Tschetschenien: Teenager zu Selbstvergewaltigung vor der Kamera gezwungen

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TRIGGER-WARNUNG: Dieser Artikel enthält Informationen über sexuelle Übergriffe und/oder Gewalt, die für manche Menschen verstörend sein können.


Nachdem ein russischer Jugendlicher den homophoben tschetschenischen Führer Ramsan Kadyrow kritisiert hatte, wurde er gezwungen, sich nackt auszuziehen und vor laufender Kamera selbst mit einer Flasche zu schänden. Das Video ging am Montag in Russland viral und löste in liberaleren Kreisen Entsetzen aus.

Der 19-Jährige war Moderator eines regierungsfeindlichen Channels in dem Nachrichtendienst Telegram, der sich besonders auf die russische Teilrepublik und den Tyrannen Kadyrow konzentrierte. Dieser gilt als einer der queerfeindlichsten Führer der Welt, in Tschetschenien werden Homosexuelle systematisch verfolgt, in Konzentrationslager gebracht und ermordet (wir berichteten).

In dem am Montag in sozialen Medien veröffentlichten Video entschuldigte sich der Junge auf Tschetschenisch für seine Kritik an Kadyrows Regime und sagte, er würde sich selbst bestrafen. Laut der US-amerikanischen Nachrichtenwebseite „The Daily Beast“ war er dabei unbekleidet und wandte sein Gesicht schließlich von der Kamera ab, um sich selbst zu vergewaltigen, indem er sich auf eine leere Flasche setzte. Das Filmmaterial verbreitete sich rasend schnell in russischen sozialen Medien.

Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0 / wikimedia.org


Versucht die Regierung nun Schadensbegrenzung zu betreiben?

Die unabhängige russische Zeitung Nowaja Gaseta berichtet, dass das Opfer, der 19-jährige Salman T., am 5. September außerhalb Tschetscheniens entführt und am Tag darauf laut Signals seines Telefons an einem Stützpunkt der Terek-Spezialeinheit in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny festgehalten wurde. 

Nach einem öffentlichen Aufschrei und der für die tschetschenische Regierung zutiefst negativen Berichterstattung wurde gestern auf einem regierungsnahen Instagramkanal ein zweites Video veröffentlicht. Darin erklärt T., er habe das erste Video nur veröffentlicht, da er einen Streit mit den Leitern der Telegram-Gruppe gehabt habe – und weil er alle Kommentare, die er über die tschetschenische Polizei und andere Führungskräfte gemacht habe, zutiefst bedauere.


Tschetschenen entsetzt über die öffentliche Gräueltat

Wer in Tschetschenien Kritik am Regime äußert, und sei es nur ein missglückter Scherz in sozialen Medien, ist in der Republik im Nordkaukasus nicht sicher. Es drohen Verfolgung, Folter und Gewalt. Kadyrow und seine Milizen sind dafür bekannt, Kritiker einzuschüchtern und Entschuldigungen für kritische Artikel, Aussagen und Kommentare zu erzwingen (wir berichteten). Das veröffentlichte Video gilt jedoch als neuer Tiefpunkt und löste erneut Rufe nach Konsequenzen für Putins Kumpanen Kadyrow aus.

Foto: Facebook / Ekaterina Sokirianskaia

Ekaterina Sokirianskaja, Leiterin des Medienaufsichtszentrum für Konfliktanalyse und -prävention sagte der Webseite „The Daily Beast“, dass sie nach Bekanntwerden des Videos von vielen tschetschenischen Staatsangehörigen kontaktiert wurde. Sie hätten sie geradezu mit Nachrichten bombardiert. Der Grundtenor: Die Menschen sind entsetzt, schockiert und gedemütigt. Kadyrow spricht nicht für das tschetschenische Volk.

„Die Kremlbeamten sollten erkennen, wie sehr das tschetschenische Volk die Traditionen respektiert, viele nehmen diese angeblich von den Behörden erzwungene öffentliche Vergewaltigung persönlich, eine solch schreckliche Verletzung ist eine Provokation der Gewalt.“

Angehörige von Nachbarstaaten fordern ebenfalls Konsequenzen für „Putins Soldaten“ Kadyrow, so Sokirianskaja.

„Die Menschen sind wütend, viele rufen dazu auf, zu den Waffen zu greifen; ich kann auch Kommentare anderer Staatsangehöriger im Nordkaukasus sehen, die sagen, wenn die Tschetschenen dies tolerieren, sind sie moralisch ermordet worden.“

Ekaterina Sokirianskaja (44 Jahre) ist eine bekannte russische Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus. Sie schrieb einen Beitrag für die New York Times über die Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien 2017. Darin berichtet sie, ein Überlebender habe ihr von einem geheimen Gefängnis erzählt: 

„Sobald man dich dorthin gebracht hat, [...] fangen sie sofort mit den Schlägen und Stromschlägen an und verlangen Informationen darüber, mit wem man zusammen war“. Die Wärter, sagte er, würden den Gefangenen ins Gesicht spucken, und schlimmer noch: „Wir waren so verhasste Geschöpfe, dass jeder Wärter sich verpflichtet fühlte, uns im Vorbeigehen zu schlagen.“

Aus Kadyrows oder Putins Kreisen kamen bisher keine Reaktionen auf die neuen Vorwürfe und Kritiken. Kadyrow leugnet seine Taten ohnehin mit schöner Regelmäßigkeit – wenn es nach ihm geht, haben die eklatanten Menschenrechtsverletzungen und international massiv kritisierten „schwulen Säuberungsaktionen“ (gay purges) nie stattgefunden. Er behauptete sogar, er könne ja gar keine Schwulen ermordeten – denn in Tschetschenien gäbe es „solche Leute“ schließlich nicht.

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