Kommentar zum „Queer Liberation March"

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Nun findet doch noch überraschend ein Kreuzberger CSD statt. Er nennt sich „Queer Liberation March“. Nach den letztjährigen Querelen ist dies überraschend. Hatte doch im letzten Jahr auf dem CSD in Kreuzberg ausgerechnet ein „Journalist“ von Russia Today Deutschland auf der Bühne zu einer lautstarken Israelkritik ausgeholt und zum Boykott israelischer Waren aufgerufen. Auch die Hauptforderung des damaligen Kreuzberger CSD richtet sich gegen „Pinkwashing.“

Foto: Christian Knuth

Mit dem Begriff Pinkwashing wird dem Staat Israel unterstellt, queere Menschen scheinbar besser zu behandeln und dies im Rahmen seiner Tourismuswerbung auch besonders zu betonen, um damit von einer diskriminierenden Politik gegenüber den Palästinenser_innen abzulenken. Eine solche vereinfachende Darstellung unterschlägt mindestens, dass auch in Israel queere Rechte nicht geschenkt, sondern erkämpft wurden.

In der Folge des letzten Jahres kamen es zu harten Streits unter den Organisator_innen des Kreuzberger CSD. Einige erhoben aus meiner Sicht zurecht den Vorwurf des Antisemitismus. Eigentlich sollte in diesem Jahr der Kreuzberger CSD nicht stattfinden und die Zeit für Diskussionen genutzt werden. Doch nun findet überraschend ein „Queer Liberation March“ statt. In ihrem Facebookauftritt wird wieder ein Kampf gegen „Pinkwashing“ als erste Forderung erhoben. In einem Interview mit einem Berliner Stadtmagazin verwehren sich die diesjährigen Veranstalter des Antisemitismus-Vorwurfs und meinen pauschal,

„wir haben beobachtet, dass es oft nicht-jüdische Deutsche sind, die definieren wollen, was Antisemitismus ist. Jede/r sollte sich gegen Antisemitismus einsetzen. Aber die Definition darüber, was antisemitisch ist, sollte schon Juden und Jüdinnen überlassen bleiben.“

Um es vorweg zu sagen: In Zeiten eines globalen Rechtsrucks und unglaublichen Verfolgungen von Queers und anderen Menschen weltweit, ist grundlegende Gesellschaftskritik wichtig. Dem großen CSD eine kritischeres Pendant zur Seite zu stellen, ist aus meiner Sicht durchaus wichtig. Doch die Fokussierung auf Pinkwashing ist unerträglich.

Obendrein fehlt es an einer klaren Abgrenzung zu Gruppen wie dem BDS (Boycott, Divestment, Sanctions“), der auch auf dem letztjährigen Kreuzberger CSD seine Präsenz zeigte. Ein Boykott israelischer Waren, in Analogie zum Nazislogan „Kauft nicht bei Juden“, ist in Deutschland unerträglich.

Auch wenn die „Queer Liberation March"- Aktivist_innen sich in einer langen Liste, gegen was sie alles sind, auch gegen Antisemitismus aussprechen, so wirkt dies wie ein Feigenblatt, wenn als erste Forderung weiterhin der Kampf gegen Pinkwashing steht. Diese Form der Israelkritik bedient den zunehmenden gesellschaftlichen Antisemitismus, der wie zahlreiche Studien belegen, sich in Deutschland als Israelkritik camoufliert. Dabei ist es völlig unerheblich, ob eine solche Forderung von Jüd_innen, Israelis, Deutschen oder Anderen erhoben wird. Man muss hier mindestens eine indirekte Goutierung des bestehenden Antisemitismus unterstellen.

Man kann den Organisator_innen des „Queer Liberation March“ unterstellen, dass sie lediglich das Ticket CSD nutzen, um hier eine verkürzte und einseitige Gesellschaftskritik vorzutragen, die im Konkreten Vorurteile fördert. Dass sie dies als radikal linke Gesellschaftskritik bezeichnen, ist infam. Dabei wäre eine plurale und fundierte queere Gesellschaftkritik mehr denn je vonnöten. 

*Bodo Niendel, Referent für Queeerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE und ehemaliges langjähriges Vorstandsmitglied des Berliner CSD e.V.

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