ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Ein lebloses Salatblatt, auf dem eine ausgeweidete Tomate treibt. Gefriergetrocknete Schnittlauchschnipsel, manchmal eine Prise Paprikapulver, Tupfer von Balsamico-Créme, seltener sogar essbare Blüten.

So finden wir hier hierzulande meist unsere Tellerränder dekoriert.

Was uns natürlich nicht davon abhalten soll, immer wieder über eben diese Tellerränder hinauszublicken.

Eine Binsenweisheit, die im Bezug auf Gaumenfreuden dennoch genauso richtig ist, wie hinsichtlich der Teilnahme an CSD- und Pride-Veranstaltungen.

Letzteres haben ein gutes Dutzend Mitglieder von ERMIS in diesem Jahr in die Tat umgesetzt. Der Zusammenschluss von griechischstämmigen Lesben und Schwulen, von denen ein großer Teil im GAB-Verbreitungsgebiet lebt, nahm zum ersten Mal am noch vergleichsweise jungen „Athens Pride“ teil und es bedurfte keines Wortes der Überredungskunst um auch die Autorin dieser Zeilen zur Teilnahme an jener Exkursion über den Tellerrand hinaus zu bewegen.

Bild: Jessica Purkhardt

Angekommen in Athen, der Stadt an deren antiken Stätten so vieles in Stein gemeißelt ist, war schnell deutlich, dass der Ablauf von Pride-Festivals dies keineswegs sein muss.

So wurden die Organisator*innen von der australischen Botschaft unterstützt. An den ERMIS-Stand schmiegten sich die Stände der „Police Action for Human Rights“ sowie der US-Demokraten in Griechenland. Und schräg gegenüber informierte die Sexarbeiter*innen-Organisation „Roter Regenschirm“.

ΠΑΡΟΥΣΑ – anwesend (f.)

Zwei häufig gestellte aber selten beantwortete Fragen bezüglich der deutschen CSDs warf ein Blick über Kundgebungsort und Parade-Demo-Zug des Athens Pride auf.

Wer geht denn eigentlich hierzulande zu Pride-Festen und CSDs?

Und wer nimmt dann dort auch tatsächlich daran teil?

Auf etwa ein Drittel konnte man auf dem Athener Syntagma-Platz die Zahl der anwesenden jungen Frauen schätzen.

Kein Zufall, denn just darauf hatten die Athener Organisator*innen abgezielt mit ihrem tiefsinnigen Motto, das in dieser Weise zwar die griechische Grammatik erlaubt, die deutsche jedoch nicht: parousaanwesend als Adjektiv in der weiblichen Form.

Mit nur einem Wort spannt es sich über die Notwendigkeit von mehr lesbischer und trans*weiblicher Sichtbarkeit, über die Ansprüche des Queer-Feminismus weiter über den  stattfindenden Rollback von jahrzehntelang von Frauenrechtler*innen erkämpfter weiblicher Gleichberechtigung und Teilhabe bis hin zum Imperativ Zeigt euch!

Bild: Jessica Purkhardt

Im Vergleich ist dem deutschen Sprachgebrauch prägnante Kürze dagegen häufig fremd, wofür auch diese Kolumne zum Antreten des allmonatlichen Beweises als tauglich empfohlen werden kann.

Ist dabei sein alles?

Eine weiterer Sachverhalt eröffnete sich in der griechischen Hauptstadt im Verlauf der Demo-Parade, zu der wir wenngleich in den Abendstunden, aber zu Beginn dennoch in schattenloser Gluthitze antraten, so dass sich manch eine*r um ein Haar die Perücke vom Kopf schwitzte.

Auch wenn sich die Benennung in den vergangenen Jahren gewandelt hat, kommen die Aufzüge durch die deutschen Innenstädte gewogen nach den Verhältnissen von Zuschauenden und Teilnehmenden doch eher Paraden oder Festumzügen gleich.

Einige laufen mit und sehr, sehr viele stehen Spalier, schauen zu und freuen sich.

Das ist auch gut so, denn eine Demonstration erreicht ihren Sinn der Wortbedeutung nach, wenn jemand etwas zeigt und jemand anderes zusieht (und im besten Falle versteht).

Die zurückliegenden Jahrzehnte der griechischen Geschichte drängten den Menschen eine überreichliche Zahl von Anlässen auf, um ihre Meinungen auf den Straßen zum Ausdruck zu bringen.

Diesen Hintergrund vorangestellt überrascht es nun nicht mehr, dass auf dem Athener CSD im Grunde alle auf dem Festplatz anwesenden am Demo-Umzug teilnahmen, obgleich es nur eine Handvoll eigenständiger Gruppen gab.

Damit war die Abteilung der frei der Musik hinterher Tanzenden die mit Abstand größte.

Die Begeisterung über die große Beteiligung ist in der Rückschau jäh dahin, wenn man sich bewusst macht, dass kaum Zuschauer*innen den Saum für den Umzug stellten. Manchmal gar niemand.

Auch das ist ein Statement.

Wenngleich es sich nun so liest: Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Der Frankfurter CSD ist fast viermal so alt wie der Athener und entsprechend etabliert.

Es zeigt aber, dass sich das Spannungsfeld in der Pride-Saison nicht allein am Verhältnis von Party und Politik abzirkeln lässt.

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