ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Das Frankfurter LGBT*IQ-Nachtleben sei eher überschaubar, las ich unlängst auf Twitter und war sofort glühend bereit zu erwidern, dass es sich bei dieser Ansicht um ein weit verbreitetes Vorurteil handele.

Dabei kommt es sicherlich auf die eigene Perspektive an. Überschaubar als Gegenteil von unübersichtlich ist für Frankfurt zutreffend – und das ist auch gut so. In der queeren Berliner Partyszene ist das beispielsweise nicht der Fall, so dass ich dort immer das Gefühl habe, nicht am richtigen Ort zu sein und etwas zu verpassen.

Kommen solche Empfindungen im kleinräumigen Frankfurt auf, muss man nicht die Dienstleistungen der Verkehrsbetriebe in Anspruch nehmen, sondern es genügt ein Spaziergang, um sich durch die Läden des Bermudadreiecks zu hangeln.

Foto: gemeinfrei

Überschaubar im Sinne von begrenzt ist erst dann in Frankfurt zutreffend, wenn man weiß, wie viele Dutzend lesbische und schwule Bars und Clubs beispielsweise in den 1960er Jahren über den Innenstadtbereich verteilt waren. Heute dagegen ist die Szene ziemlich genau im 1-Kilometer-Radius um die Konstablerwache zu Hause.

Selbst der Begriff Nachtleben an sich ist keine feststehende Größe, setzt man das Vorhandensein von Lebendigkeit voraus. Die bloßen Öffnungszeiten bis über den Sonnenuntergang hinaus, sind für sich nämlich kein Qualitätsmerkmal.

Klasse statt Masse

Anlässlich eines Partnerstadt-Besuches durchstreifte ich vor einiger Zeit mal das queere Stadtviertel im amerikanischen Philadelphia. Dort gibt es schon so lange regenbogenfarbige Zebrastreifen, dass sie schon wieder verblasst sind, während der Regenbogen-Kreisel im Herzen des Frankfurter Bermudadreiecks immerhin jedes Jahr rechtzeitig zum örtlichen Christopher-Street-Day aufgefrischt und nachgeschminkt wird.

Ehrfurchtgebietend ist in Philadelphia natürlich das Fahnenmeer, das an den Fassaden von LGBT*IQ-Bars mild in der von New Jersey herüberwehenden Brise wogt und auch solche Farben umfasst, die ohne das Handbuch des queeren Flaggenalphabets nicht zu entziffern wären.

Angesichts der äußerlichen Banner-Vielfalt ist die Ernüchterung umso größer, welche Einfalt und Vereinsamung im Innenraum herrscht. Und welche Kälte. Bekanntermaßen liebt man es in „den Staaten“ klimatisiert und kühlt sich als Geste der Gastfreundschaft gemeinsam auf 8 Grad herunter.

Es soll viel heißen, wenn ich dort ein Bier, für das mir ein nicht unerheblicher Betrag von meiner Kreditkarte abgehobelt wurde, stehen ließ, um der Kältestarre zu entkommen und wieder auf die Straße zu fliehen. Wenn nicht die Frostgrade, dann hätte mich spätestens die Trübsal verscheucht.

Missmutig und alleine am Tresen sitzende Männer, ohrenbetäubende Hip-Hop-Musik und Fernseher, auf denen Baseball gezeigt wird. Ein Spiel, dessen Langatmigkeit und undurchschaubares Regelwerk meine Aufmerksamkeitsspanne dermaßen überforderte, dass ich lieber die Zeit damit totschlug Barhocker, Lampen und Fliesen zählte und als das getan war nach Hause ging.

Der Gesang der Schweine

Von keiner Bar der Frankfurter LGBT*IQ-Szene kenne ich dagegen die Zahl der vorhandenen Tische, Stühle, Lichtstrahler oder Fliesen. Das liegt zum einen daran, dass die Böden vielfach mit Laminat und Holzparkett belegt sind. Vor allem ist schlichtweg zu viel los, als dass die zum Zählen notwendige Langeweile aufkäme.

„Über den Mund blühen Betastungen von Haut

Die Hand berührt die Oberfläche

eines Menschen

Reste von Ekstasen prickeln auf den Bauchnabel

Die Brust leuchtet von Blicken.“

So liest der Autor schwuler Lyrik, Joachim Durrang, beispielsweise in der Autographs Bar gelegentlich aus seinem Gedichtband Der Gesang der Schweine vor. Das ist für die Nachmittagszeit schon recht tiefgründig und erotisch.

Foto: flickr Nutzer rawdonfox/CC BY 2.0

Nur eine Facette aus dem reichhaltigen Subkulturprogramm von Frankfurts überschaubarer aber umtriebiger Szene.

Sind wir nicht alle Fruchtjoghurts?“, fragt dann auch Jan Ranft im Rahmen des Begleitprogramms zur Frankfurter Buchmesse. Im SWITCHBOARD liest er aus seinem im letzten Jahr erschienen Erstlingswerk „Himbeerjoghurt mit Sahne“ Szenen aus dem schwulen Leben mit Anekdoten, Begegnungen, Gefühle und Sehnsüchte, wie sie jeder kennt (26.9./20 Uhr).

Ganz offenbar ist Frankfurts Szene keineswegs so cool wie die anderer Städte. Dafür weltoffen und warmherzig –zwei Qualitäten, die die Mainmetropole grundsätzlich ihr Eigen nennt. Müsste man sich zwischen ihnen entscheiden, so sind doch die letzteren die wirklich erstrebenswerten.

Im Übrigen ist eine Szene nur so gut, wie man über sie spricht.

An mir soll’s nicht liegen.

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