Absage des CSD Tiflis: Queerpolitik und die ganz großen Machtspiele

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Foto: C. Onojeghuo / CC0

Der für heute Mittag in der Hauptstadt Georgiens Tiflis geplante „March of Dignity“ (Demonstration der Würde), ist aus Sicherheitsgründen um unbestimmte Zeit verschoben worden. Die Absage der Demonstration ist laut Beobachtern vor Ort das Ergebnis von Verhandlungen der Organisatoren mit der Regierung, die zurzeit unter enormen innenpolitischem Druck steht. 

Die Demonstration war als der öffentlich sichtbarste Teil der ersten Tiflis Pride angesetzt worden. Die Drohkulisse reaktionäre Kräfte der georgischen Gesellschaft von orthodoxer Kirche bis hin zu einem Milliardär, der paramilitärische Milizen zur Störung der Demo finanziert haben soll, wuchs mit Beginn der Pride Week exponentiell. (blu Hintergrundbericht und Interview)

Zusätzlich eskaliert zur Zeit die innenpolitische Lage in der ehemaligen Sowjetrepublik. Ähnlich den Vorgängen in der Ukraine kämpfen verschiedene gesellschaftliche Gruppen mehr oder weniger unterstützt von den jeweiligen beiden internationalen Hauptakteuren EU und Russland um Einfluss auf den Kurs des Landes, das langfristig EU-Mitglied werden möchte und seit zehn Jahren Teil der sogenannten Östlichen Partnerschaft ist. Offiziell hat Tiflis Pride die Demonstration deshalb aufgrund der Gefährdungslage durch parallel stattfindende Massendemonstrationen verschoben, bis sich die Situation beruhigt hat und bezieht gleichzeitig klar Stellung zur aktuellen politischen Großwetterlage in Georgien: 

„Im derzeit sehr angespannten politischen Umfeld können wir es uns nicht erlauben, zu einer weiteren Eskalation der Spannungen im Land beizutragen. Wir werden den pro-russischen, neofaschistischen Gruppen keine Gelegenheit bieten, Georgiens Staatsstrukturen zu schwächen. Wir zeigen damit zivile Verantwortung und handeln im Interesse unseres Landes. ... 

Es ist bedauerlich, dass die Behörden bereit zu sein scheinen, Demonstranten, die zu Recht gegen die russische Besatzung demonstrieren, rücksichtslos zu vertreiben, aber nicht bereit sind, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und unsere Verbündeten vor den mit russischem Geld finanzierten radikalen Gruppen zu schützen." 

Das öffentliche Statement endet mit einer positiven Kampfansage, die wohl nicht nur auf Queerpolitik zielt:

„Wir werden gemeinsam Veränderungen erreichen!" 

Deal statt Demo?

Das Pride Team bestätigt im gleichen Statement kursierende Berichte, dass sich im Zuge der Verhandlungen der letzten Tage konkrete Vereinbarungen mit der Regierung ergeben haben, nicht. Es zählt aber genau jene vier Forderungen und die darüber stetigen Verhandlungen mit den Staatsorganen auf, die laut öffentlich zugänglichen Quellen nun wohl als vereinbart im Raum stehen: 

  1. Ein modernes Personenstandsrecht für unter anderem Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle
  2. Ein beim Premierminister eingesetzter Beauftragter für Queerpolitik
  3. Ein landesweiter Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie
  4. Ein Krisenzentrum zur Unterbringung und Betreuung verfolgter Queers

Kommentar: Fauler Kompromiss oder beachtenswerte politische Kampagne?

Am Ende dieser für die in Georgien unter gesellschaftlicher Ächtung stehenden Queers extrem aufwühlenden Woche, steht nun also mutmaßlich ein Deal zwischen den CSD-Veranstaltern und der unter dem Einfluss weltpolitischer Strategien wankenden Regierung.

Die Auseinandersetzungen um diese erste Pride-Woche sind (Stand heute), so gesehen ein fast reißbrettartig planbar wirkendes Beispiel dafür, wie wichtig bei der Verwirklichung menschenrechtlicher Anliegen, heutzutage die Verzahnung von Aktivisten vor Ort, den sozialen und journalistischen Medien, den NGOs ist und nicht zuletzt auch der internationale Druck zum Beispiel über eine starke Europäische (Werte-)Union sein kann.

Allerdings zeigen die Vorgänge auch, dass Queerpolitik zunehmend zum Spielball von höher gelagerten Wirtschafts- und Machtinteressen eines sich immer deutlicher abzeichnenden neuen Systemkampfes alter Schule wird. Das Wort Spielball müsste dabei in Anführungszeichen gesetzt werden, denn für queere Bürger ist das versteckte Leben in einer feindlich gesinnten Gesellschaft sicher kein Spiel. Für Aktivisten, die Morddrohungen erhalten, schon gar nicht.

*Christian Knuth

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