Türkei: Weitere Eskalationsstufe im System Erdoğan

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Apple hat in der Türkei die schwule Sexdate-App Hornet aus dem App Store geworfen. Präsident Erdoğans Hetze gegen LGBTIQ* zeigt Wirkung, trifft aber auch nach wie vor auf erbitterten Widerstand. Das 2013 gesperrte Grindr könnte bald wieder frei sein. 

Foto: Mustafa Kamaci /Anadolu Agency via AFP


Zur Klarstellung vorab: Es ist selbstverständlich ein Skandal, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan das religiöse und nationalistische Zusammengehörigkeitsgefühl über die Abwertung von Minderheiten zu stärken versucht. Das gilt für den Sultan vom Bosporus genau so wie für Zar Putin, Ex-Weltlenker Donald Trump, Mini-Ceaușescu Viktor Orbán und in Zukunft auch für Armin Laschet, wenn er mit seinem engen Vertrauten Nathanael Liminski ins Kanzleramt einziehen sollte, und diesem Stichwortgeber folgend Politik betreiben sollte. Liminski stand nachweislich mindestens bis 2009 in Verbindung zum fundamentalistisch-rechtspopulistisch agierenden Netzwerk um Sven von Storch, Ehemann der heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, und schrieb Beiträge für die Storch-Internetpostille freiewelt.net. Ein zurzeit viel beachtetes Zitat Niminskis aus dem Jahr 2007: 

„Ich kenne viele Homosexuelle, und einige tun mir leid. Der Staat muss schon aus reiner Selbsterhaltung die natürliche Form der Ehe und Familie fördern.“

Scheiße nicht nach Geruch sortieren. So drückte sich Kevin Kühnert im männer* Interview zu fundamentalistisch-extremistisch motivierten Akten gegen die Freiheitsrechte des Individuums deutlich aus. Das kann selbstverständlich christliche genauso wie muslimische oder rechtsradikale Scheisse sein und wir alle tun gut daran, nicht erst mit der Kritik anzufangen, wenn es zu homophoben Morden wie 2020 in Dresden (Islamistische Ideologie) oder im thüringischen Altenburg (Rechtsextreme Ideologie) kommt.

Der Kampf um das Internet in der Türkei

Aber zurück in die Türkei, wo anders als in Deutschland seit mindestens zehn Jahren auf fundamentalistisch-islamistischem Kurs Politik gegen LGBTIQ* betrieben wird. Erst im letzten Jahr hatte Erdoğan queeren Aktivisten unterstellt, sie untergrüben „unsere nationalen und spirituellen Werte“ und „vergiften“ unsere Jugend. Unsägliche Hetze mit dramatischen, lebensbedrohlichen Folgen für Queers. Deshalb ist es gut, dass der Spiegel die Nachricht, dass dort Apple die schwule Dating-App Hornet aus dem App Store geschmissen hat dafür nutzt, die heteronormative Mehrheitsgesellschaft in einem ausführlichen Beitrag über die Verhältnisse vor Ort aufzuklären.

Grafik: Gerd Altmann / CC0

Nur ist sie per se eben gar keine Besonderheit mehr in dem Land und im Falle Hornet auch ein alter Hut. Hornet wurde vor ziemlich exakt einem Jahr wegen Verletzung von nicht näher benannten Persönlichkeitsrechten verurteilt und gesperrt, was nun zu der Löschung der App aus dem App Store von Apple geführt habe. „Man arbeite daran, eine Lösung mit Apple und den türkischen Behörden zu finden" wird Hornet von Anna-Sophie Schneider in ihrem Beitrag für den Spiegel zitiert. Die türkische queere Website gabile.com wurde ebenfalls schon im letzten Jahr gesperrt und Grindr ist schon seit 2013 nicht erreichbar. Jedenfalls nicht direkt, aber über eine VPN-Verbindung oder einfache Änderung der Ländereinstellungen sind die Angebote durchaus verfügbar. Auch im Play Store von Google ist zumindest Hornet weiter verfügbar.

Der Fall Grindr wird außerdem wohl in Kürze vor dem türkischen Verfassungsgericht entschieden, Aktivist*innen haben sich seit 2013 bis dahin durchgeklagt. Die Chancen stehen gut, dass Erdoğan hier unterliegen wird, denn „Gesetz 5651“, das im Grindr-Fall zum Tragen kam, sollte die Bevölkerung eigentlich nur vor Internetkriminalität schützen, wird aber seit Jahren auch gegen die Opposition und anderes Unliebsames eingesetzt. Die türkischen Behörden dürfen laut Gesetz nach freiem Ermessen sperren und einschränken, erst danach können sich Betroffene per Gericht zur Wehr setzen.

Das ist eines Rechtsstaates unwürdig, weshalb es nicht auszuschließen ist, dass die Richter am Gericht von ihrem Nationalstolz gepackt werden, den der Präsident nimmer müde anstachelt. 

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