„Zwischen den Zeilen“ von Jessica Purkhardt

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Profilbilder weiblicher Pornostars, benannt mit Allerweltsnamen, die zusammenhanglos Inhalte teilen oder kommentieren. So kommen Social-Bots daher. Programme, die in den sozialen Medien echte Menschen simulieren und mit unterschiedlichen Absichten Meinungen beeinflussen sollen. Von den meisten echten Nutzern sind sie deshalb nur durch die Pornostar-Profilbilder zu unterscheiden.

Manche sind jedoch so gut gestaltet, dass sie fast zu schön sind um wahr zu sein.

So gelang es mir neulich nur unter Aufbietung meiner gesamten Willenskraft, die Freundschaftsanfrage eines amerikanischen Kinderarztes mit den Gesichtszügen des jungen George Clooney abzulehnen, der seiner Profilbeschreibung nach bereits in Skandinavien gearbeitet hatte, sich gebildet und weltgewandt präsentierte und auf einem Foto mit afrikanischen Waisenkindern tanzte.

In der Rückschau war das vielleicht ein Fehler, denn in der derzeitigen Ermangelung eines echten Kinderarztes mit der Erscheinung einer Espresso-Werbeikone, wäre dieser automatisierte Facebook-Account immerhin schon mal der Spatz in der Hand.

Möglicherweise hätten wir uns sehr gut verstanden und tiefgründigere Chats geführt als mit manchen meiner menschlichen Dialogpartner. Vielleicht war sogar genau das mit der Phrase gemeint, die während des Bundestagswahlkampfes von vielen Laternen prangte: „Digitalisierung als Chance nutzen.“

Die nicht immer ganz saubere Unterhose des Internets

Foto: flickr Nutzer Daniel Rossi/CC BY 2.0

Der Vorteil an Social Bot-Programmen ist, dass ihr Satzbau und ihre Grammatik zwar haarsträubend sind, ihre Rechtschreibung dafür aber meist fehlerfrei ist.

Und noch wichtiger: Auch wenn in den maschinenverfassten Kommentaren viel Unfug steht, echten Hass -ein menschliches Alleinstellungsmerkmal- können sie von selbst nicht reproduzieren.

Das wirklich abstoßende an menschengemachten Hass-Kommentaren ist doch nicht, dass beliebige Gemeinheiten formuliert werden. Denn die Teile des Internets, die nicht aus Pornografie, Katzenbildern und Kochrezepten bestehen, sind ohnehin voll davon.

Das schaurige an diesen Beiträgen ist vielmehr, dass sich irgendwo im Land jemand die Zeit genommen hat auf den Adressaten maßgeschneiderte Sätze zu formulieren, mit der Absicht, größtmögliche Verwundung zu erzielen.  

Auch dies ist übrigens ein Merkmal, das unter Lebewesen dieses Planeten einzig auf den Menschen beschränkt ist: Die Verwendung der kreativen Gabe um Artgenossen maximal leidvolle Verletzungen zuzufügen. Wer einmal ein militärgeschichtliches Museum oder einen mittelalterlichen Keller zur peinlichen Befragung besucht hat, wird hier sofort die entsprechenden Bilder vor Augen haben.

Grund genug, sich doch einmal damit auseinander zu setzen, welche Leute dort mutmaßlich geifernd vor ihren Bildschirmen sitzend solche Botschaften in die Tastaturen hämmern.

Anders als bei anonymen Emails oder Briefen genügt beim Social-Media-Dienst Facebook ein einziger Klick auf den Namen des Kommentar-Absenders, um zu seinen fahrlässig großzügig preisgegebenen Informationen und Bildern zu gelangen.

Die zeigen sehr oft Männer mittleren Alters aber in der Tracht, Gesichtsbehaarung und Frisur, wie man sie zuletzt 1992 getragen hat: Schulterpolster, Schnauzbart und Ganzkörperbrille.

