ZWISCHEN DEN ZEILEN

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„Ist es nicht egal wer regiert?“ wird gelegentlich an den Tresen der LGBTIQ*-Szenelokale die rhetorische Frage laut.

Natürlich ist es nicht egal und die Politik der vergangenen Regierungskoalitionen zeigt, dass es sehr wohl Unterschiede gibt. Ob die Ergebnisse dabei immer deckungsgleich mit dem waren, was die handelnden Parteien als ihren Markenkern ausgegeben hatten, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Am 24. September ist Bundestagswahl. Ein wichtiger Termin, an dem auch die Weichen für die Queerpolitik der nächsten vier Jahre gestellt werden. Denn wichtige LGBTIQ*-Themen wie die zuletzt beschlossene „Ehe für alle“ aber auch die noch offenen Aufgaben wie etwa die Anerkennung von Regenbogenfamilien, der nationale Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie oder die Sicherstellung einer geschlechter- und diversitätsgerechten Gesundheitsversorgung müssen auf Bundesebene behandelt und entschieden werden.

Foto: Deutscher Bundestag / Edgar Zippel

Trotzdem hat kein demokratisches Parlament, sei es sich noch so einig, alle Macht und Einfluss für sich allein. Dass auch immer Wirtschaftsinteressen in das Regierungshandeln hineinspielen, schmecken wir zum Beispiel, wenn sich an einer Großstadtkreuzung wieder sanft der Diesel-Ruß auf unsere Bronchien niederschlägt. Wichtiger ist aber die Zivilgesellschaft, also wir, die ihre Ansprüche an die Politik formuliert und so lange zäh und nachdrücklich einfordert, bis sich im Bundestag die nötigen Mehrheiten für die Umsetzung zusammengerauft haben. Dass dieses Durchhaltevermögen Wirkung zeigt, haben wir recht überraschend an der Entscheidung um die „Ehe für alle“ gesehen.

Zu laut und dringend war die Forderung der lesbischen-schwulen Interessenvertretungen nach einem Ende der Diskriminierung im Partnerschaftsrecht geworden, zu viele deutlich konservativer geprägte Staaten hatten sie schon eingeführt und zu deutlich war auch die Zustimmung in der Mehrheitsgesellschaft dafür, als dass man mit dem Makel dieses unerfüllten Versprechens in eine Bundestagswahl hätte gehen können. 

Das Kreuz mit dem Kreuz

Die Beschäftigung mit Politik ist ganz sicher nicht alles Leben. Gleichwohl muss uns angesichts der Brexit-Entscheidung und  der Übernahme des Atomkoffers durch einen irrlichternden Geld-Chauvinisten klar sein, wie schnell Wahlentscheidungen in einer komplexen Welt, in der alles mit allem zusammen hängt, unmittelbare Konsequenzen für uns haben.

Gerade die ruckartige Entscheidung zur „Ehe für Alle“ führt uns doch vor Augen, wie augenblicklich Veränderungen möglich sind. In diesem Fall war es erfreulich, doch kann es schnell andersrum gehen, wenn das Kreuz aus einer unbedachten Stimmung heraus oder -noch schlimmer- gar nicht gemacht wird.

Nun hat es sich gefügt, dass auch die Autorin dieser Zeilen zum Heer der diesjährigen Bundestagskandidat*innen zählt und dabei Erfahrungen macht, die noch auf Jahre für heitere und ernste Anekdoten am Lagerfeuer reichen werden.

Wie es Brauch ist, tingele ich nun mit der Combo der Direktkandidat*innen der anderen Parteien von Podiumsdiskussion zu Podiumsdiskussion und kann mich nicht erinnern, jemals an so vielen aufeinanderfolgenden Tagen so viel Mineralwasser getrunken zu haben wie bei diesen Veranstaltungsformaten, wo auf den Tischen obligatorisch eine Flasche Wasser nebst Glas ansonsten aber nichts steht.

Foto: Flickr Nutzer shira gal/CC BY 2.0

Auch erfahre ich, wie unterschiedlich sich die eigene Stimme mikrofonverstärkt auf einem gewerkschaftlichen Bier-und-Bratwurst-Fest (kämpferisch), in einer Kirche (pastoral) und einem Hörsaal (klug) anhört. Das Fiepen im Ohr von den Rückkopplungen, die die nicht immer professionell eingestellten Verstärkeranlagen verursacht haben, wird mir wohl bis über den Wahlsonntag hinaus als Souvenir erhalten bleiben.

Wenn irgendwann am Abend das letzte Abschlussstatement gesprochen und das letzte Glas Wasser getrunken ist, empfiehlt es sich der Bodenhaftung halber zum Tagesausklang noch mal das heimische Biotop der queeren Szene-Bars aufzusuchen. Allein schon zu dem Zweck, das unvernünftig viele Mineralwasser mit stimmungsaufhellenderen Getränkealternativen herauszuschwemmen.

Die an den Bar-Tresen aufgereihten Damen und Herren befassen sich in diesen Wochen zunehmend mit einem Thema: der anstehenden Bundestagswahl.

Bedingt durch meinen gewissen Bekanntheitsgrad wendet sich mir deshalb bald jemand zu, erklärt, ich käme gerade recht und beginnt einen politischen Diskurs. Der bescheidene Hinweis auf das Konzept des Feierabends verhallt dabei ungehört und schnell ist die Debatte wieder entsponnen. Dabei ist sie im Bekanntenkreis, bei Gin-Tonic und musikalisch untermalt von Marianne Rosenberg aber um einiges leichtgängiger.  

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Bei meiner Feierabend-Patrouille durch die Frankfurter Gay-Szene freut mich in diesen Tagen, dass sich wieder etwas tut und das Rad der Innovation nicht stehen bleibt. Das traditionsreiche „Comeback“ kehrt nach einem Intermezzo als „Bermuda Bar“ unter neuem Betreiber wieder zum alten Namen zurück und auch unweit davon entfernt weht ein frischer Wind, der dort noch etwas nach Farbe riecht, denn im „Tangerine“ werden umfangreiche Maler- und Renovierungsarbeiten ins Werk gesetzt. Damit verbunden ist eine konzeptionelle Neuaufstellung, deren Inhalt Chefgastronom Norbert vorerst noch geheim hielt und den er sich auch auf mein Angebot, endlich meinen Deckel zu bezahlen, nicht entlocken ließ.

Es ist also erfreulich, dass wir neben der Möglichkeit am 24. September wählen zu können, auch weiterhin die Auswahl unter einem vielfältigen gastronomischen Szene-Angebot haben.

Von beidem sollten wir Gebrauch machen.  

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