ZWISCHEN DEN ZEILEN

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„Unsere Nation ist gegründet auf dem Glauben, dass alle von uns gleich sind und es verdienen ihre eigene Vorstellung von Glück anzustreben, das meiste aus unseren Talenten zu machen, zu sagen, was wir denken, unangepasst zu sein.  Vor allem aber, sich selbst treu zu bleiben.  Diese Freiheit bereichert uns alle. […] Und jeden Tag wird es besser“, sagte der damalige US-Präsident Barack Obama in seiner Videobotschaft für das „It Gets Better Project“. Eine Aktion des Kolumnisten Dan Savage für queere Jugendlichen, die Ziel von Ausgrenzung und Mobbing waren.

Und tatsächlich erreichte die Zustimmung in der Bevölkerung zur gleichgeschlechtlichen Ehe in jenen Jahren den bis dahin höchsten Stand. Im Jahr 2015 ebnete dann eine wegweisende  Entscheidung des Obersten Gerichts der USA den Weg zur rechtlichen Gleichstellung.

Dass die gesetzlichen Regelungen endlich besser würden, erhofften sich hierzulande auch viele transidente Menschen, als das Bundesverfassungsgericht 2011 entschied, die Sterilisation als Voraussetzung für die formale Änderung des Geschlechtseintrages auszusetzen. Die Zuversicht war groß, dass bald eine Reform des unzeitgemäßen Transsexuellengesetzes folgen würde. Reformvorschläge lagen längst auf dem Tisch und die Absichtserklärungen der Politik waren zahlreich.

Umso größer ist nun die Enttäuschung über den jüngst vorgelegten Gesetzesentwurf, der weiterhin ein gerichtliches Verfahren vorsieht und neue Hürden einzieht.

Sicher, es wird besser. Nur zu langsam.

Gleichzeitig ungleichzeitig

Seit Albert Einstein wissen wir: Zeit und Raum sind relativ. Die Zeitläufte sind dabei abhängig vom eigenen Standort.

Weil die Relativitätstheorie mutmaßlich im ganzen Universum in Kraft ist, gilt sie auch im Bezug auf die Emanzipation von Lesben, Schwulen und Trans*.

Foto: flickr Nutzer thierry ehrmann/ CC BY 2.0

So ist vieles, was in den wilden Sommernächten vor 50 Jahren in der New-Yorker-Christopher-Street noch undenkbar war, für Lesben und Schwule in vielen Ländern der westlichen Welt heute Realität. Staatliche Übergriffe und Gängelung wie etwa die strafrechtliche Verfolgung schwuler Männer und der Sorgerechtsentzug für Kinder frauenliebender Frauen gehören der Vergangenheit an.

Darüber hinaus strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 17. Mai 1990, Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel für Krankheiten.

Seit 2005 gedenkt die LGBT*IQ-Community diesem Tag.

Ende Mai 2019, also 29 Jahre danach hat nun die WHO ihre Novelle der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, den ICD-11, vorgestellt. Darin wird nun erstmals Transsexualität nicht mehr als psychische Krankheit geführt, sondern zu einem medizinischen Zustand wie Schwangerschaft oder Unfruchtbarkeit erklärt. Das ist ein wichtiger Schritt der Ent-Psychopathologisierung von trans* Menschen.

Auch bezüglich der Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt hat die WHO den Fortschritten wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Akzeptanz Rechnung getragen und geschlechtliche Vielfalt anerkannt, indem sie zuvor binärgeschlechtliche Formulierungen ersetzte. Die Bezeichnung lautet nun „gender incongruence“ und wird im Kapitel zu „Sexueller Gesundheit“ genannt. Das ist ein deutlicher Fortschritt.

Vorwärts zurück!

Während die WHO dafür auf der internationalen Bühne Szenenapplaus für die Berücksichtigung der Belange von transidenten und nicht-binären Menschen erhält, fliegt in den Kammerspielen der bundesdeutschen Politik das faule Obst und Gemüse.

Denn unlängst legte das Regierungskabinett dort einen Entwurf für die „Reform“ des veralteten und wissenschaftlich längst überholten deutschen Transsexuellengesetzes (TSG) vor. Für das Ergebnis gibt es im indonesischen sogar ein eigenes Wort, das im deutschen so keine Entsprechung hat. Es steht für eine gutgemeinte Idee, die aber alles nur noch schlechter macht.

So sieht der vorgelegte Referentenentwurf nun zusätzlich eine Stellungnahme der Ehepartner*innen von transidenten Menschen vor, wenn diese den Antrag auf Änderung ihres Vornamens und ihres Personenstandes beantragen.

Die Selbstvertretungsorganisationen sehen darin zu Recht eine unnötige Schikane, die geeignet ist Familien zu zerstören, statt sie intakt zu halten.

Der seit Jahren kritisierte Kernpunkt des Transsexuellengesetzes, die psychologisch-psychiatrische Pflichtüberprüfung, die der Vornamens- und Personenstandsänderung vorgeschaltet war, bleibt jedoch erhalten.    

Dabei liegen bereits längst mehrere gute Entwürfe für ein modernes, wissenschaftlich zeitgemäßes und verfassungskonformes Selbstbestimmungsgesetz auf dem Tisch und viele Staaten in Europa haben den Beweis angetreten, dass geschlechtliche Selbstbestimmung rechtlich umsetzbar und praktikabel ist.

Die Ratlosigkeit in der Trans*Community ist deshalb groß, weshalb nicht nur die weithin gutgeheißenen Entwürfe unberücksichtigt blieben, sondern auch noch zusätzliche Gängelungen installiert wurden.

Vor allem aber ist es ein physikalisches Paradoxon. Denn obwohl trans* Menschen am gleichen Standpunkt und an der Seite von Lesben und Schwule stehen, vergeht für sie die Zeit offenbar langsamer.

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