EGMR: Georgien wegen Angriff auf CSD verurteilt

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte Georgien für einen Angriff auf LGBTIQ*-Demonstrierende in der Hauptstadt Tiflis im Jahr 2013. Der Staat habe verabsäumt, operative Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um die Kläger*innen vor homophober und/oder trans*phober Gewalt zu schützen, wirksame Ermittlungen durchzuführen und einen friedlichen Verlauf der queeren Kundgebung zu gewährleisten. Außerdem gebe es Hinweise auf behördliche Duldung, Mitwisserschaft und aktive Beteiligung an einzelnen vorurteilsmotivierten Handlungen.

Trotz Androhung von Gegendemonstrationen aus dem ultrakonservativen und religiösen Lager hätten hochrangige Beamte des Innenministeriums den Kläger*innen, 35 georgische Staatsangehörige und zwei LGBTIQ*-Rechtegruppen, zugesagt, ihre Sicherheit am 17. Mai 2013 während eines 20-minütigen stillen Flashmobs zum Internationalen Tag gegen Homophobie zu gewährleisten.

Am Tag der Demonstration, dem 17. Mai 2013, wurden die Kläger*innen auf dem Puschkin-Platz von 35.000 bis 40.000 Gegendemonstrierenden mit Stöcken, Steinen und Schlagstöcken angegriffen, homophob und trans*phob beschimpft und mit dem Leben bedroht. Nach Ermittlungen des Innenministeriums wurden in einem Strafverfahren vier Demonstranten freigesprochen und vier weitere mit Geldstrafen belegt. Ein Strafverfahren ist noch anhängig.

Foto: Candice Imbert / Council of Europe

EMGR erkennt Mitschuld staatlicher Behörden an Ausschreitungen

Am 16. Dezember 2021 stellte der Gerichtshof in Straßburg einstimmig fest, dass Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und Artikel 11 (Vereinigungsfreiheit) in Verbindung mit Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt wurden. Es stellte außerdem fest, dass die psychischen Ängste, die die Kläger*innen angesichts der homophoben Gewaltandrohungen erlitten hatten, ausreichen, um eine Anklage nach der Konvention zu begründen.

Obwohl ihnen die mit der Veranstaltung verbundenen Risiken bekannt waren, hatten die georgischen Behörden verabsäumt, angemessene Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um das Recht der Kläger*innen auf Versammlungsfreiheit zu schützen. Die vorherige Ankündigung der Gegendemonstrant*innen über ihre Absichten und das Versagen des Staates während einer queeren Kundgebung ein Jahr zuvor widerlegten die Behauptung des Staates, er habe die Eskalation nicht vorhergesehen, so das Urteil.

Die Reaktion des Staates auf die Bedrohung bestand darin, „unbewaffnete und ungeschützte Polizeistreifen zu entsenden, die Zehntausende von aggressiven Menschen durch die Bildung einer dünnen menschlichen Absperrkette eindämmen sollten“. Diese Sicherheitsvorkehrungen wurden als völlig unzureichend für die Veranstaltung erachtet, insbesondere in Anbetracht der Ankündigung durch beide Gruppen. Immer dann, wenn Gewalt in großem Umfang vorhersehbar ist, so das Gericht, sei es wichtig,

„dass die einheimischen Behörden die erforderlichen Mittel zur Neutralisierung der drohenden gewalttätigen Auseinandersetzungen abschätzen, indem sie unter anderem die an den Ort des Geschehens entsandten Polizeibeamten mit geeigneter Schutzausrüstung ausstatten, damit sie ihre polizeilichen Aufgaben erfüllen können“. 

Die Unparteilichkeit des Strafverfahrens wurde ebenfalls infrage gestellt, da es von derselben Einheit des Innenministeriums geleitet wurde, die für die Sicherheit der Demonstrierenden gesorgt hatte. Der Gerichtshof stellte fest, dass in diesen Fällen „keine greifbaren Ergebnisse“ erzielt worden waren. Zudem enthülle

„die Verschleppung der Ermittlungen [...] die langjährige – auch als mangelnde Bereitschaft zu lesende – Unfähigkeit der innerstaatlichen Behörden, die homophoben und/oder trans*phoben Motive zu untersuchen, die hinter der Gewalt und der erniedrigenden Behandlung gegen die betreffenden 27 Kläger*innen standen“.

Der EGMR verurteilte Georgien gemäß Artikel 41 (gerechte Entschädigung) der Konvention zur Zahlung von insgesamt 193.500 Euro Schadensersatz an die Kläger*innen.

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