Ratzingers Mea Culpa

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Der emeritierte Papst und frühere Erzbischof von München und Freising Joseph Ratzinger äußerte sich öffentlich zu den Vorwürfen aus dem Münchner Missbrauchsgutachten und bat Betroffene um Entschuldigung. Jemals die Unwahrheit gesagt haben will er nicht.

Der Schmerz „über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“ sei sehr groß, schrieb Joseph Ratzinger in einer auf Vatican News veröffentlichten Stellungnahme, in der viel von Schuld und Scham die Rede ist, jedoch nichts von persönlicher Verantwortung. Damit macht er nur noch einmal deutlich: Das System hält.

Hinsichtlich seiner Aussage bezüglich der Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 sei ein Versehen erfolgt, so Ratzinger. „Dieser Fehler, der bedauerlicherweise geschehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar“. Dass „das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen“, habe ihn tief getroffen, so Ratzinger weiter. Weitere konkrete Vorwürfe aus dem Gutachten – dass er wissentlich und willentlich die Unwahrheit gesagt habe zum Beispiel – wies Ratzinger, der von 1977 bis 1982 Erzbischof des Bistums München und Freising war, mit Bezugnahme auf einen Faktencheck der Mitarbeiter von Benedikt XVI. zurück. 

... ein Wort des Bekenntnisses 

In dem Schreiben bedankt sich Ratzinger umfassend für die Unterstützung und ermutigenden Worte, die ihm zuteil wurden, bevor er, gerichtet an die Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, schreibt: „Dem Wort des Dankes muß aber nun auch ein Wort des Bekenntnisses folgen“.

Jener Part der Feier des Gottesdienstes mit dem Bekenntnis unserer Schuld und der Bitte um Vergebung berühre ihn immer stärker, so Ratzinger. „Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld.“

Ganz besonders das Wort „übergroß“ sei es, das jeden Tag bei ihm anfrage, ob er nicht ebenfalls „von übergroßer Schuld sprechen muß“. Denn in Begegnungen mit missbrauchten Menschen habe er den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt,

dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht.

Gegenüber den fast 500 Personen, die dem Gutachten zufolge zwischen 1945 und 2019 im Bistum München und Freising sexuell missbraucht wurden, könne er nur noch einmal seine tiefe Scham, seinen großen Schmerz und seine aufrichtige Bitte um Entschuldigung zum Ausdruck bringen, so Ratzinger. 

Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Die Opfer von sexuellem Mißbrauch haben mein tiefes Mitgefühl und ich bedauere jeden einzelnen Fall.“

Joseph Ratzinger schließt mit der Vorausahnung, dass seine irdischen Tage bald gezählt sein werden und er nun bald vor dem endgültigen Richter seines Lebens stehen werde“. Wie jeder Mensch, der dem Tod ins Auge blickt, „kann ich nur den Herrn und alle Engel und Heiligen und Euch, liebe Schwestern und Brüder, bitten, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn“.

Kommentar: Mea culpa?

Die katholische Kirche bräuchte nichts mehr als die weltliche Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Eingebettet in das Confiteor, das christliche Schuldbekenntnis, lässt sich aus Ratzingers Worten zwar ein großes Bedürfnis nach Vergebung herauslesen, jedoch kaum ein tatsächliches Eingeständnis an persönlicher oder kollektiver Schuld, auch keine echte Verantwortungsnahme. So verkommt eine sicherlich aufrichtig gemeinte Entschuldigung zu einem ritualisierten Vorgang, zu einer Worthülse in römisch-katholischem Gewand.

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