NASA: James-Webb-Weltraumteleskop wird nicht umbenannt

by

Nach langer Verzögerung soll das James-Webb-Weltraumteleskop noch in diesem Jahr starten, um die Frühzeit des Universums zu erforschen und potenziell bewohnbare Welten zu untersuchen. Doch der Name des Teleskops entzürnt so einige. Der Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops ehrt einen Mann, der in den 1950er und 1960er Jahren an der homophoben Regierungspolitik der USA mitgewirkt hat: James Webb.

Am 18. Dezember soll das James Webb Space Telescope (JWST) ins All gebracht werden. Es kann weiter in das Universum blicken als jedes Teleskop zuvor und wird der Menschheit weitere Erkenntnisse über die Entstehung des Universums liefern. Doch das Gemeinschaftsprojekt von NASA, ESA und CSA löst heftige Diskussionen aus. Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob James Webb, der ehemalige NASA-Chef und Namensgeber des James Webb Space Telescope (JWST), in den 1950er und 1960er Jahren an der Verfolgung von Schwulen und Lesben beteiligt war. Viele fordern eine Umbenennung, doch die amerikanische Weltraumbehörde NASA sagt, sie könne keine Beweise für die Anschuldigungen finden und werde das JWST nicht umbenennen. 

Foto: NASA Goddard Space Flight Center / CC BY 2.0 / wikimedia.org

Einige Astronom*innen bezweifeln aber, dass die NASA den Fall ordentlich untersucht hat und sind verärgert über die mangelnde Transparenz, mit der die Entscheidung bekannt gegeben wurde. Einer davon ist der Astrophysiker Brian Nord vom Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia (Illinois). James Webb sei in einer Zeit, in der homosexuelle Regierungsangestellte in den USA systematisch diskriminiert wurden, Leiter der NASA gewesen und trage Verantwortung, so Nord.

Gemeinsam mit Lucianne Walkowicz vom Adler Planetarium in Chicago (Illinois), Chanda Prescod-Weinstein von der University of New Hampshire Durham (New Hampshire) und Sarah Tuttle von der University of Washington (Seattle) veröffentlichte Nord am 1. März 2021 einen Artikel in Scientific American. Darin verweisen die Wissenschaftler*innen auf  Webbs fragwürdige Rolle in den 1950er und 1960er Jahren und sprechen sich öffentlich gegen den Namen aus. 

„Die Aufzeichnungen zeigen deutlich, dass Webb Treffen geplant und daran teilgenommen hat, bei denen er homophobes Material überreichte.“

Foto: NASA / CC0 / wikimedia.org

„The Lavender Scare“

Die Vorwürfe stützen sich auf das 2004 erschienene Buch des Historikers David K. Johnson The Lavender Scare. Darin diskutiert Johnson archivarische Beweise, die darauf hindeuten, dass Webb an Diskussionen im Senat beteiligt war, die letztendlich zur längsten Hexenjagd der amerikanischen Geschichte führten: die Identifizierung und Entlassung aller Mitarbeiter*innen, die im Verdacht standen, homosexuell zu sein.

Die heute unter dem Namen Lavender Scare bekannte unerbittliche Kampagne ist eng mit dem antikommunistischen „roten Schrecken“ verflochten und geht auf Präsident Dwight D. Eisenhower zurück. Eisenhower hatte 1953 Schwule und Lesben als Bedrohung für die Sicherheit des Landes und damit für den Staatsdienst untauglich erklärt. Homosexuelle, insbesondere Schwule wurden als Perverse bezeichnet, die verzweifelt versuchen, ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten. Das mache sie anfällig, unter Erpressung Regierungsgeheimnisse preiszugeben, so der Tenor. In den folgenden Jahrzehnten verloren zehntausende Regierungsangestellte aus keinem anderen Grund als ihrer sexuellen Orientierung ihren Arbeitsplatz.

NASA hat kein Interesse an Aufarbeitung ihrer Geschichte

James Webb, der 1961 den Posten des Direktors der NASA annahm, muss aufgrund seiner Führungsrolle davon gewusst haben. Wahrscheinlich ist, dass er für die Umsetzung der damaligen Bundespolitik mitverantwortlich ist. Vor diesem Hintergrund starteten die vier Astronom*innen eine Petition zur Umbenennung des Teleskops. „Wir waren der Meinung, dass wir öffentlich Stellung beziehen sollten, wenn eine so wichtige Einrichtung nach jemandem benannt werden soll, dessen Werte so fragwürdig waren“, schrieben die vier Astronom*innen in einer E-Mail an Nature. Mehr als 1.200 Menschen, darunter zahlreiche Wissenschaftler*innen, haben die Petition unterzeichnet.

Als Reaktion auf diese Bedenken begann die NASA mit einer internen Untersuchung historischer Dokumente, die Aufschluss über Webbs Verhalten gegenüber Schwulen und Lesben geben könnten. Der amtierende Chefhistoriker der NASA, Brian Odom, der die Untersuchung leitete, erklärte am 30. September 2021 gegenüber Nature, er betrachte die Untersuchung als abgeschlossen. Bill Nelson, der derzeitige Chef der Behörde, handelte den Fall in einem einzigen Satz ab. Gegenüber einigen Medien, darunter Nature, sagte Nelson:

„Wir haben derzeit keine Beweise gefunden, die eine Änderung des Namens des James Webb Space Telescope rechtfertigen.“ 

Für Brian Nord ist die Weigerung der NASA, „die Stimmen von queeren Astronomen zu hören“, ein Schlag in die Magengrube. „Es ist eine Weigerung, sich der Geschichte zu stellen. Wenn wir das nicht können, wie sollen wir dann die Unterdrückung beleuchten, der die Menschen ausgesetzt sind?“

„Es ist an der Zeit für die NASA, aufzustehen und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.“

Back to topbutton