Angesichts dieser Aufnahmen wird dann doch die Frage in mir laut: „Kann mich jemand wirklich beleidigen, der selbst in seinem persönlichen Umfeld seit 25 Jahren niemanden mehr gefunden hat, der ihn mal wieder fotografieren will?“

Sicherlich nicht.

Vielmehr drängt sich die Analogie zu einem vom Säuferwahnsinn ergriffenen Trinker auf, der tagsüber an einer Tram-Haltestelle mit zerschlissenen und uringetränkten Beinkleidern im eigenen Erbrochenen thronend wahllos vorbeikommende Passant*innen beschimpft.

Es handelt sich (neben einigem Psychotischem) also um die Abfuhr der eigenen Frustration.

Doch wofür wir im realen Alltag über Jahrhunderte ausgehandelte Normen haben, welches Verhalten geahndet werden muss und welches nicht, ist in der digitalen Welt noch so unklar geregelt, wie es die Strafkataloge der Bronzezeit waren. Oft sogar noch weniger.

Aus gutem Grund ist in Deutschland die Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Menschengruppen verboten und wird mit Freiheitsstrafe sanktioniert.

Geschieht gleiches gegen Einzelne im Netz, zeigt sich der Rechtsstaat dagegen oft zahnlos.

So wurde im vergangenen Monat von der Berliner Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt, mit dem sich die Politikerin Renate Künast gegen den auf Facebook geposteten Aufruf, man solle sie köpfen, zu wehren versucht hatte.

An diesem Beispiel wird sichtbar, wie gegensätzlich die Justiz auf Verstöße in der realen und der digitalen Umgebung reagiert.

Dass aber elektronische Medien das Flugblatt und den Marktplatz längst als Vermittlungsort für Aufwiegelei abgelöst haben, zeigten nicht nur die Bilder brennender Flüchtlingsunterkünfte und die PEGIDA-Zusammenrottungen, sondern lässt sich auch daran erkennen, welches Augenmerk die Rechtspopulisten den neuen Medien schenken.

Transgender Awareness Week in Rhein-Main

llewellyn_chin über iStock

Vernetzung und Zusammenarbeit im guten Sinne findet dagegen in diesem Oktober im Rahmen der „Woche der Beachtung“ für die Belange von Trans*Personen statt.

Höhepunkt ist die zweitägige Trans*Tagung in Frankfurt mit Informationen für transsexuelle Menschen, deren Angehörige, Beratende und Fachkräfte aus Betreuung und Medizin. Begleitet von Foto- und Textprojekten, Filmvorführungen und einer – wie kann es im Lutherjahr anders sein – Diskussionsveranstaltung zur „Reformation für Alle*". Ein weit gefasstes Programm, wie es in dieser Dichte im Rhein-Main-Gebiet schon lange nicht mehr zu hören und zu sehen war. (mehr Infos: transinfrankfurt.de).

Die Veranstaltungsreihe kommt genau zur rechten Zeit, denn in den vergangenen Jahren ist auch bei den schwul-lesbischen Interessenvertretungen und Akteur*innen die Erkenntnis gereift, dass in der Vertretung der Ansprüche und Bedürfnisse von LGBTIQ* eine große Ungleichzeitigkeit besteht.

Während Homosexuelle in den zurückliegenden Jahrzehnten etappenweise zu deutlich mehr rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichstellung gelangten, sind transidente Menschen deutlich in den Rückstand geraten, so dass auch heute noch staatlicherseits ein beinahe drei Jahrzehnte altes Transsexuellengesetz auf sie angewendet wird.

Gleichzeitig ist aber auch in der Trans*-Community klar geworden, dass der monatliche Austausch an Stammtischen und die gegenseitige Betreuung in Internetforen allein nicht ausreichen um unter den Verbündeten aus den anderen Communities und in der Politik für die eigenen Anliegen Gehör zu finden.

Dieser neue Aktivismus gepaart mit der Zurverfügungstellung von finanziellen Mitteln aus den Landesaktionsplänen für Akzeptanz und Vielfalt hat großes Potential den aufgetürmten Nachholbedarf zügig wettzumachen.

Die Sterne stehen also günstig.

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