Serbiens queere Sichtbarkeit: Sieg für die Union der Werte

„Hier ist es wirklich so, wie Pride sein sollte.“ Dieses mehrdeutig lesbare Statement einer britischen Teilnehmerin fasst die bisher wohl wichtigste EuroPride treffend zusammen. Serbiens Regierende haben sich zuletzt doch noch gegen den Zeitgeist und für Haltung entschieden.

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Internationale Solidarität zeigt Wirkung

Trotz des – verfasssungsrechtlich sehr wackeligen – Verbots der serbischen Regierung haben tausende Menschen in Belgrad an der diesjährigen EuroPride-Demonstration teilgenommen. Das Innenministerium hatte die Demonstration als Höhepunkt der mehrtätigen paneuropäische queeren Großveranstaltung am Dienstag aufgrund von Sicherheitsbedenken wegen angekündigter Gegenproteste verboten. Es verbot zwar auch alle Gegenveranstaltungen, doch genauso wie die LGBTIQ*-Aktivist*innen pochten auch einige rechtsextreme Gruppen im Schulterschluss mit den christlich-orthodoxen Seilschaften aufmarschieren und sich vor deren Kirchen postieren. Die Botschaften von mehr als 20 Staaten– darunter Deutschland, die USA, Frankreich und Großbritannien – riefen die Regierung in Belgrad dazu auf, das Verbot aufzuheben. Mindestens 15 Abgeordnete des EU-Parlaments hatten angekündigt, am Samstag aus Solidarität an der Demonstration teilzunehmen.

Für die Bundesregierung war der Beauftragte für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Sven Lehmann vor Ort und zieht gemischte Bilanz:

„Ich bin zutiefst beeindruckt von dem Mut und der Entschlossenheit der serbischen Aktivist*innen, die bis zuletzt um diesen öffentlichen Pride March verhandeln mussten. Gemeinsam mit der serbischen Community zu demonstrieren war der bewegende Höhepunkt der EuroPride 2022 in Belgrad. Die serbische Community hat sich weder von den nationalistischen und christlich-orthodoxen Protesten noch dem Schlingerkurs der serbischen Regierung einschüchtern lassen. Dass die serbische Regierung bis zuletzt gezögert hat, ein klares Bekenntnis für den Schutz und das Recht auf Versammlungsfreiheit abzugeben zeigt, dass Serbien an einem Scheideweg steht. So umkämpft wie in diesem Jahr war ein Pride March in Belgrad schon lange nicht mehr. Umso wichtiger waren die internationale Aufmerksamkeit und Solidarität vor Ort. Diese Aufmerksamkeit darf nun nicht nachlassen. Die gewalttätigen Übergriffen nach dem Pride March müssen ebenso aufgeklärt werden wie mögliches Fehlverhalten von Polizeikräften. Im serbischen Kabinett liegen wichtige Gesetzesvorlagen für die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare und von trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Diese sollten nun zügig verabschiedet werden. Gleiches gilt für Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassgewalt. In diesem Kampf um rechtlichen Schutz und gesellschaftliche Akzeptanz hat die serbische Community Deutschland und die EU an ihrer Seite.“

Foto: Vasco Pridat

Massives Polizeiaufgebot schützte ...

Serbiens Regierung besann sich erst in letzter Minute und setzte die geballte Staatsmacht in Bewegung, um das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung mit – so Ulli Pridat, Vorstandsmitglied im Berliner CSD e.V. gegenüber männer* – „einem gigantischen Polizeiaufgebot“ zu sichern.

„Ich habe noch nie so viele Polizisten auf einmal gesehen,“

so Ulli weiter. Die Polizei schaffte es, die gegnerischen Gruppen durch ein ausgeklügeltes System von Kontrollpunkten und strikter, aber – wie Ulli betont „Deeskalierender und auskunftsfreundlicher“ Trennung auseinanderzuhalten. Diese Beobachtung bestätigen auch Journalist*innen der Nachrichtenagentur AfP und des örtlichen Fernsehsenders N1.

