US-Wahlkampf: Entscheiden queere Stimmen über die Präsidentschaft?

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Haben wir uns alle geirrt  ist Donald Trump der queerfreundlichste Präsident aller Zeiten? Das behauptete diese Woche zumindest der ehemalige US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Und, natürlich, Trump selbst. Anlass dafür: Joe Biden rückte das Ringen um Stimmen der Queercommunity in den Fokus des US-Wahlkampfes – mit der Ernennung von Kamala Harris als seine Vizekandidatin. Warum das Wohlwollen der Community so hart umkämpft ist:

So ein US-Wahlkampf kann durchaus mal hitzig, leidenschaftlich und schmutzig sein. Seit Joe Biden die erklärte LGBTIQ+-Verbündete Kamala Harris als seine Wahlkampfpartnerin und zukünftige Vizepräsidentin auswählte, hat der US-Wahlkampf im Corona-Jahr doch noch deutlich an Fahrt aufgenommen.

Donnerstag teilten die Log Cabin Republicans, die größte Gruppe von konservativen LGBTIQs in Amerika, ein Video. Richard Grenell, der von 2018 bis 2020 US-Botschafter in Berlin war und der erste von sehr wenigen offen queeren Menschen in der Trump-Administration, bricht darin eine queere Lanze für seinen Chef. Donald Trump sei „der schwulenfreundlichste Präsident in der amerikanischen Geschichte“, so Grenell.

Das Video ist vor allem eine Hetze gegen Trump-Herausforderer Joe Biden (77), der in queeren Kreisen in die Kritik geraten war, da er in der Vergangenheit für die Verteidigung der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau sowie die umstrittene „Don't ask, don't tell“-Militärklausel gestimmt hatte. 1993 soll Biden seine Stimme jedoch für deren Abschaffung gegeben haben. 

„Präsident Trump hat in drei Jahren mehr getan, um die Rechte von Schwulen und Lesben zu fördern, als Joe Biden in über 40 Jahren in Washington.“

Foto: instagram.com/richardgrenell

Konkrete Beispiele, welche Gefallen Trump der Queercommunity erwiesen habe, bleibt Richard Grenell schuldig. Lediglich seine eigene Ernennung zum Direktor des Nationalen Geheimndienstes führt Grenell an – und eine angeblich „historische Kampagne“ zur Entkriminalisierung von Homosexualität auf der ganzen Welt. Abgesehen von einer Pressekonferenz scheint diese Kampagne jedoch nicht zu existieren, obwohl sie von queeren Trump-Unterstützern immer wieder angeführt wird (wir berichteten).

Im Gegenteil: Gegner werfen Trump oft politische Instrumentalisierung der Queerfeindlichkeit des Irans vor – einem erklärten Lieblingsgegner der derzeitigen Regierung, in dem die Menschenrechte queerer Menschen allerdings ähnlich mit Füßen getreten werden wie in Saudi-Arabien – einem Verbündeten Trumps, dem gegenüber Trump oder seine Untergebenen niemals ein Wort der Kritik fielen ließen (wir berichteten).


Zahlreiche Angriffe von Trumps Regierung auf die Community

Foto: Facebook WBC

Das Trump Accountability Project der queeren Organisation GLAAD zählte 168 direkte Angriffe von Donald Trump auf die queere Community während seiner Amtszeit. Das ist fast eine Attacke pro Woche. Einige Beispiele:

Trumps Regierung verbot transgeschlechtlichen Menschen den Militärdienst, löschte qendergerechte Sprache und queere Erwähnungen von Regierungswebseiten, wollte Gesundheitsschutzmaßnahmen für transgeschlechtliche Menschen untersagen, möchte weiterhin die Umkehrung der Gleichstellung der Ehe vorantreiben und schaffte es nicht, den Pride Monat in irgendeiner offiziellen Form zu berücksichtigen – abgesehen von einem peinlichen Twitter-Post der Präsidententochter Ivanka Trump (wir berichteten).

Was soll also dieses Video von Grenell? Er erklärt es zum Schluss selbst:

„Schwule müssen nicht demokratisch wählen, weil Donald Trump der schwulenfreundlichste Präsident in der amerikanischen Geschichte ist.“

Die Republikanern fürchten um die letzten queeren Stimmen, derer sie sich sicher waren – seit Joe Biden mit Kamala Harris eine Verbündete ins Boot holte, von der seine Wahlkampfmanager ausgehen dürften, dass sie die queeren Kritiker des Demokraten verstummen lässt.


Was macht Kamala Harris zur queeren Verbündeten? 

Foto: Quinn Dombrowski / CC BY-SA 2.0 / wikimedia.org

Auch Joe Biden kämpft um queere Stimmen – Favorit der queeren Community war Umfragen zufolge sein demokratischer Vorwahl-Gegner Bernie Sanders. In seinem Wahlkampf veröffentlichte Biden dann auch einen Strategieplan zur Gleichstellung von LGBTIQ+ (wir berichteten). Mit seiner Ernennung von Kamala Harris, der ehemaligen Generalstaatsanwältin von Kalifornien, holt er sich eine wichtige Verbündete ins Boot. Sie ist schwarz, sie ist eine Frau – sie wäre die erste Vizepräsidentin in der Geschichte der USA – und sie ist eine bekannte Unterstützerin der Queercommunity. 

