Zu Besuch in Sankt Petersburg

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Zehn Aktivist_innen aus Hamburg konnten im Rahmen eines gemeinsamen Projekts vom LSVD Hamburg, von Coming-out, dem „Side By Side“-Filmfestival und der Initiative Action eine Woche in St. Petersburg verbringen, um verschiedene Projekte zu besuchen. Unterstützt wurde das Austauschprogramm vor dem Hintergrund der Städtepartnerschaft mit der zweitgrößten russischen Stadt von der Stadt Hamburg, der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch und dem Auswärtigen Amt. Ein Reisebericht.

Foto: LSVD Hamburg

Wie fängt man einen Beitrag über ein Land an, in dem für LGBTIQ* aus Menschenrechtsperspektive fast alles schwierig ist? Mit den positiven Eindrücken, denn nur die werden der dortigen Community gerecht. Die Aktivist_innen in Sankt Petersburg feiern in diesem Jahr ein sehr gut besuchtes Filmfestival. Die Filmvorstellungen des queeren „Side By Side“-Festivals (bok o bok) sind nahezu immer ausverkauft. Conchita Wurst konnte als Stargast für die Abschlussveranstaltung gewonnen werden. Für sie sei das, wie sie in Interviews immer wieder klarstellt, eine große Ehre, Teil der „unstoppbaren Bewegung“ zu sein. Vieles macht Hoffnung: Die kommunale Ombudsstelle gegen Menschenrechtsverletzungen schickt eine Vertreterin zu einer Podiumsdiskussion. Die Polizei schützt die Veranstaltungsorte und hat darüber hinaus erstmalig nicht viel zu tun. Gegenproteste und Übergriffe bleiben aus. Homophobie ist in Russland Alltag – die Mühe, gegen die Veranstaltung zu protestieren, macht sich in Sankt Petersburg jedoch niemand. Die Proteste und Angriffe in der Vergangenheit waren zumeist bezahlte Dienstleistungen einzelner Hardliner. Die Gelder dafür fließen anscheinend nicht mehr. Die Organisator_innen haben es geschafft, die Community mit der Sankt Petersburger Bevölkerung näher zusammenzubringen. Die Medienberichterstattung ist durchweg ausgewogen und positiv. Das alles ist nicht selbstverständlich. Die Rahmenbedingungen für LGBTIQ*-Arbeit sind widrig.

Foto: LSVD Hamburg

Das „Bewerben“ von „Nicht-traditionellen Lebensformen“ bei Minderjährigen ist in Russland seit 2013 verboten. Was darunter zu verstehen ist, ist bewusst schwammig gehalten. Eine schwierige Situation für die Community – und ebenso für alle, die mit Jugendlichen in Schulen und Beratungseinrichtungen arbeiten. „Es ist so, dass ich Jugendlichen nicht sagen kann, dass es okay ist, LGBTIQ* zu sein. Angenommen zu werden, wie man ist, ist jedoch die Basis jeder Beratung. Ich kann meinen Job schlicht nicht machen, wenn ich ihn behalten möchte. Es reicht ein Wort, eine Doppeldeutigkeit, eine Geste – und ich habe ein riesiges Problem“, so die Schulsozialarbeiterin Irina_.

Die Strafverfolgung ist willkürlich – das wird in Gesprächen mit Vertreter_innen der NGOs immer wieder klar. Es hinge sehr davon ab, wie viel Ehrgeiz die Sachbearbeiter_innen in den Ämtern aufwenden würden. Projektförderung, auch das wird klar, ist kaum gegeben. Staatliche Förderung gibt es nicht – Spenden und Förderungen aus dem Ausland zu beziehen, bringt die Organisationen in einen anderen rechtlichen Konflikt. Sie könnten vom Staat als ausländische Agenten eingestuft und verboten werden. Noch so ein Gesetz, das die Zivilgesellschaft schwächen soll.

Foto: LSVD Hamburg

Ein Besuch bei der Organisation „Positiver Dialog“ macht darüber hinaus deutlich: Staatliche Repressionen führen dazu, dass Menschen sich verstecken und für gesundheitliche Prävention nicht mehr erreichbar sind. Die Zahl der HIV-Infektionen steigt stark an. Es fehlt vielerorts an Zugang zu Beratung und Therapie. Die Aktivist_innen befürchten, dass sich die Situation für LGBTIQ* in Russland weiter verschlechtern wird. Gerüchte, dass in der Duma zur Fußball-Weltmeisterschaft Gesetzessänderungen vorbereitet werden, machen die Runde. „Wir wissen nicht, was in zwei Monaten ist. Wir machen einfach weiter“, so Aktivist Aleks*.

*Stefanie Schmidt/LSVD Hamburg

*Namen geändert

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