Interview: „Ballett widerspricht dem allgemeinen Bild von Männlichkeit“

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Aleix Martínez wurde 1992 in Barcelona geboren und tanzt seit 2010 am renommierten Hamburg Ballett. Inzwischen choreografiert er auch selbst und ist mehrfach ausgezeichnet worden. Wir hatten Gelegenheit, mit ihm über die Leidenschaft Tanz und über Ballett-Klischees zu diskutieren. Und über die Theaternacht Hamburg.

Foto: Kiran West

Wann hast du mit dem Tanzen angefangen?

Ich war sieben, als ich mit den Grundlagen von Ballett angefangen habe. Ich glaube aber, dass es immer schon ein Teil von mir war, mich über Bewegung auszudrücken. Etwas Instinktives. Als ich älter wurde, war es für mich einfach klar, dass es das ist, was ich tun möchte.

Warum ist deine Ausdrucksform Ballett und nicht irgendeine andere Form der Performing Arts?

Es ist nicht nur Ballett. Nicht nur Tutu und Jungs, die Mädchen durch die Lüfte tragen. Es ist Tanz. Ich mache von zeitgenössischem Tanz über Butoh und Ballett bis zu Folklore alles. Ich würde daher eher davon sprechen, dass Ballett eine Grundlage ist und Tanz meine Kunstform, mich frei auszudrücken. Ich glaube, ich könnte das in keiner anderen Form wie Schauspiel oder Gesang.

Wie oft übst du in der Woche?

(lacht) Jeden Tag. Wirklich jeden einzelnen Tag. Wir haben natürlich freie Tage, aber unser Körper ist unser Instrument. Er muss in Form bleiben. Die Disziplin, immer wieder die gleichen Übungen zu machen über Jahre, führt zu Freiheit. Der Freiheit zu tanzen, sich auszudrücken, ohne Barrieren, ohne Nachdenken über Technik. Ein vollständiges Verschmelzen mit dem Stück, dem Inhalt.

Gibt es ein besonderes Lieblingsstück?

Es gab nicht den besonderen Moment, das besondere Stück, das mich begeistert hat. Es war nicht Schwanensee oder ein anderes klassisches Ballett, das mich bewegt. Es war vielmehr die Erkenntnis, dass das, was ich da auf der Bühne sehe, meine Sprache ist, die ich selber in mir spüre. Die Energie, die Bewegung und die Magie berührten mich weit mehr, als ein Stück oder ein Komponist im Speziellen. Wenn ich choreografiere, muss ich natürlich Musik und Stücke auswählen – ich wähle die, die mich inspirieren, die meine Seele berühren.

Foto: Kiran West

Es gibt das Vorurteil, Ballett sei „schwule Kunst“. Wie erklärst du dir das?

Wir sind in erster Linie Menschen, die die gleiche Sprache, den Tanz, sprechen. Diese Gemeinsamkeit baut Barrieren ab. Das Vorurteil, Ballett und Tanz im Allgemeinen seien „schwule Kunst“, ist schon deshalb nicht verständlich, weil es Frauen früher überhaupt nicht erlaubt war, auf den Bühnen zu stehen. Selbst Tango war ursprünglich ein Tanz für zwei Männer. Da war keine Idee von Homosexualität. Ich denke eher, dass diese Gedanken, speziell beim klassischen Ballett, daher kommen, dass alles immer so leicht, so grazil aussieht – alles ist organisch und weich und schön. Das widerspricht dem allgemeinen Bild von Männlichkeit. Wir haben immer noch die Grundprägung, dass Frauen gefühlsbetont betrachtet werden, Männer nicht. Männer müssen hart und stark sein, alles was weich und nachgiebig wirkt, wie die Bewegungen im klassischen Ballett, wird als schwach und feminin wahrgenommen.

Trotzdem gibt es von Komponisten (Tschaikowsky) bis zu Choreografen (John Neumeier) überdurchschnittlich viele Beispiele erfolgreicher Homosexueller im Ballett. Warum?

Auch hier glaube ich nicht, dass man das auf Ballett beschränken kann, und ich glaube auch nicht, dass es überdurchschnittlich viele sind. In jeder Form der Kunst geht es aber darum, sich zu öffnen. Du musst im übertragenen Sinn nackt sein, um deine Kunst schaffen oder ausüben zu können. Du kannst dich und dein Inneres nicht verstecken, weil du sonst blockiert bist.

Was werden du und das Hamburg Ballett bei der Theaternacht machen?

Auf der Hauptbühne geben wir einen Vorgeschmack auf die Wiederaufnahme von „Chopin Dances“, zwei Klassiker des amerikanischen Choreografen Jerome Robbins zu Musik von Frédéric Chopin. Später gibt es auf der Probebühne 1 auch noch Einblicke in die Arbeit der Jungen Choreografen. Dieses Projekt gibt den Mitgliedern der Compagnie die Möglichkeit, einmal im Jahr ihre eigenen Choreografien auf die Bühne zu bringen. Bei der Theaternacht zeigen wir Ausschnitte aus unserem letzten Programm, für das ich das Stück "...____..." choreografiert habe.

Foto: Kiran West

Was denkst du über die Theaternacht Hamburg?

Es ist eine großartige Initiative, Theaterwelten für neues Publikum zu öffnen. Ich wünschte, in meiner Heimat Barcelona gäbe es auch so etwas. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, gerade jungen Menschen zum Beispiel die Staatsoper näherzubringen. Ihnen zu zeigen, wie viel mehr als Ballerinas in Tutu und hüpfende Jungs, die Mädchen tragen, unsere Kunst ist. Es ist toll, die Faszination zu sehen, wenn junge Menschen die Kraft und die Vielfalt des Tanzes entdecken.

Wo würdest du in einer Theaternacht hingehen, wenn du frei hättest?

Das wird nicht passieren. (lacht) Aber wenn es passieren würde, wäre ich sehr gerne auf Kampnagel, um einige ihrer sehr interessanten Produktionen zu sehen. Und ich würde ins Thalia Theater gehen, um dort neue Stücke und neue Theaterformen zu entdecken.

*Interview: Christian Knuth

www.hamburgballett.de

9.9., Theaternacht Hamburg, diverse Spielstätten, Infos und Karten unter theaternacht-hamburg.org

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