Das betonte Joe Biden auch in der ersten gemeinsamen Wahlkampfrede diese Woche in Delaware. Er lobte die ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien und ihren Einsatz für die Gleichstellung der Ehe. Sowohl 2004, als die Ehe in Kalifornien kurzzeitig geöffnet wurde, als auch 2013 gehörte sie zu den ersten Offiziellen, die die Ehezeremonien durchführten. In ihrer Biographie „The Truths We Hold“ erzählt sie:

„Ich war auf dem Weg zum Flughafen, um einen Flug nach Los Angeles zu nehmen, aber ich beschloss, vor meiner Abreise am Rathaus von San Francisco vorbeizufahren. Um den Block standen Scharen von Menschen Schlange [...]. Sie zählten die Minuten herunter, bis die Regierung endlich ihr Recht anerkennen würde, denjenigen zu heiraten, den sie lieben. Die Erregung und die Vorfreude waren greifbar. Einige von ihnen hatten Jahrzehnte gewartet. Ich stieg aus meinem Auto aus und ging die Stufen des Rathauses hinauf, wo ich auf eine Beamtin der Stadt traf. 'Kamala, komm und hilf uns', sagte sie, ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. 'Wir brauchen mehr Leute, um die Eheschließungen durchzuführen.'“

Sie war glücklich gewesen, dabei zu sein, so Harris. Schnell sei sie zusammen mit zahlreichen Beamten der Stadt vereidigt worden – sodass möglichst viele gleichgeschlechtliche Paare gleichzeitig getraut werden konnten. 

„Wir standen zusammen und führten Eheschließungen auf dem Flur durch, gedrängt in jeden Winkel des Rathauses. Da herrschte all diese wunderbare Aufregung, als wir die Scharen von liebenden Paaren nacheinander begrüßten, die direkt dort verheiratet werden sollten. Es war anders als alles, was ich bisher erlebt hatte, und es war wunderschön.“

Foto: Gage Skidmore / CC BY-SA 2.0 / wikimedia.org

Der Kampf um die Gleichstellung der Ehe in Kalifornien war damit allerdings leider noch nicht vorbei – die Ehen wurden annulliert. Auch 2008 öffnete der Oberste Gerichtshof von Kalifornien mit einem Urteil die Ehe für alle – diesmal machte der queerfeindliche Gesetzesentwurf Proposition 8 den Traum wieder zunichte. Harris fand sich 2010 im Zentrum des Kampfes, als sie als Generalstaatsanwältin von Kalifornien kandidierte. Sie erinnert sich in ihren Memoiren:

„Es wurde schnell zu einem zentralen Thema in der Kampagne… Ich machte klar, dass ich nicht die Absicht hatte, einen Cent der Ressourcen der Generalstaatsanwaltschaft für die Verteidigung von Prop 8 auszugeben. Mein Gegner vertrat die andere Ansicht, eine scharfe Unterscheidung zwischen uns.“

Leider war der Streit um die Liebe in Kalifornien auch mit ihrem Sieg als Generalstaatsanwältin nicht vorbei, doch ihr Einsatz für die Gleichstellung der Ehe und die queere Community dauerte an. Als der Fall 2013 vor dem Obersten Gerichtshof landete, nahm Harris an der Gerichtsverhandlung teil, um die Community zu unterstützen. Sie erzählt:

„Als ich den Obersten Gerichtshof verließ, versammelten sich Hunderte von Menschen, schwenkten Regenbogenfahnen mit Schildern und warteten gespannt auf Gerechtigkeit. Es brachte mich zum Lächeln. Sie waren der Grund, warum ich überhaupt Anwältin geworden war. Ich glaubte, dass man diese Leidenschaft im Gerichtssaal in Taten, Präzedenzfälle und Gesetze umsetzen konnte.“

Foto: hochzeitsfotograf / www.pixelio.de

2013 war es dann endlich so weit, die Ehe wurde geöffnet – wieder war Kamala Harris ganz vorne dabei. Sie erzählt:

„Obwohl wir diesmal die Einzigen auf der Straße waren, hatte ich das Gefühl, dass wir Teil einer Parade waren, einer Parade, die sich über Generationen erstreckte. Wir traten in die Fußstapfen von Giganten und verbreiterten die Spur für unsere Zeit. Als wir das Rathaus erreichten, machten wir uns auf den Weg zum Büro des Gerichtsschreibers, wo sich bereits eine Menschenmenge auf dem Flur versammelte. Kris und Sandy trafen kurz danach ein, strahlend und mehr als bereit. 'Herzlichen Glückwunsch', rief ich aus, während ich die beiden umarmte. Sie hatten so sehr und so lange gekämpft“.


Pete Buttigieg dankt Biden für die Ermöglichung seiner Ehe

Foto: peteforamerica.com

Auch der offen schwule Politiker Pete Buttigieg schaltete sich in dieser Woche aktiv in den Wahlkampf Joe Bidens ein und drückte erneut seine Unterstützung des Demokraten aus. Auf der Democratic National Convention dankte er dem Präsidentschaftskandidaten für seinen Einsatz für queere Rechte. Der Ring an seinem Finger spiegele wieder, wie sehr sich dieses Land verändern könne, so Buttigieg, der 2018 seinen Mann Chasten heiratete. 

„Liebe macht meine Ehe real, aber politischer Mut hat sie möglich gemacht – einschließlich des von Joe Biden, der sogar dieser Partei voraus war, als er sagte, dass die Gleichstellung der Ehe das Gesetz unseres Landes sein sollte.“

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