... vor gewaltbereiten Nationalisten

Foto: Nangkra Press / Hans Lucas / AFP

Foto: Andrej Isakovic / AFP

Foto: Andreji Sakovic / AFP

Für die nichtbeteiligte serbische und internationale Zuschauerschaft wurde ein mediales Bild produziert, das exakt wiedergibt, welche Kräfte friedlich für den konstruktiven Aufbau einer freien Gesellschaft demonstrierten und welche Netzwerke ihre konservative Revolution mit Gewalt und Kreuzen durchprügeln wollen.

Foto: Ulli Pridat

Während die EuroPride-Teilnehmer*innen die auf wenige hundert Meter verkürzte Strecke zwischen dem Verfassungsrat und einem nahe gelegenen Park ohne größere Zwischenfälle zurücklegten, kam es nach Angaben des Fernsehsenders N1 am Rande der Gegendemonstrationen zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Gegendemonstranten und Polizisten.

Sie schleuderten demnach Rauchbomben gegen die Beamten und beschädigten mehrere Fahrzeuge. Auch nach der Pride soll es in der Nacht noch zu vereinzelten Gewaltausbrüchen gekommen sein. Die Veranstalter der EuroPride hatten dazu geraten, in Gruppen und ohne sichtbare Symbole der LGBTIQ*-Bewegung nach Hause zu gehen. Ulli berichtete gegenüber männer*, dass er mit seinen Begleitern an mindestens drei Kontrollpunkten vorbei musste. Oder besser konnte.

„Ich war schon bei mehreren Pride-Paraden, aber diese ist doch etwas stressiger als die anderen“, sagte auch die britische Aktivistin Yasmin Benoit der Nachrichtenagentur AFP. „Ich komme aus Großbritannien, wo alle solidarischer sind und es kommerzieller zugeht“, erzählte sie und fügte hinzu:

„Aber hier ist es wirklich so, wie Pride sein sollte“.

Sie bezog sich damit laut AFP auf den gesellschaftlichen Kampf, der am Anfang der amerikanischen LGBTIQ*-Bewegung im New York der späten 1960er- und der 1970er-Jahre stand. Das ist in diesem Kontext mit dem innenpolitischen Kampf für die Rechte von Minderheiten in Serbien sicher ein solider Vergleich. Die Tatsache, dass sie aber selbst aus Großbritannien anreiste und zusammen mit so vielen internationalen Besucher*innen für Serbiens Queers auf die Straße ging, erweitert den Kontext auf die ganz großen Spannungen unserer Zeit.

Belgrad zwischen Brüssel und Moskau

Foto: Ulli Pridat

Was an diesem Samstag in Belgrad wie mit einem Brennglas beleuchtet wurde, ist in seiner ganzen verdichteten Klarheit ein Spiegelbild der Spaltung Europas. Auf der einen Seite die Propaganda der sogenannten „illiberalen Demokratien“, die mit Fundamentalismus und Nationalismus wie in Russland, Polen und Ungarn das Wohl einer herrschenden Elite auf dem Rücken von Minderheiten errichten. Auf der anderen Seite die freien Gesellschaften, die gerade erst zu verstehen beginnen, dass diese längst überwunden geglaubte Gefahr, die in ihrer Vollendung Faschismus bedeute, nur mit gemeinsamer und konsequenter Haltung auf Basis der Menschenrechte zu begegnen ist. Notfalls – wie das Beispiel der EuroPride in Serbien gestern im Kleinen auch mit der Waffe in der Hand.

Das große Beispiel um diesen Konflikt, Putins auch unter LGBTIQ*-feindlicher Propaganda geführter Krieg gegen die Ukraine, war dementsprechend und wie auf fast allen CSDs dieses Jahres allgegenwärtig. Happy Pride! Selten war dieser Gruß wichtiger, als zur EuroPride 2022.

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