Kriselnde Große, jubelnde Grüne

Bayern ist nicht München. Das weiß jeder, der einst aus der Provinz in die Stadt gezogen ist. Und doch ist es krass zu sehen, wie extrem die Lebenswelten politisch auseinanderklaffen. Bei der Landtagswahl ließ sich das beobachten: Beim Druck dieser Leo-Ausgabe kurz nach der Wahl deutet alles auf eine Regierung aus CSU und Freien Wählern hin. Eine Regierung wäre das, die in der Landeshauptstadt meilenweit von einer Mehrheit entfernt ist. In München entschieden sich gerade einmal rund 30 Prozent für die Freien mit dem Provinz-Image und die nach rechts gerückte CSU der Söders und Seehofers.

Foto: Eye.D Foto-Design

Für München muss die neue Konstellation nichts Gutes bedeuten. Den Städtern wird sich diese Regierung nicht sonderlich verbunden fühlen. Gesellschaftspolitisch Progressives ist nicht in Sicht. Die lang geforderten Einrichtungen für die Szene auf Landesebene wird es auf absehbare Zeit wohl nicht geben. Und auch Münchner Dauerthemen wie die Mietpreisexplosion dürften die neuen Partner nicht ganz oben auf der Agenda haben.

München hingegen: tiefgrün geworden! Unglaubliche fünf von neun Direktmandaten holten die Ökos in der Stadt. Im neuen Stimmkreis Mitte (mit Glockenbach- und Gärtnerplatzviertel) hatte der grüne Spitzen-Kandidat Ludwig Hartmann als Favorit gegolten. Er holte am Ende sogar mehr als 45 Prozent – ein Wert wie einst die CSU! „Mit einem so klaren Ergebnis habe ich nie gerechnet“, jubelte Hartmann am Wahlabend in der AZ. „Das Herz Bayerns schlägt grün!“

Foto: Thomas Lother

Die ehemalige queerpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Claudia Stamm, die im Viertel massiv plakatierte, ist mit ihrem MUT-Projekt hingegen krachend gescheitert. Es wird spannend sein zu sehen, ob es mit MUT weitergeht – oder nicht.

Schon seit Jahren hat sich abgezeichnet, dass die Grünen in München immer wichtiger werden. Aber stärkste Kraft? Dazu fehlte es vor allem an den Stadtrandgebieten. Während die Öko-Partei in Haidhausen oder am Gärtnerplatz schon lange das Potenzial hat, stärkste Kraft zu werden und in Milbertshofen oder Aubing nur ein winziger Player war, ist es den Grünen jetzt erstmals gelungen, stadtweit zu punkten. So holte die quirlige Spitzenkandidatin Katharina Schulze das Direktmandat in Milbertshofen, der vollkommen unbekannte Benjamin Adjei setzte sich in Moosach gegen die CSU-Landtagskandidatin Mechthilde Wittmann durch (mit nicht einmal hundert Stimmen Abstand!).

Die CSU hingegen: abgehängt! Stadtweit kam man nur noch auf 25 Prozent (minus 12 im Vergleich zu 2013). Immerhin: Bürgermeister Josef Schmid zitterte sich im Stimmkreis Pasing zu einem Direktmandat. Damit ist im Landtag künftig in der CSU-Fraktion wenigstens ein Mann vertreten, der die Anliegen der Szene kennt.

Wohl am heftigsten hat es die SPD getroffen, die in München, ihrer einstigen Hochburg, fast 20 Prozent verloren hat und nur noch bei rund 13 Prozent landete. Kein einziges Direktmandat konnten die Sozialdemokraten mehr erringen. Dem wird durchaus Symbolkraft zugemessen für die nächsten Jahre. OB Dieter Reiters Wiederwahl 2020 gilt zwar als sicher, doch mit der Rathaus-Mehrheit könnte es für ihn anschließend sehr kompliziert werden. Denkbar gar, dass die SPD als kleinster Partner in ein Bündnis mit Grünen und CSU muss – oder dass sich häufig Mehrheiten gegen die SPD im Stadtrat bilden. Bis 2026 ist es natürlich noch sehr lange hin. Aber wenn Reiter dann abtritt, könnte auch die lange Ära der Münchner SPD-Oberbürgermeister zu Ende gehen. Gut möglich, dass dann ein Grüner Oberbürgermeister wird. Oder, das wirkt derzeit fast noch wahrscheinlicher: eine Grünen-Frau.

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