ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Jeder Eins-Komma-Achte bis Eins-Komma-Neunte sieht geil aus.

So exakt muss ich schon sein, wenn ich von der schwulen Szene in der Frankfurter Partnerstadt Tel Aviv erzählen will.

Dieser Mittelwert ist das Ergebnis nicht nur meiner eigenen Beobachtungen der letzten Nächte, sondern berücksichtigt auch die Bewertungen anderer szenekundiger Tel Aviv-Reisender.

Foto: Jessica Purkhardt

Die pulsierende Mittelmeer-Metropole ist längst eine der Top-Destinationen auf der internationalen Gay-Travel-Landkarte.

Bars, Clubs und Restaurants reihen sich in kleinen Gassen, Hinterhöfen und Boulevards aneinander und nicht immer ist klar, wo der eine Laden anfängt und der andere aufhört.

Für Ortsunkundige ist es deshalb nicht immer ohne weiteres auf den ersten Blick zu erkennen, welches Etablissement sich explizit dem LGBT*IQ-Publikum verschrieben hat.

Regenbogenfähnchen an der Eingangstür und die Navigation mit Smartphone-Apps helfen zwar ein bisschen, aber es fühlt sich anfangs doch mehr an wie eine queere Schnitzeljagd als leichtfüßiges Bar-Hopping.

Foto: Jessica Purkhardt

Und damit hat das Gay-Nachtleben von Tel Aviv ein Merkmal mit der schwul-lesbischen Szene in Frankfurt gemein: Für Ortsfremde ist es zunächst unübersichtlich.

Deswegen hat man unlängst in der Szene einige Ideen gesammelt, um unseren Gästen von außerhalb noch unübersehbarer zu zeigen, wo LGBT*IQ in Frankfurt besonders willkommen sind.

Mehr geRecht als GeSchlecht!

Um ein Vielfaches verwirrender ist aber noch die politische Diskussion um die Einführung eines dritten positiven Geschlechtseintrages.

Im vergangenen Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung den Gesetzgeber aufgefordert, einen solchen einzuführen.

Es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass ein Mensch, der sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen könne, durch die geltenden Rechtsvorschriften genötigt werde, dies zu tun.

Schlimm, dass es überhaupt des Bundesverfassungsgerichtes dazu bedurfte. Denn man muss nicht lange drüber nachdenken um drauf zu kommen, dass es sich hierbei um eine offenkundige Ungerechtigkeit handelt, die schon längst von der Politik hätte ausgeräumt werden müssen.

Stattdessen bleibt nun auch der vom Seehofer-Ministerium vorgelegte Gesetzesentwurf zum dritten Personenstand weit hinter den Erwartungen zurück.

Foto: flickr Nutzerin Magdalene Geisler/ Public Domain Mark 1.0

Denn nicht nur inter*geschlechtliche Menschen wie etwa die Person, die vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hatte, sondern auch nicht-binäre und transidente haben große Hoffnungen in die neue Rechtsregelung gesetzt.

Denn unabhängig von uneindeutigen männlich oder weiblichen körperlichen Merkmalen wie etwa dem Erbgut, den Hormonen oder den Genitalien, die eine Inter*geschlechtlichkeit begründen, können sich nicht alle Menschen einem der beiden bestehenden Geschlechter zuordnen und verorten sich ganz individuell zwischendrin.

Sinnvollerweise hätte auch ihnen durch den Gesetzgeber zugestanden werden müssen, sich für einen dritte Personenstand (oder auch gar keinen) entscheiden zu können.

Weil man in der Sexualwissenschaft längst herausgefunden hat, dass sich das Geschlechtsempfinden nicht diagnostizieren lässt, hätte in einem entsprechenden Gesetz für den dritten Geschlechtseintrag ein einfaches Verfahren geregelt sein müssen, dass Menschen ermöglicht durch Selbstauskunft beim Standesamt ihren für sie passenden Personenstand eintragen zu lassen. Ohne ein vorhergehendes Gerichtsverfahren und die damit verbundenen teuren und unnötigen psychologischen Pflichtgutachten.

Die nämlich sind Voraussetzung für transidente Menschen, die nach dem sogenannten Transsexuellengesetz ihren Personenstand ändern lassen möchten.

Entsprechend haben auch trans* Menschen darauf gehofft, dass das Innenministerium den logischen und zeitgemäßen Schluss zieht und mit der Einführung einer dritten Option beim Geschlechtseintrag diesen auch für nicht binär-geschlechtliche Menschen öffnet.

Und zwar ohne psychologische Begutachtung.

In diesem Zuge hätte dann auch das Transsexuellengesetz von 1980 in ein modernes Selbstbestimmungsgesetz überführt werden müssen.

Dringend notwendig, denn Deutschland ist mit seinen Rechtsvorschriften, die geschlechtliche Vielfalt betreffen, schon lange ins Hintertreffen geraten und ist im Vergleich zu Malta, Irland aber auch Uruguay und sogar Pakistan rückständig.

Enttäuschendes aus dem „Heimatmuseum“

Doch so wie es derzeit aussieht, bleibt es auch so. Denn der Entwurf des zuständigen Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat enttäuscht nicht nur alle weitergehenden Hoffnungen, sondern legt auch für inter*geschlechtliche einen medizinischen Nachweis fest.

Zwar haben die Interessenvertretungen sofort reagiert, auf die offensichtlichen Schwächen hingewiesen und das zuständige Ministerium zum Anhalten der Gesetzesvorlage aufgefordert, doch ihr Ruf verhallte bislang ungehört.

Das ist oft so bei Minderheiten. Dabei hat eine Petition, die den Stopp des Gesetzes und die Erarbeitung eines neuen, das geschlechtliche Vielfalt anerkennt und schützt, bereits mehr als 38.000 Unterzeichner*innen.

40.000 werden benötigt und wer eine*r davon sein will, kann es hier werden.

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