„Tödliche Gefahr“ – Drama um zwei queere Tschetschenen

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Zwei queere Männer, die der Folter in Tschetschenien entkommen sind, wurden in Russland von der Polizei entführt und zurück in ihre Heimat deportiert. Dort werden sie derzeit festgehalten, verhört und bedroht – ohne Zugang zu rechtlicher Vertretung. Die queere Organisation Russian LGBT Network sagt, die beiden befänden sich in tödlicher Gefahr. 

Die Männer heißen Salek Magamadov und Ismail Isayev – Isayev soll erst 17 Jahre alt sein. Am Donnerstag, 4. Februar meldete die queere Organisation, dass beide Männer verschwunden seien. Gegen 15 Uhr hatte einer der Männer den Notfallkontakt der Organisation angerufen, dieser hörte im Hintergrund Schreie. Ihr Anwalt, Alexander Nemov, fuhr daraufhin in die Wohnung seiner Mandanten und entdeckte Spuren eines Kampfes. Er fand später heraus, dass die beiden gewaltsam von russischen und tschetschenischen Polizisten gefangen genommen und mit dem Auto zurück nach Tschetschenien gebracht wurden.

Magamadov und Isayev flohen im Juni 2020 aus Tschetschenien, nachdem sie von der Polizei gefoltert wurden, weil sie einen oppositionellen Telegram-Kanal betrieben. Der Sprecher des LGBT-Netzwerks, Tim Bestsvet, sagte gegenüber der Moscow Times, der wahre Grund für die Folter der beiden sei aber ihre Homosexualität gewesen. Die Organisation half den beiden und brachte sie im russischen Nischni Nowgorod unter, der fünfgrößten Stadt Russlands, die rund 400 Kilometer von Moskau entfernt ist.


Schwere Menschenrechtsverletzungen

Alexander Nemov folgte seinen Mandanten nach ihrer Festnahme am Donnerstag nach Tschetschenien. Er berichtete, dass ihm keine Auskunft erteilt wurde, weder über den momentanen Aufenthaltsort seiner Klienten, noch über den Grund ihrer Inhaftierung. Die Organisation informierte in mehreren Updates auf ihrer Webseite über das Geschehen.

48 Stunden nach ihrer Festnahme tauchten die beiden Männer am Samstag in einer Polizeistation in der tschetschenischen Stadt Gudermes wieder auf – unmittelbar nachdem Isayevs Mutter Klage wegen der Entführung eines Minderjährigen eingereicht hatte. Die Männer hätten „erschöpft und eingeschüchtert“ gewirkt, sagte Sprecher Tim Bestsvet gegenüber der Moscow Times. Sie seien gedrängt worden, eine rechtliche Vertretung abzulehnen. Dabei kann der minderjährige Isayev eine rechtliche Vertretung gar nicht eigenständig ablehnen.

Bei dem Verhör am Samstag seien den beiden lediglich Fragen gestellt worden zu Treffen mit mehreren namentlich genannten Personen. Anschließend wurden die beiden freigelassen – nur um direkt vor der Polizeistation erneut verhaftet zu werden. Sie wurden in ein Auto gedrängt und in das tschetschenische Dorf Sernovodskoe gebracht. Wieder folgte ihr Anwalt ihnen, wieder wurde ihm vor Ort der Kontakt zu seinen Mandanten verweigert.


Den beiden droht „tödliche Gefahr“ 

Zur gleichen Zeit wie Nemov traf ein stellvertretender Innenminister Tschetscheniens vor Ort ein, der zusammen mit den Ordnungshütern den Vater des minderjährigen Isayev unter Druck setzte, damit er Nemovs Rechtsbeistand ablehnt, so das Russian LGBT Network. Auch ein zweiter Anwalt, der von ihnen entsandt wurde, erhielt keinen Zugang zu den beiden Flüchtlingen. Er wolle nun Beschwerde einreichen, hieß es im letzten Update am Sonntag. Der momentane Aufenthaltsort von Magamadov und Isayev sei unbekannt.

Bestsvet betonte gegenüber der Moscow Times, die beiden Männer schwebten in tödlicher Gefahr. 

„Es gab Fälle, in denen Verwandte Menschen, die wir evakuiert hatten, zurück nach Tschetschenien brachten, und dann starben diese Menschen oder, wir können sagen, wurden diese Menschen wahrscheinlich ermordet.“

Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0 / wikimedia.org

Tschetschenien gilt als einer der schwulenfeindlichsten Orte der Welt. In der russischen Teilrepublik im Nordkaukasus werden Homosexuelle immer wieder systematisch verfolgt, in Konzentrationslager gebracht und ermordet (wir berichteten). Zuletzt wurde im September 2020 die Folter eines 19-Jährigen bekannt: Er war vom queerfeindlichen Tyrannen Ramzan Kadyrow und seinen Gefolgsleuten gezwungen worden, sich nackt auszuziehen und vor der Kamera mit einer Flasche zu schänden (wir berichteten). Grund dafür war seine Kritik an dem tschetschenischen Führer in einem regierungsfeindlichen Telegram-Kanal. Ob es sich um denselben Kanal handelt, den Magamadov und Isayev betrieben, ist nicht bekannt. 

Die Nachrichtenlage über den Fall ist nach wie vor relativ undurchsichtig, die männer* Redaktion wird Updates und eventuelle Details Nachliefern. 


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