SCHWUL SEIN, ISLAM UND DEUTSCHLAND

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© Foto: Ingeborg Gärtner-Grein / pixelio.de

Nicht lange ist es her, da wurde ein Anschlag auf eine Redaktion verübt: Charlie Hebdo in Paris. Viele Menschen starben, weltweites Entsetzen war die Folge, und eine neue Wahrnehmung für ein Thema, das mittlerweile Bestandteil unseres Alltags geworden ist: der Islam. Hat sich wirklich etwas verändert? Begegnet man Schwulen mit Migrationshintergrund mittlerweile anders als vor Charlie Hebdo? 
Erhan: Bis heute nicht. Menschen, die ich neu kennenlerne, fragen mich nicht nach meiner Religion. Sie fragen, ob ich Türke bin. Für mich hat sich nichts geändert.

Erste erfreuliche Antwort. Aus der Erfahrung einer Psychologin, die viel mit homosexuellen Menschen aus dem Orient arbeitet, hört sich das aber anders an. Hamidiye Ünal: Dadurch ist die Atmosphäre sehr schwer geworden. Die Menschen, die ihr Leben leben wollen, leben weiterhin mit einer großen Skepsis, dass sie in der Gesellschaft, an ihrem Arbeitsplatz nicht so akzeptiert werden, wie sie sind. Es sieht so aus, als würde die Religion, zumindest gefühlt, weiter in den Vordergrund rücken ... dass sie mehr zum Thema wird.

Matthias: Jeder Mensch hat eigentlich, also der Moslem, hat so eine Selbstablehnung in sich. Eben diese Krise, diese pubertäre Krise, wo man als Schwuler sich selbst behaupten muss mit dem ganzen Selbsthass und der internalisierten Abwehr gegen sich selbst.

Hamidiye Ünal hat beiderlei Erfahrungen gemacht: Manche sind sich bewusst, dass sie dazu stehen, dass sie aus dem islamischen Glauben kommen, aber dass sie ihn nicht praktizieren. Für diese ist es nicht so entscheidend. Jedoch berichtet sie Folgendes von einem marokkanischen Klienten: Er weiß, dass man vom Aussehen merkt, dass er nicht aus Deutschland ist, dass er dadurch in eine Ecke gestellt wird, dass man dann denkt, dass er auch zu denen gehört, obwohl er sich überhaupt nicht mit denen (Islamisten) identifiziert. Dass er an den Islam glaubt, er auch betet, aber dass er halt homosexuell ist. Er hat in den Anfangszeiten nach dem Geschehen wahnsinnige Angst gehabt, sich in der Nacht auf die Straße zu trauen oder in eine Kneipe zu gehen. Er wurde immer gefragt, was er von den Anschlägen hielte, fragte sich: Warum will man denn meine Meinung darüber? Früher war das nicht so, warum glauben die Leute, dass ich da auch was zu sagen kann? Warum soll ich mich erklären, nur weil ich an Allah glaube?

Erhan sieht die Sache ganz anders: Ich thematisiere meine Religion nicht, rede nicht darüber. Das ist etwas Privates, was ich in mir lebe. Das ist kein Thema. Dennoch scheint aber Diskussionsbedarf zu herrschen, denn so Erhan weiter: Letztens war ich bei einem Freund. Ich sagte ihm, dass es keine Unterschiede gibt zwischen der Bibel und dem Koran, denn in seinen Augen sind die Moslems ganz anders. Nachdem ich ihm aber erzählt habe, was ich weiß, hat er angefangen, anders darüber zu denken. Aber auch Erhan wurde von seinen Arbeitskollegen nach den Anschlägen zu seiner Meinung befragt. Er sagt: Ich habe ihnen erklärt, dass in meiner Religion Allah das Töten verboten hat, also dass in unserem Glauben einzig Allah Leben geben und nehmen darf. Wir dürfen niemanden umbringen, niemandem das Herz brechen.

Ob dadurch das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem Glauben schwieriger geworden ist oder nicht, lässt sich nicht sagen. Fakt ist, dass über das Thema viel gesprochen und nachgedacht wird. Aber es scheint nicht wirklich die Sicht auf die Dinge verändert zu haben. In meiner Umgebung werde ich als Türke wahrgenommen, nicht als Moslem. Religion ist eine Sache, Türke zu sein eine ganz andere. Da ich meine Religion in mir lebe, sehen die Menschen nicht zweierlei in mir, sagt Erhan. Aus Matthias Sicht ist es nicht das Abendland, das Probleme mit dem Islam hat, sondern der Islam mit sich selbst. Das ist nur ein Ort der Abspaltung, der Unterdrückung und der Verdrängung. Ich hab halt nur reingeschaut, ich gehöre nicht zu dem Kulturkreis. Ich bekomme es nicht ab, ich bin der Außenstehende. Ich sehe auch nicht, wieso Muslime, die seit Jahren hier leben, sich verändern sollten wegen der Anschläge. Drastische Worte, die einer Erklärung bedürfen. Warum der Islam seiner Meinung nach widersprüchlich ist? Die einen trinken Alkohol, die anderen nicht, die einen essen Schweinefleisch, die anderen nicht. Einerseits darf man nicht schwul sein, aber sich zur Frau umoperieren lassen geht. Ich finde, die islamische Glaubensgemeinschaft ist total zerrissen. Die sehen das gerne so, wie sie wollen. Das ist eine Mentalitätsfrage, preußisch sind die ja nicht. Wohl wahr, denn der Islam wurde schon seit jeher so interpretiert und ausgelegt, wie es der Männerwelt passte. Über die daraus resultierenden Ungleichgewichte reden wir hier aber nicht.

Zurück zur Debatte, ob die Ereignisse unseren Alltag beeinflusst haben oder nicht, fasst Hamidiye Ünal zusammen: Ich denke schon, dass das eine vorübergehende Erscheinung ist, die Ängste ausgelöst hat. Dadurch werden viele, ganz viele, aufeinander zugehen und sich kennenlernen. Neugier entsteht, das Angst auslösende Objekt wird näher betrachtet, und es wird darüber gesprochen. So etwas gab es schon immer, wenn man in die Menschheitsgeschichte schaut. Wenn etwas passiert, das man nicht kennt, oder jemand da ist, den man nicht kennt, sagt man bäh dazu, wendet sich ab, schließt sich zu einer großen Gemeinschaft zusammen. Wir sind aber mittlerweile dermaßen globalisiert, dass die Menschen einander verstehen, einander in Ruhe lassen, voneinander lernen. Und gut, dass eine Generation heranwächst, die das auch so sieht.

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