Interview: Gewalt gegen LGBTIQ* in Bayern – das unterschätzte Problem

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„Gewalt gegen LGBTI* ist im Freistaat ein stark unterschätztes Thema“, sagt Michael Plass (38), Mitarbeiter von „STRONG!“, der Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt von LGBTI*-Personen. Zusammen mit seiner Kollegin Bettina Glöggler (47) baut er zurzeit in München ein bayernweit einmaliges Projekt auf, das sich mit Gewalt speziell gegen queere Personen beschäftigt.

Gewalt gegen LGBTI* ist praktisch alltäglich

Gewalt gegen LGBTI* ist ein Thema, das bislang zu wenig Raum im Bewusstsein der Öffentlichkeit eingenommen hat. Dabei ist diese Gewalt praktisch alltäglich. Darüber will die Fachstelle STRONG! informieren, außerdem Betroffene beraten und nicht zuletzt Fachkräfte oder Medien für dieses Thema sensibilisieren.

Angesiedelt ist STRONG! im Münchner Schwulenzentrum Sub. Das ergibt Sinn, denn in der Landeshauptstadt ist die Vernetzung queerer Institutionen gut, die Wege sind kurz. Außerdem ist, beispielsweise in Form von erfahrenen Psychologinnen und Psychologen, reichlich Expertise vorhanden, Betroffene können so schnell vermittelt werden.

Foto: Mark Kamin

„Aber wir haben einen bayernweiten Auftrag und dem kommen wir im gesamten Freistaat nach“, so Bettina Glöggler.

Daher wird die Fachstelle vom Bayerischen Familienministerium finanziert, auch die Stadt München bezuschusst über das Jugendamt.

Auch Mikroaggression kann enorm belasten

Spricht man von feindlicher Gewalt gegenüber LGBT*-Menschen, geht es nicht nur um aufsehenerregende Fälle körperlicher Angriffe, die es auch schon mal in die Schlagzeilen der lokalen Presse schaffen oder für eine Welle der Empörung in den sozialen Medien sorgen. „Gewalt kann ganz unterschiedliche Dimensionen haben“, so Bettina Glöggler. „Wir verstehen darunter alles, was LGBTI* in ihrem Dasein und ihrer Geschlechtsidentität verunsichert.“

Dazu gehören natürlich offene Beleidigungen, aber auch scheinbar kleine Vorfälle wie ein blöder Witz, ein böser Blick oder eine Unachtsamkeit im Verhalten.

Diese „Mikroaggressionen“ können einen Menschen auf Dauer enorm belasten, Identität und Selbstwertgefühl beeinflussen. Nicht zuletzt: Häusliche Gewalt existiert auch in queeren Beziehungen und wird oft nicht wahr- oder ernstgenommen.

Trans*, Inter*- und non-binäre Menschen besonders stark betroffen

Außerdem kommen zahlreiche Fälle nicht zur Anzeige, weil man in der Community gern das berühmte „dicke Fell“ besitzt: „Viele Formen von Gewalt und Diskriminierung werden gar nicht als solche wahrgenommen“, weiß Bettina Glöggler. „Gerade queere Menschen neigen dazu, das als `normales Lebensrisiko´ anzusehen.“ Dazu gehört nicht nur Gewalt, sondern auch die unterschiedlichen Arten der Diskriminierung:

Da wird eine Wohnung nicht an ein lesbisches Paar vermietet, da wird der schwule Kollege bei der Beförderung übergangen oder man verweigert der Trans*-Person den Geschlechtereintrag in eine Urkunde.

Nicht zu vergessen: Auch positive Diskriminierung kann belasten: „Wenn beispielsweise Schwule immer hip, schick und gebildet sein müssen, um von der Umwelt anerkannt zu werden, kann das großen Druck ausüben“, so Michael Plass.

Interessant ist, dass innerhalb der Community Trans*-, Inter*- und non-binäre Menschen von solchen Erlebnissen stärker betroffen sind als Cis-Lesben und -Schwule.

Foto: Mark Kamin

Nicht zuletzt wissen die Menschen über Trans*-Inter* viel weniger als über schwul-lesbisch, sie wissen nicht, wie sie mit ihnen reden, sie ansprechen oder mit ihnen umgehen sollen – das trifft oft genug auch auf die Situation innerhalb der LGBTI*-Community zu. „Trans*, Inter* und Non-Binäre sind zudem die Gruppen mit der kleinsten Lobby“, resümiert Plass.

Licht ins Dunkel der Statistiken bringen

Dagegen gilt es nun für ihn und seine Kollegin anzuarbeiten. Dabei ist diese Arbeit auch ein Kampf um Zahlen und Statistiken, die als Gradmesser für Inzidenz und Erfolg herangezogen werden.

„Die offizielle Polizeistatistik weist für 2020 unter 20 Fälle von Gewalt gegenüber LGBTI* in Bayern aus“, berichtet Michael Plass. „Doch diese Statistik zeigt nur, wie schlecht die Erhebung ist.“ Allein STRONG! hat für das vergangene Jahr 101 Meldungen erhalten – in einem Zeitraum, der durch Corona und das reduzierte öffentliche Leben vermutlich weniger Fälle aufweist als normal.

Die Dunkelziffer schätzen beide STRONG!-Experten als enorm hoch ein, auch weil viele LGBTI* gerade in Bayern wenig Vertrauen in die Polizei besäßen.

„Es wird wirklich Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen!“, so Glöggler. Bis dahin konzentrieren sie sich auch auf die anderen nicht weniger wichtigen Aspekte ihrer Arbeit, wozu vor allem Beratung und Hilfe für Opfer gehört. Das beginnt beim Zuhören und Tipps, wie sie mit schlechten Erfahrungen umgehen und solche Situationen künftig vermeiden können.

Außerdem vermittelt STRONG! Klient*innen an Therapeutinnen und Therapeuten, klärt die Abläufe bei der Polizei, hilft bei der Formulierung von Anzeigen oder dem Weg zum Anwalt.

Gewalt und Diskriminierung sollte immer zur Anzeige gebracht werden

„Wichtig ist: Wer Gewalt oder Diskriminierung erlebt, sollte das immer anzeigen“, so Michael Plass. Das sei nicht nur ein Akt der Solidarität anderen Opfern gegenüber, sondern auch politisch wichtig, denn nur so könnten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Er weiß: „Manche Leute können erst dann ihren Frieden machen und endlich zur Ruhe kommen.“


STRONG! LGBTI*-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt, Sub-Zentrum, Müllerstr. 14, Tel. 089854643427, strong@subonline.org, www.subonline.org

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