„Hier nicht weltoffen zu sein, ist ziemlich schwierig“

by

Foto: Hans Engels

Das erste Konzert der Münchner Philharmoniker, damals noch „Kaim-Orchester“, fand am 13. Oktober 1893 statt. Das diesjährige Festival MPHIL 360° erinnerte terminlich und programmatisch an die Konzerte der Münchner Philharmoniker in den ersten Jahren nach der Gründung. Das große Festkonzert huldigte einem der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der Münchner Philharmoniker: der Uraufführung der 8. Symphonie, der „Symphonie der Tausend“, im Jahr 1910 unter der Leitung des Komponisten Gustav Mahler selbst. 1.000 Personen waren dieses Mal nicht dabei, gut eng wurde es dennoch mit über 300 Mitwirkenden auf der großen Bühne der Philharmonie.

Foto: Hans Engels

Anlässlich des 125. Jubiläums der Münchner Philharmoniker möchten wir euch unter dem Motto „So bunt wie das Leben“ verschiedene Mitglieder des Orchesters mit ihren individuellen Geschichten vorstellen. Zuletzt stand uns Matías Piñeira aus Chile Rede und Antwort, dieses Mal haben wir uns mit Ulrich Haider unterhalten, der bereits seit 1993 als Solohornist bei den Münchner Philharmonikern tätig ist.

Foto: Hans Engels

Was empfindest du als das prägendste Erlebnis in der 125-jährigen Geschichte der Münchner Philharmoniker?

Ich bin nun seit 25 Jahren bei den Philharmonikern und hatte natürlich zahlreiche Erlebnisse, die mich als Mensch enorm geprägt haben. Für das Orchester würde ich aber sagen: Es gibt nicht ein einzelnes Erlebnis. Es ist die Summe aller Konzerte, die das Orchester prägten, gute und schlechte. Gute Konzerte erhöhen das energetische Level eines Orchesters, schlechte animieren dazu, weiterzudenken und sich zu entwickeln.

Wo steht aus deiner Sicht das Orchester in puncto Weltoffenheit? Wie erlebst du sie in deinem Arbeitsalltag?

Bei den Münchner Philharmonikern spielen Musiker aus etwa 25 Nationen. Hier nicht weltoffen zu sein, ist ziemlich schwierig. Ich empfinde es als Privileg, mit Musikern verschiedener Herkunft zu spielen, da ich unglaublich viel von ihnen lernen kann. Was mir beispielsweise unser chilenischer Solohornist Matías Piñeira über „seine“ Musik, also die Musik der Latinos in Südamerika, beigebracht hat, ist unbezahlbar. Natürlich tragen auch die vielen Reisen zur Weltoffenheit eines Orchesters und seiner Musiker bei. Ich bin überzeugt, dass man einen anderen Blick auf sogenannte „Flüchtlinge“ entwickelt, wenn man extreme Armut gesehen hat, so wie wir Philharmoniker auf unserer Indien-Reise oder in Südamerika.

Welche Werke stehen für dich für Weltoffenheit?

Auch hier will ich nicht ein einzelnes Werk nennen. Musik an sich steht für mich für Weltoffenheit, denn jedes Konzert verbindet Menschen. Dabei spielen weder Alter noch Herkunft oder Mentalität eine Rolle. Selbst unterschiedliche Gesinnungen können zusammengeführt werden. Vor allem Letzteres kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. Gerade in der heutigen Zeit halte ich das für besonders wichtig.

Foto: Hans Engels

Das Motto der Jubiläumssaison lautet „Brücken bauen“. Welche Brücke baust du mit?

Eins meiner Steckenpferde ist die Brücke zur bayerischen Blasmusik. Auf meine Initiative hin entstand eine Partnerschaft mit dem Musikbund von Ober- und Niederbayern, bei der ich versuche, dessen 25.000 Mitgliedern klassische Musik und den Musikerberuf nahezubringen. Die Zusammenarbeit macht sehr viel Freude, nicht zuletzt wegen der Offenheit und Progressivität der Führungsriege des MON. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise haben wir beispielsweise ein gemeinsames Schulkonzert veranstaltet. Thema war „Wie das Fremde die Musik bereichert“. Es zeigt sich also, dass sich diese Kooperation nicht auf eine Brücke beschränkt.

Hier noch ein weiteres Beispiel dafür, wie ich am Brückenbauen beteiligt bin: Bei unserer letzten Tournee nach Tokio habe ich gemeinsam mit meinem ehemaligen Hornlehrer, einem Japaner, ein Benefizkonzert zugunsten der Opfer von Fukushima organisiert. Für uns philharmonische Hornisten war es ein besonderes Erlebnis, gemeinsam mit den Kollegen vom Tokyo Symphony Orchestra zu musizieren, nicht zuletzt deswegen, weil deren Solohornist in der eigenen Familie Opfer der Katastrophe zu beklagen hatte – was er uns beim anschließenden gemeinsamen Essen unter Tränen erzählte.

Was wünschst du dir für die Zukunft des Orchesters, für die nächsten 125 Jahre?

Dass sich das Orchester stetig weiterentwickelt, und zwar in jeder Hinsicht: musikalisch, programmatisch, durch innovative Konzepte und als verbindende Kraft innerhalb der Landeshauptstadt München und auf der ganzen Welt.

Back to topbutton