Corona: Wie die Homophobie von Erdogan bis Karlsruhe wirkt

by

Ali Erbaş, Leiter der türkischen Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), rief mit seinen homophoben Aussagen zum Start des Ramadan eine Kontroverse in der Türkei hervor. Unter anderem deutete er an, Homosexuelle trügen eine Mitschuld an der Corona-Pandemie. Erdoğan gab dem Geistlichen Recht. Ebenso ein Herzchirurg in Karlsruhe – der wurde nun vom Klinikum beurlaubt.

In seiner Predigt zum Beginn des Ramadans rief Erbaş am 24. April die Menschen dazu auf, sich der „bösen“ Homosexualität entgegenzustellen. Er äußerte seine Meinung, dass Homosexualität und außereheliche Beziehungen ganze Generationen verrotten lassen und zu Krankheiten führen. Zudem deutete er an, Homosexuelle und ihre Verfehlungen seien Schuld an Corona. 

„Der Islam verflucht die Homosexualität. Homosexualität bringt Krankheiten und den Verfall der Abstammung mit sich. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Menschen vor solchem Übel zu schützen.“

Die Kommentare führten zu politischen Kontroversen in der Türkei. Die Anwaltskammer von Ankara kritisierte die oberste Religionsbehörde des Landes aufs Schärfste, Oppositionspolitiker und zivilgesellschaftliche Organisationen schlossen sich an. Sie bezeichneten die Rede als Hassverbrechen und prangerten die unwissenschaftlichen und diskriminierenden Aussagen an, die im heutigen Jahrhundert Schwachsinn seien. Elifcan Demirtaş, Spezialistin der Anwaltskammer für Queerrechte, stellte die Äußerungen gar als ernsthafte Gefahr dar, da sie Gewalttaten an Mitgliedern der Community legitimieren würden.

Firat Soyle, tätig für die queere Beratungsstelle Lambdaistanbul, bewertete die Aussage des Theologen als Verbrechen gegen die Verfassung der Türkei:

"Erbaş hat gegen das Prinzip des friedlichen Zusammenlebens verstoßen, indem er sich über die Verfassung gestellt hat. Denn laut Verfassung ist jeder Bürger in der Gesellschaft gleich."


Erdoğan mischt sich ein

Foto: Presidencia de la República Mexicana / flickr.com

Politiker von Erdoğans rechtsgerichteter Partei nahmen den Leiter der Diyanet-Behörde in Schutz. Der Politiker und Journalist Ömer Celik, bis 2018 türkischer Minister für Angelegenheiten der EU, lobte den Geistlichen in einem Twitter-Post dafür, dass er die islamischen Werte verteidigt habe. Er griff Erbaş' Kritiker an, unterstellte ihnen Faschismus und behauptete, sie würden Menschen das Recht aberkennen, gemäß dem Wertesystem zu sprechen, an das sie glauben. 

Die Staatsanwaltschaft von Ankara gab gegenüber der Presseagentur Thomson Reuters bekannt, dass sie Untersuchungen gegen die Anwaltskammern von Ankara und Diyarbakir eingeleitet habe – wegen des Verdachts auf Herabwürdigung religiöser Werte, indem sie dem Diyanet-Chef Volksverhetzung vorwarfen.

Schließlich bezog auch der türkische Präsident Stellung in der Debatte. Wenig überraschend schlug er sich auf die Seite von Erbaş. Er erklärte, alles, was der Theologe gesagt habe, sei absolut richtig. Ergo nicht bloß die Ablehnung von Homosexualität, sondern auch die volksverhetzenden Andeutungen, Homosexuelle seien Schuld an Epidemien wie Corona. In Richtung der Kritiker des Geistlichen machte Erdoğan deutlich:

„Ein Angriff auf den Präsidenten der Religionsbehörde ist ein Angriff auf den Staat.“


Mit dem Herzen voll dabei …

… war der Funktionsoberarzt der Abteilung Herzchirurgie des Karlsruher Helios Klinikums. Dr. Metin Cakir twitterte in Zustimmung an die Aussagen des hochrangigen Geistlichen, dass er als Arzt deutlich sagen müsse: Homosexualität und Transsexualität seien Krankheiten. Der türkischstämmige Arzt ist seit über 20 Jahren im Helios Klinikum tätig und gilt als renommierter Kollege.

Für sein Statement bekam er sowohl positive, als auch negative Reaktionen. Der Beitrag, der am Montagnachmittag gepostet wurde, hatte am nächsten Tag bereits über 50.000 Likes. Dazu kamen auch jede Menge ablehnende Kommentare. So schrieb eine Userin auf Türkisch, er habe sich als Arzt mächtig blamiert, da Homosexualität 1990 von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen worden sei. Andere fragten ihn, was der Unsinn sollte oder forderten ihn auf, seinen medizinischen Abschluss nachzuholen. Erst nach über 24 Stunden knickte der Arzt ein und löschte seinen Post.

Die Stellungnahme der Klinik via Twitter folgte:

Eine Sprecherin des Krankenhauses gab am Dienstagabend bekannt, man habe gemeinsam mit dem Arzt entschieden, ihn vorläufig zu beurlauben. Nun werde man den Sachverhalt unter Einbeziehung der zuständigen Ärztekammer prüfen und bewerten. Gegenüber dem Nachrichtenportal queer.de erklärte sie, man werde sich auf jeden Fall mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland in Verbindung setzen und ein Gespräch anbieten – außerdem verwies sie darauf, dass die Helios-Klinik-Gruppe sich für queere Rechte einsetze, zum Beispiel beim CSD Berlin. 

Back to topbutton