So bunt wie das Leben

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Foto: Hans Engels

Zum Jahreswechsel führen die Münchner Philharmoniker ein besonders symbolträchtiges Stück auf: Die 9. Symphonie von Beethoven enthält Schillers humanitäre Botschaft aus „Ode an die Freude“, nach der alle Menschen Brüder werden sollen. Sie wird gerne zu repräsentativen und öffentlichen Anlässen gespielt und ist nicht zuletzt auch die Europahymne. Nach einem Jahr erstarkender nationalistischer Bewegungen in Europa und der Welt setzen die Philharmoniker damit ein klares Zeichen für den internationalen Zusammenhalt. Gunter Pretzel hat Violine und Viola studiert, ist seit 1984 Mitglied der Münchner Philharmoniker und weiß, was es bedeutet, in einem weltoffenen Verbund von Musikern zu spielen. Zum Anlass des 125-jährigen Jubiläums der Philharmoniker stand er uns Rede und Antwort.

Wo steht aus deiner Sicht das Orchester in puncto Weltoffenheit? Wie erlebst du sie in deinem Arbeitsalltag?

Um einen Platz in einem Orchester zu finden, verlässt man oft seinen Heimatort. Wenn man sich ein Orchester wünscht, das verspricht, ein Berufsleben lang anregend und herausfordernd zu sein, wird die Auswahl sehr klein – und das Glück groß, wenn man es geschafft hat, dort aufgenommen zu sein. So kommen junge Musiker aus aller Welt zu uns und bewerben sich. Natürlich fühlen wir uns dem Nachwuchs unseres eigenen Landes verpflichtet, aber die Prüfung ist streng, und so tritt dann immer, ohne Ausnahme, die Herkunft hinter der Leistung zurück. Interessant zu beobachten, wie kulturelle Prägungen das Spiel und die musikalische Kommunikation beeinflussen, am schönsten aber, wenn es einen jungen neuen Kollegen, eine junge neue Kollegin gibt, der/die im Zusammenspiel alle so unterschiedliche Biografien vergessen lässt. In der sich dann ergebenden persönlichen Vertrautheit entstehen Gespräche, die tiefe Blicke in mir fremde Welten öffnen.

Foto: Hans Engels

Das Motto der Jubiläumssaison lautet „Brücken bauen“. Welche Brücke baust du mit?

Wir Musiker haben dann unser Ziel erreicht, wenn sich Musik im Saal ausbreitet. Dabei ist mit Musik mehr gemeint als nur gespielte Töne. Ein besonderes Phänomen, wenn ein großer Saal zu Einem wird und, weil es nicht allzu oft geschieht, sehr bewegend. Aber das sind keine Brücken, sondern Aufhebungen von Trennendem. Darum ist mir das Wort „Brücken“ eigentlich zu klein für diese Erfahrungen. Wir können aber versuchen, die Bereitschaft zu solchen Erlebnissen durch das Wort zu öffnen. Dieses gelungene Wort, das wäre eine Brücke. Und da mir dies manchmal tatsächlich gelungen ist, worauf ich ein bisschen stolz bin, würde ich hier „meine“ Brücke sehen.

Was wünschst du dir für die Zukunft des Orchesters, für die nächsten 125 Jahre?

Ein furchtbar altmodisches Wort, aber ich komme nicht daran vorbei: Kostbarkeit. In einer Zeit, in der sich eine sich nach oben verengende Spirale immer schneller zu drehen scheint und in der wir uns mitgerissen fühlen durch individuelle Machtlosigkeit, fremde Ignoranz, eigene Trägheit oder Verführbarkeit, gibt es Momente, die sich daraus lösen und Gegenkräfte wecken: Freundschaft, Vertrauen, Kinder. Und Musik. Erlebte Musik. Eine große Verantwortung für uns Musiker: nichts zuzulassen, was nur irgendwie klingt, sondern „Musik“ stiftet. Und damit eine Vision wach hält für das, was dem Menschen zutiefst kostbar ist – wie immer man das benennen will. Dass dies allen bewusst bleibt, die das Orchester weiter tragen durch ihr Spiel oder durch ihre Leitung, jetzt oder in der Zukunft: Das wäre mein Wunsch.

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