisschen Netflix weiter zu schauen, falls es langweilig wird.

Aber auch die Nach-dem-Sex-Selfies sind auf den Bilderplattformen der sozialen Medien derzeit sehr beliebt.

Jedenfalls ist WiFi–Verbindung für viele längst in der Beletage ihrer Bedürfnispyramide angelangt, in der bislang noch Schlaf, Nahrung, Unterkunft und Sicherheit Quartier gehalten hatten.

Nicht selten bedarf es in Gastronomiebetrieben der Aufbietung aller Höflichkeit des Gastes, um zunächst ein Getränk zu bestellen und erst bei seiner Lieferung das Personal nach dem WLAN-Zugang zu fragen.

Das lässt sich auch in den Läden unserer schwul-lesbischen Szene amüsiert beobachten.

Am anschaulichsten an der Autorin selbst, die an diesen Orten eben diese Zeilen verfasst und die mit den Füßen scharrend der Verbindung mit dem Internet und seinen Online-Nachschlagewerken entgegen fiebert.

Weil der Duden nun mal zu schwer für die Handtasche ist.

Bild: flickr Nutzer Dushan Hanuska/CC BY-SA 2.0

Digitale Dressur

Doch auch ohne Fragen zur Rechtschreibung hat uns die Gebundenheit an die komfortablen Online-Dienste Verhaltensweisen andressiert, die vor zehn Jahren noch niemand verstanden hätte.

Etwa wenn wir bei wolkenverhangenem Himmel auf das Mobiltelefon starrend ziellos wie Insekten mal einige Meter hierhin und dorthin gehen und uns im Kreis drehen um endlich ein GPS-Signal zu bekommen, mit dem uns Google Maps sagen kann, wohin wir eigentlich laufen müssen.

Beinahe verstörend ist es zuzusehen, wie jemand sein Handy unvermittelt minutenlang in Achterkreisen herumschleudert um den Kompass des Gerätes zu kalibrieren.

Andere wiederum, die vielleicht gerade feuchte oder fettige Finger haben, wirken, als spielten sie auf der Rückseite ihres Gerätes Klavier, wenn sie einzeln mit jedem Finger versuchen über den Fingerabdrucksensor ihr Telefon zu entsperren. 

Und jeder weiß natürlich, dass Verabredungen für ein Treffen zu einer festgesetzten Uhrzeit heute nur noch vage und weitgehend unverbindlich getroffen werden um dann, je näher der vereinbarte Termin rückt, mittels des Messenger-Dienstes WhatsApp detaillierter ausgehandelt zu werden.

Das ist so alltäglich, dass der Satz „Bin in 5 Minuten da“ im Grunde wie das „www“ schon einen eigenen Button auf der Handy-Tastatur verdient.

Vorbei die Zeiten des guten alten Wilden Westens als man sich am Abend vor lauter Whisky über ein Pokerspiel mit gezinkten Karten in die Haare kriegte, daraufhin ein Duell für High Noon ausmachte und dann am nächsten Tag um 12 Uhr alle pünktlich und ohne weiteren Kommunikationsbedarf auf der Hauptstraße standen.

Jessica Purkhardt

Ungebetene Gesprächsteilnehmer

Kalt den Rücken herunter gelaufen wäre es jemandem in den 90ern, wenn mitten in der Unterhaltung plötzlich das auf dem Tresen liegende Handy von sich aus am Gespräch teilgenommen hätte.

Heute aber sind wir darauf schon so gefasst, dass wir geneigt sind, im Lokal einen Extra-Tisch für die Smartphones zu reservieren, damit sich Siri, Bixby und Google mal ungestört unterhalten können.

Mit ziemlicher Sicherheit gibt es schon längst automatisierte Instagram-Profile, denen unzählige andere Social Bots folgen und die deren wahllose Beiträge fleißig liken und kommentieren.

Das ist jedoch eine Welt, von der wir Menschen, die wir unser selbstgekochtes Essen und unsere in Schuhkartons sitzenden Katzen fotografieren, schon längst nichts mehr mitkriegen.

Ist auch besser so.

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